Sozialethiker: "Kapitalismus hat gesiegt, aber recht hat er nicht"
"Der Kapitalismus hat gesiegt, aber recht hat er nicht": Das sagte der renommierte deutsche Sozialethiker Pater Friedhelm Hengsbach im Rahmen der Maximilian-Aichern-Vorlesung in Linz. Die Veranstaltung an der dortigen Katholischen Privat-Universität zu Ehren des sozialethisch hochengagierten Altbischofs der Diözese Linz - Aichern war auch selbst anwesend - war der Gerechtigkeit in der Welt von heute und der Rolle des Kapitalismus bei deren Durchsetzung oder Behinderung gewidmet. Hengsbach kritisierte unter Berufung auch auf die jüngste Papst-Enzyklika "Fratelli tutti" den "Irrglauben, dem Markt die Lösung sozialer Probleme zuzutrauen", wie es in einer Aussendung der Diözese Linz vom Mittwoch hieß.
In einer tour d'horizon durch die Geschichte des Kapitalismus zeigte der Jesuit unterschiedliche Versuche der vergangenen 150 Jahre auf, den Kapitalismus zu zähmen, umzubiegen oder gar zu entmachten. Dazu stellte Hengsbach ein Modell, in dem der Kapitalismus insofern "gebrochen" wird, als alle Träger des Arbeits-, Geld-, Natur- und Gesellschaftsvermögens - mit anderen Worten: alle Akteure, die zur Wertschöpfung beitragen bzw. davon betroffen sind - gemeinsam darüber entscheiden, was in welchem Ausmaß und für wen produziert wird.
Neben diesen ökonomischen Überlegungen präsentierte der Sozialethiker zweierlei Gerechtigkeitsvorstellungen: eine, nach der es um die Verteilung von Gütern unter den Menschen geht, der eine andere gegenüberstehe, in der es um gerechte Verhältnisse zwischen autonomen Subjekten geht. Nach der ersten Vorstellung sei die Gesellschaft ein "Warenhaus", in dem die Waren möglichst gerecht verteilt werden. In der zweiten auf Immanuel Kant basierenden Vorstellung gehe es um die Anerkennung autonomer Subjekte und letztendlich um gerechte Verfahren zur Rechtfertigung gesellschaftlicher Machtverhältnisse.
"Schneckenhaus des Naturrechts" abgelegt
Mit der "christlichen Gesellschaftsethik" positionierte Friedhelm Hengsbach seine sozial- und wirtschaftsethischen Überlegungen einst ausdrücklich "jenseits der katholischen Soziallehre". Befreit aus dem "Schneckenhaus des Naturrechts" entwickelte er zusammen mit seinen Kollegen Matthias Möhring-Hesse und Bernhard Emunds eine "normative Handlungstheorie", die sich besonders auf die Motive der sozialen Bewegungen - damals vor allem der Frauen-, Friedens- und Umweltbewegung - stützte, von denen zuvor marginalisierte Interessen vernehmbar artikuliert wurden. Ähnlich könne man die soeben verkündete Sozialenzyklika "Fratelli tutti" von Papst Franziskus interpretieren, fasste der Bericht aus Linz zusammen.
Hengsbach gilt als einer der bedeutendsten christlichen Sozialethiker und Ökonomen der Gegenwart. Er lehrte viele Jahre an der Philosophisch-Theologischen Hochschule der Jesuiten Sankt Georgen in Frankfurt am Main, leitete dort das Oswald von Nell-Breuning-Institut und lebt heute in Ludwigshafen.
Fortgesetzt wird die Maximilian-Aichern-Vorlesung mit einer dreitägigen Lehrveranstaltung unter dem Titel "Den Kapitalismus weder zähmen noch umbiegen noch bändigen, sondern brechen - durch wen und wie?", in der Hengsbach seine Thesen mit Studierenden der Katholischen Privat-Universität Linz diskutiert.
Die Maximilian-Aichern-Vorlesung wird jährlich von der AG "Wirtschaft - Ethik - Gesellschaft" der Katholischen Privat-Universität Linz durchgeführt und ist dem Grundanliegen verpflichtet, für das der frühere österreichische "Sozialbischof" Maximilian Aichern stets engagiert eintrat: "die Auseinandersetzung mit den Herausforderungen einer christlich-sozialen, solidarischen und gerechten Gestaltung der Gesellschaft", wie die Diözese Linz erinnerte.
Quelle: kathpress