Caritas: Arbeitslosigkeit und Kinderarmut stärker bekämpfen
"Auch Armut ist ansteckend. Wir müssen eine Pandemie der Armut verhindern". Mit diesen drastischen Worten hat Caritas-Präsident Michael Landau angesichts der anhaltenden Corona-Krise vor den drohenden sozialen Folgen der Pandemie und Rekordarbeitslosigkeit sowie steigender Kinderarmut gewarnt. Die Sozialberatungsstellen der Caritas würden die Auswirkungen der Krise bereits jetzt spüren: sie verzeichnen einen Anstieg der Beratungen um bis zu 40 Prozent. Darunter seien viele Familien oder Personen mit vormals "krisensicheren Jobs", die wegen plötzlicher Arbeitslosigkeit ihre Energie- oder Mietkosten nicht mehr begleichen können. "Selbst ein Lebensmitteleinkauf wird für Betroffene zur Herausforderung", schilderte Caritas-Generalsekretärin Anna Parr.
Es brauche daher eine Erhöhung des Arbeitslosengeldes, unbürokratische Soforthilfen, eine aktive Arbeitsmarktpolitik, um Menschen vor Langzeitarbeitslosigkeit zu bewahren und ein "Pakt gegen Kinderarmut", forderten Landau und Parr bei einer Pressekonferenz zum Start der heurigen Caritas-Inlands-Kampagne unter dem Motto "Jeder Euro = Hilfe gegen Armut". Aus Anlass des Kampagnenstarts hatte die Caritas zu einer Pressefahrt in Einrichtungen in Wien-Floridsdorf und Krems geladen.
Langfristige Absicherung nötig
Positiv bewertete Landau die von der Bundesregierung angekündigte Verlängerung der Einmalzahlungen beim Arbeitslosengeld sowie den Corona-Familienhärtefonds. "Erste Maßnahmen wie diese konnten das Schlimmste verhindern", langfristig brauche es aber eine Erhöhung des Arbeitslosengeldes bei gleichzeitiger Beibehaltung der Notstandshilfe. "Damit Menschen trotz Jobverlust weiterhin ausreichend Geld für Lebensmittel, Heizen und anfallende Mieten haben", argumentierte Landau.
"Immer häufiger brauchen Menschen Unterstützung, die vorher noch nie auf Hilfe angewiesen waren", führte Parr aus. Aufgrund der aktuellen soziale Notsituation vieler Menschen bedürfe es einer Reform der "Sozialhilfe Neu", die seit 1. Jänner 2020 die Bedarfsorientierte Mindestsicherung ersetzt. Die "Sozialhilfe Neu" müsse "armuts- und coronafest" ausgestaltet werden, nur so könne man eine Zunahme von Armut verhindern, appellierte die neue Caritas-Generalsekretärin.
Laut offiziellen Zahlen gelten in Österreich 1,1 Millionen Menschen als armutsgefährdet, darunter 231.000 Kinder und Jugendliche, von denen wiederum 70.000 auf ein nahrhaftes Essen verzichten müssten. "Die Zahl ist seit Beginn der Corona-Krise gestiegen", mahnte Parr, die dabei auf Berichte der Sozialberatungsstellen verwies. So haben sich heuer bereits 30.000 Menschen an die Caritas-Sozialberatungsstellen in ganz Österreich gewandt: In Niederösterreich verzeichneten die Beratungsstellen seit Jahresbeginn um 41 Prozente mehr Erstkontakte als im Vorjahr, in der Steiermark sind es 37 Prozent sein.
Parr appellierte an die Politik "alles zu unternehmen, um Kinderarmut abzuschaffen" und forderte einen "Pakt für Kinder". Darin sollte etwa eine materielle Absicherung, Investitionen in Bildung und Gesundheit enthalten sein. Anzudenken ist laut Parr auch eine bundesweit einheitliche Kindergrundsicherung, um zu verhindern, dass Kinder dauerhaft in Armut leben und aufwachsen müssen.
Armut in der Mitte der Gesellschaft angekommen
Konkret zeigt sich die steigende Armut in den Sozialmärkten und Lebensmittelausgabestellen der Caritas, wo man mehr neue Kunden zählt. "Die Armut ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen", berichtete Hannes Ziselsberger, Caritas-Direktor in der Diözese St. Pölten, beim Pressegespräch im Caritas Sozialmarkt (Soma) Krems. Spürbar sei, dass die Corona-Krise Menschen in Notlagen gebracht habe, die zuvor noch nie von Armut bedroht gewesen seien.
Im Soma Krems werden pro Tag rund 80 bis 100 Einkäufe für durchschnittlich 6 Euro getätigt. Einkaufen dürfen Menschen, die nachweislich unter der Armutsgrenze leben. Betroffene erhalten einen Einkaufspass, der zum Einkauf berechtigt. 2020 wurden bereits 2.200 Pässe ausgestellt, viele davon für armutsbetroffene Familien mit Kindern. Als drängendes Problem bezeichnete die Caritas St. Pölten die "Energiearmut", d.h. dass immer mehr Menschen ihre Stromrechnungen nicht bezahlen oder alte Geräte nicht austauschen könnten. War im Frühjahr während des Corona-Lockdowns noch ein Stunden von Rechnungen möglich, gebe es nun immer mehr fällige Rechnungen. In solchen Fällen leiste die Caritas zwar Akuthilfe, damit Familien ein Abschalten von Strom und Gas erspart bleibt, dies helfe jedoch nicht über das eigentliche Problem der Arbeitslosigkeit hinweg.
Aktuell beobachte man in Niederösterreich vor allem eine steigende Familienarmut, warnte Cornelia Gattringer von der Caritas-Sozialberatung in Krems. Elternteile, die vor der Corona-Pandemie in der Gastronomie, im Tourismus oder Kulturbetrieb gearbeitet hätten, seien jetzt meist arbeitslos. "Eine Kellnerin findet jetzt kaum Arbeit, hat aber vor der Krise auch nicht so viel verdient, um sich Ersparnisse aufzubauen". Es gebe aber auch immer mehr Familienväter, die in vormals vermeintlich "krisensicheren" Jobs gearbeitet hätten und nun nicht wissen, wie sie Kredite, Einkäufe oder Rechnungen begleichen sollen. "Ich befürchte, dass das wahre Ausmaß der neuen Armut erst in den nächsten Monaten spürbar wird", so die Sozialexpertin.
Unter den Slogans "Jeder Euro = Hilfe gegen Armut" und "Armut in der Krise" wirbt die Caritas österreichweit rund um den sogenannten "Elisabeth-Sonntag" (15. November) um Spenden für Hilfs- und Sozialprojekte im Inland. (Info: www.caritas.at/inlandshilfe)