Wiener Priesterseminar verzeichnet größten Zuwachs seit Jahren
Im Wiener Priesterseminar gab es im Corona-Jahr 2020 einen außerordentlichen Zuwachs: 14 neue Priesteramtskandidaten traten im Herbst in die seit 2012 von den drei ostösterreichischen Diözesen gemeinsam getragene Einrichtung ein, teilte die Erzdiözese Wien am Donnerstag mit. Elf der neuen Kandidaten stammen aus der Erzdiözese Wien, drei weitere aus den Diözesen St. Pölten und Eisenstadt. Die heurige hohe Eintrittszahl sticht damit aus dem allgemeinen Trend im gesamten deutschen Sprachraum deutlich heraus, heißt es in der Mitteilung.
Insgesamt erhöht sich die Zahl der Seminaristen in Wien auf 52, wovon sich 35 auf den priesterlichen Dienst in der Erzdiözese Wien, neun für die Diözese St. Pölten und sechs für die Diözese Eisenstadt vorbereiten. Zwei Priesteramtsanwärter sind Gäste der ukrainisch-katholischen Kirche. Die derzeitige Belegung ist die höchste seit der Jahrtausendwende - 15 Jahre, nachdem es 2005 mit 17 die niedrigste Zahl von Priesteramtswärtern gab, was freilich noch vor der 2012 erfolgten Zusammenlegung mit den Seminaren aus St. Pölten und Eisenstadt war.
Das Priesterseminar spiegelt laut der Erzdiözese die "gesellschaftliche und religiöse Großwetterlage" wider, und zwar in vielerlei Hinsicht: Einerseits würden die Seminaristen aus verschiedensten Geburtsjahrgängen zwischen 1946 und 2000 stammen, andererseits seien auch die Biografien sehr unterschiedlich: Frühere Beamte, Musiker, Chemiker und Führungskräfte in internationalen Unternehmen fänden sich hier ebenso wie Lebensmitteltechniker, Krankenpfleger und auch ein ehemaliger Universitätsassistent.
Knapp die Hälfte aller Wiener Seminaristen - 25 - stammen laut den Angaben aus verschiedenen Bundesländern Österreichs, die anderen aus acht anderen Staaten: Zwölf aus Deutschland, sechs aus Polen, je zwei aus der Ukraine und aus Kroatien, sowie je einer aus Montenegro, Indien, Sri Lanka, und Nigeria. Manche der Nichtösterreicher seien freilich bereits hier geboren, während andere seit Jahren hier lebten, wobei sich einige unter ihnen aufgrund familiärer oder freundschaftlicher Beziehungen zu Österreich entschlossen hätten, hier Priester werden zu wollen.
Geht es um die Frage nach der persönlichen Berufungsgeschichte der Priesteramtskandidaten, so habe für manche der Weg ins Seminar über Entfremdung oder gar Kirchenaustritt geführt, ehe es jedoch schließlich eine starke, persönliche Gotteserfahrung gab. Andere würden bereits Vorerfahrungen in Orden oder neuen geistlichen Gemeinschaften mitbringen.
Kategorien nicht mehr gültig
Die Vielfalt der Biografien, Kulturen und persönlichen Glaubensgeschichten seien eine "echte Bereicherung", so der Eindruck eines in der Aussendung zitierten Wiener Seminaristen, Matthias Ruzicka (25). Er selbst habe sich für den Eintritt in Wien entschieden, "weil die Wiener Ortskirche im deutschen Sprachraum durch eine unglaubliche Vielfalt in geistlicher Hinsicht hervorsticht". Innerkirchliche Vorbehalten, die neue Generation der Priesteramtskandidaten sei tendenziell konservativ, könne er selbst nicht nachvollziehen, seien doch "konservativ" oder "liberal" heute keine Kategorien mehr und die Glaubensbiografien von Seminaristen "viel zu bunt". Alle gemeinsam hätten jedoch eine "bewusste, reife Glaubensentscheidung".
Das entspricht auch der Wahrnehmung von Vizeregens Markus Muth. "Wenn vor 20 Jahren das Kollar (der klassische Priesterkragen, Anm.) noch ein konservatives Statement war, so stehen heutige Seminaristen auf dem Standpunkt: 'Warum sollen wir das den Traditionalisten überlassen?'" Ein Seminarist komme im Gegensatz zu früheren Generationen durchwegs nicht mehr aus dem "klassisch kirchlichen" Umfeld, sondern sei oft von einem individuellen Glaubensweg geprägt.
Anspruchsvolle Ausbildung
Um dieser Vielfalt an Voraussetzungen gerecht zu werden, ist die insgesamt rund sechs- bis siebenjährige Priesterausbildung in sechs Phasen unterteilt, die auch individuelle Anpassungen erlauben. Das Theologiestudium, in der Regel an der theologischen Fakultät der Universität Wien, ist selbstverständlicher Teil davon.
Die erste Phase besteht in einem Vorbereitungsjahr, dem "Propädeutikum". Es folgt eine mehrjährige Ausbildungszeit im Seminar, gefolgt von einem "externen Jahr", das dem Seminaristen ermöglicht, Glaube und Seelsorge in anderen europäischen, aber auch außereuropäischen Ländern kennenzulernen. Nach einer weiteren "internen" Zeit im Seminar und einem "praktischen Jahr", das dazu dient, auch außerhalb des kirchlichen Umfelds Erfahrungen und Kompetenzen zu erwerben, folgt in der Regel die Vorbereitung auf das Diakonat. Mit der Diakonenweihe verpflichtet sich der Priesteramtskandidat bereits zur zölibatären Lebensform und zum kirchlichen Stundengebet. Im Normalfall erfolgt ein Jahr später die Priesterweihe.
Geleitet wird das Wiener Priesterseminar von Regens Richard Tatzreither, dem als Subregenten Markus Muth für die Erzdiözese Wien, Nikola Vidovic für die Diözese St. Pölten und P. Lorenz Voith für die Diözese Eisenstadt zur Seite stehen. Als Spirituale sind P. Michael Messner und Peter Miskic für die geistliche Begleitung der Seminaristen verantwortlich.
Mit dem Leopoldinum Heiligenkreuz und dem Missionskolleg Redemptoris Mater gibt es im Gebiet der Erzdiözese Wien zwei weitere Priesterausbildungsstätten.
Quelle: kathpress