
Hilfswerk Dreikönigsaktion: Corona stürzt Indien ins Chaos
Eine neue Pandemiewelle erschüttert Indien: Das Gesundheitssystem bricht zusammen, es fehlt an Test-Möglichkeiten, Krankenhausbetten, Sauerstoff und Medikamenten. Die mangelnde Versorgung gepaart mit Chaos und einer schlechten Informationslage führten dazu, dass Corona-Patienten teils vor den Krankenhäusern sterben müssten oder Corona-Erkrankte gar nicht mehr in die Spitäler gebracht werden würden, beschreibt die Indienexpertin und Projektreferentin der Dreikönigsaktion (DKA), Eva Wallensteiner, die Situation im Kathpress-Interview. Die "Apotheke der Welt" könne sich selbst nicht mehr versorgen.
In dem südasiatischen Land mit mehr als 1,3 Milliarden Einwohnern gebe es auf 10.000 Inder nur 5 Spitalsbetten, so Wallensteiner. Der Staat versuche nun sogar Züge als Corona-Stationen umzurüsten und auch private Spitäler müssten Corona-Patienten aufnehmen. Hinzu komme ein mangelndes Vertrauen in staatliche Strukturen: Die Menschen verließen sich eher auf ihre Familie, Kaste oder ihr soziales Netz, als auf das staatliche Gesundheitssystem. "Speziell reiche Inder bevorraten Sauerstoffflaschen daheim, damit sie diese im Notfall einsetzen können", sagt Wallensteiner. Diese fehlen als Folge in der medizinischen Versorgung.
Die Lage sei dramatisch und außer Kontrolle, meint auch Ashraf Patel, Projektpartnerin der Dreikönigsaktion in Delhi. Indien sei aktuell eine "traumatisierte Nation, voll von Furcht, Trauer und Verlust, ohne Hoffnung". Überall gebe es Schreie nach Hilfe und Hoffnungslosigkeit: "Wir haben keine Worte mehr, nur noch Tränen."
Trotz Verzweiflung gebe es Unterstützungsaktionen von NGOs oder Zivilgesellschaft und Nachbarschaftshilfe: "Das Zeichen ist klar: Wir geben nicht auf. Das gibt uns die Hoffnung, dass wir auch die dritte Covid-Welle überstehen werden", so Patel.
Die DKA, das Hilfswerk der Katholischen Jungschar, helfe aktuell gemeinsam mit der Katholischen Frauenbewegung Österreich (kfb) den indischen Projektpartnern mit finanzieller Unterstützung für Corona-Soforthilfemaßnahmen, so die DKA-Referentin Wallensteiner. Lokale Partner unterstützten beim ersten Corona-Lockdown bereits mit Masken, Seifen und Nahrungsmitteln; nun heiße es bei der Sauerstoff- oder Spitalsplatz-Suche zu unterstützen, Ein großes Thema sei auch die Corona-Aufklärungsarbeit über Soziale Medien: So helfen Hilfsorganisationen etwa über Facebook, dass Menschen zu Hilfsmaßnahmen und Impfungen kommen. "Hilfsorganisationen können aber nur versuchen einzudämmen, dass sich Corona nicht noch weiter ausbreitet", betont Wallensteiner. Mehr denn je sei nun eine internationale Solidarität gefordert.
Kein Home-Office für Straßenarbeiter
Die in Österreich üblichen Anti-Corona-Maßnahmen - wie Abstand, Hygiene oder Home-Office - könnten in Indien aber schlicht nicht einhalten. "Die Menschen haben nur wenige Möglichkeiten sich zu isolieren, leben beengt und es gibt kein 'Home-Office' für Menschen, die auf der Straße arbeiten müssen", beschreibt die Indienexpertin. Zusätzlich könnten Corona-Erkrankte aufgrund der beengten Wohnverhältnissen nicht abgeschottet werde. Die Folge: Ganze Familienverbände stecken sich an und tragen Corona weiter.
"Wanderarbeiter, die sich nicht am Ort ihrer Registrierung aufhalten, haben keinen Zugang zu Hilfsleistungen", erklärt Wallensteiner weiter. Auch die meisten Slumbewohner seien nicht registriert und damit "unsichtbare Menschen". Umso wichtiger sei es nun, dass Hilfsorganisationen und die Zivilgesellschaft sich engagieren. Es gehe darum, "Corona so zu erzählen, dass es jeder, der nicht lesen und schreiben kann, versteht. Das ist verabsäumt worden."
Die schlechte medizinische Versorgungslage liege jedoch weniger am Kastensystem oder an sozialen Ungleichheiten, denn am schlechten Gesundheitssystem und fehlenden Strukturen, stellt die DKA-Projektreferentin klar. Zwar gebe es auf dem Subkontinent noch immer ein Gefälle zwischen den sozialen Schichten, jedoch mangle es aktuell allen Indern an Masken, Antigen-Tests, Informationen und Impfstoffen.
Es sei die Zeit nach der ersten Corona-Welle verschlafen worden, lautet die Kritik der Indien-Expertin. Die Politik sei in fünf Unionsstaaten zu sehr mit Wahlen und Wahlpropaganda beschäftigt gewesen. Zudem habe es lange Zeit geheißen, dass Indien gegen das "China Virus" immun sei oder schon eine Herdenimmunität besitze. Beides habe sich nicht bewahrheitet: Politik und Pharmaindustrie hätten zu langsam reagiert, meint Wallensteiner.
Der Subkontinent meldete am Donnerstag mehr als 400.000 Neuinfektionen. Binnen 24 Stunden sind in dem Land mehr als 3.000 Menschen gestorben. In absoluten Zahlen ist Indien mit seinen 1,3 Milliarden Einwohnern mit über 20,6 Millionen erfassten Corona-Infektionen hinter den USA am stärksten von der Pandemie betroffen. Neben Neu-Delhi und den anderen Großstädten sei mittlerweile auch die Lage in den ländlichen Gebieten dramatisch, so Wallensteiner. Selbst die Beerdigungen oder rituellen Verbrennungen der Toten werden zum Problem, da Holz teuer sei.
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Quelle: kathpress