Zsifkovics: Kirche steht zur Aufnahme von Menschen auf der Flucht
Die Kirche steht fest zu ihrer Grundhaltung, Menschen auf der Flucht aufzunehmen und bei ihrer Integration in die Gesellschaft zu helfen. Das hat der Eisenstädter Bischof Ägidius Zsifkovics am Freitag in einer Aussendung der Diözese Eisenstadt bekräftigt. Der Bischof - er verantwortet er in der Österreichischen Bischofskonferenz die Themen Migration, Flucht und Asyl sowie die Europathemen - äußerte sich anlässlich des diesjährigen kirchlichen "Welttags der Migranten und Flüchtlinge" (26. September). Zsifkovics wurde am Montag positiv auf das Corona-Virus getestet und befindet sich seither mit Symptomen einer schweren Grippe in häuslicher Quarantäne. Das Interview mit Diözesansprecher Dominik Orieschnig, das der Aussendung zugrunde liegt, wurde davor aufgezeichnet.
Die weltweite Pandemie bezeichnete der Bischof als "ungewollte, aber hoffentlich heilsame Nachdenkpause für eine in rasendem Stillstand begriffene Welt". Eine wirtschaftlich völlig pervertierte Weltordnung, in der sich eine Mehrheit der Ressourcen in den Händen einer Minderheit befindet, bedeute menschlichen und moralischen Stillstand. "Sie muss früher oder später zu gravierenden planetaren Konflikten führen", so Zsifkovics.
Die sogenannte Flüchtlings- und Migrationskrise ist dabei laut dem Bischof zum Teil eine verklausulierte Bezeichnung für "eine veritable Menschheitskrise, die immer mehr vor unsere eigene Haustüre rückt. Wie konnten wir nur so lange glauben, unser überzogener Wohlstand und die Ausbeutung anderer Weltgegenden durch europäische und internationale Konzerne würde ohne Kosten bleiben?"
Zsifkovics: "Individuelles Verhalten, egal in welche Richtung, zeitigt in einer vernetzten Welt immer mehr Auswirkungen auf alle anderen. Es scheint fast so, als ob die postmodern so gerne als altmodisch bezeichneten christlich-jüdischen Gebote plötzlich der Sphäre individuell-religiöser Verbindlichkeit entzogen und zum realen Überlebensprogramm eines verwundeten Planeten würden".
Dementsprechend sei zu hoffen, "dass die derzeitige Gesundheitskrise ein globales Nachdenken über die eigentliche Krise nach sich zieht". Die Gesellschaft müsse eine große Entscheidung treffen: "Zersplitterung oder Solidarität. So gesehen sind die Flüchtlinge, die in ihrer Not an die Türen unseres einzementierten Lebensstils klopfen, die besten Lehrer."
Dank an Papst Franziskus
Ausdrücklich dankte Zsifkovics Papst Franziskus für dessen bereits Anfang Mai erschienene Botschaft zum 107. Welttag der Migranten. Im Zentrum des päpstlichen Schreibens stünde die Erinnerung an das "göttliche Angebot eines Weges der Versöhnung". Papst Franziskus erinnere an diesem Wendepunkt der Geschichte daran, dass dieses Angebot, sich dem Anderen zuzuwenden, nicht an einzelne Individuen, sondern an die ganze Menschheitsfamilie ergehe. Im Zentrum dieses Angebots stehe das Geheimnis Christi, "der gestorben und auferstanden ist, damit wir Menschen zur Einheit finden". Doch die aktuellen Herausforderungen zeigten schmerzhaft auf, "dass diese gottgewollte Menschheitsfamilie massiv beschädigt ist".
Pandemie und Umweltthemen offenbarten weltweit den "Reflex zum nationalen Alleingang, zum Egoismus, zur Zersplitterung, die das Ego vor das Wir setzt", so der Eisenstädter Bischof. Zsifkovics zitierte wörtlich den Papst: "Und den höchsten Preis zahlen diejenigen, die besonders schnell als Andere gelten: die Ausländer, die Migranten, die Ausgegrenzten, all jene, die an den existenziellen Rändern leben."
"Ja" zur Hilfe für Menschen auf der Flucht
Die gegenwärtigen Migrationsbewegungen und ihr Zusammentreffen mit Aufnahmegesellschaften in Europa sind laut Zsifkovics "Hotspots der Fremderfahrung wie der Selbsterfahrung, die uns Gelegenheit geben, unseren Lebensstil insgesamt zu hinterfragen - und den zivilisatorischen Stillstand zu überwinden". Es gelte trotz aller Populismen immer noch uneingeschränkt die Haltung der Kirche zur Aufnahme von Flüchtlingen, auch in Österreich.
Die Kirche habe, so der Eisenstädter Bischof, "keine technischen Lösungen anzubieten und beanspruche auch keineswegs, sich in staatliche Belange einzumischen. Aber, so der Bischof: "Die Kirche hat zu allen Zeiten und unter allen Gegebenheiten eine Sendung der Wahrheit zu erfüllen für eine Gesellschaft, die dem Menschen und seiner Würde und Berufung gerecht wird. Dementsprechend sind wir bereit, den zu uns Kommenden, vor allem den am meisten Bedürftigen, Hilfe und Beistand zu leisten, und zu ihrer Integration in die Gesellschaft mit den Behörden der Gastländer zusammenzuarbeiten."
Zsifkovics hatte diese Haltung bereits im Dezember 2015 als damaliger europaweiter Migrationsbeauftragter in einem Positionspapier für die ComECE (Kommission der EU-Bischofskonferenzen) formuliert. Heute, ein halbes Jahrzehnt später, erscheine ihm das Migrationsthema lediglich als Vorbote einer "drohenden Menschheitskrise, deren vernetzte Prozesse immer schneller ablaufen", so der Eisenstädter Bischof.
Verweis auf Pierre Teilhard de Chardin
Zsifkovics erinnerte in diesem Zusammenhang an das geistliche Vermächtnis des Jesuiten und Theologen Pierre Teilhard de Chardin (1881-1955). Teilhards Schriften waren lange Zeit von der offiziellen katholischen Kirche kritisch gesehen worden. Noch sieben Jahre nach seinem Tod erklärte der Vatikan, die theologischen und philosophischen Texte Teilhard de Chardins enthielten schwere Irrtümer bezüglich der katholischen Glaubenslehre. Das Heilige Offizium - die heutige Glaubenskongregation - warnte vor seinen Texten, deren Lektüre in katholischen Bildungseinrichtungen lange Zeit verboten war.
Doch die Zeit, der der Weltbürger und Forscher Teilhard stets weit voraus war, scheine sich mittlerweile ihm angenähert zu haben, auch innerhalb der Katholischen Kirche, befand Bischof Zsifkovics. Papst Franziskus, der selbst dem Jesuitenorden angehört, zitierte Teilhard de Chardin in seiner Enzyklika "Laudato si" aus dem Jahr 2013. Und auch die Päpste Johannes Paul II. und Benedikt XVI. hatten sich in ihren Aussagen auf Teilhard bezogen.
Bischof Zsifkovics ortete dementsprechend eine weiter andauernde Neuentdeckung der Kirche eines ihrer hellsten und modernsten Köpfe: "Dass die aktuelle Botschaft von Papst Franziskus zum Welttag des Migranten und Flüchtlings den Titel 'Auf dem Weg zu einem immer größeren Wir' trägt, ist für mich kein Zufall. Der ganze Text atmet die dynamische Theologie und Weltsicht Teilhards, der die biologische und soziale Evolution schon früh als den Weg von der Materie und vom Leben hin zum Menschen und vom einzelnen Menschen hin zur Menschheit erkannte. Papst Franziskus kennt diese Texte und scheint von ihnen inspiriert", so Zsifkovics.
Der Bischof erinnert in diesem Zusammenhang auch an die stark eucharistische Frömmigkeit Teilhards de Chardin, der beim wegweisenden Versuch, priesterliche mit wissenschaftlicher Identität zu verbinden, den Gehalt der konsekrierten Hostie als eine "ganz reale Größe" mit "grundlegendem Platz in der Ökonomie der Welt" bezeichnet hatte. Teilhard, ein Mann von mystischer Begabung, war überzeugt: So wie sich Christus bei der Eucharistie in der Hostie manifestiere, so weite sich seine Präsenz über den Menschen physisch weiter aus auf eine schrittweise Vergöttlichung des Universums. Alles fromme Interpretation? "Keineswegs", so Zsifkovics, "denn die Kommunion gibt dem gläubigen Menschen die Kraft, alle Illusionen eines engen Individualismus abzuwerfen und sich offen und ehrlich einem Wir zuzuwenden".
Abendmahl und Fußwaschung gehören zusammen
Besonders deutlich sei ihm dies beim kürzlich zu Ende gegangenen Eucharistischen Weltkongress in Budapest geworden, an dem Zsifkovics als offizieller Vertreter der Österreichischen Bischofskonferenz teilgenommen hatte. Bei einer deutschsprachigen Messe in Budapest im Rahmen des Weltkongresses hatte der Bischof im Gespräch mit Kathpress betont, dass Abendmahl und Fußwaschung zusammengehören: "Wer die Eucharistie empfängt, der verpflichtet sich gleichsam zum Dienst am Nächsten, vor allem an den Armen, an den Kleinen, an den Schwachen und Notleidenden", so Zsifkovics. Ohne Tabernakel, ohne die Gegenwart Gottes in den Kirchen würden diese zu frommen Veranstaltungsräumen und Museen umfunktioniert werden. Das Heilige, die Mitte der Kirche, das Herzstück, wäre genommen.
Quelle: kathpress