Papst an Katholiken in Kanada: Stellt euch der Kolonialgeschichte
Der Papst hat Kanadas Katholiken aufgefordert, sich den dunklen Seiten ihrer Geschichte zu stellen und den mühsamen Weg von Versöhnung und Heilung zu beschreiten. "Warum ist das passiert? Wie konnte das passieren?" seien brennende Fragen, denen man sich stellen müsse, so Franziskus am Donnerstagvormittag (Ortszeit) bei einer Messe im Wallfahrtsort Sainte-Anne-de-Beaupre. Er bezog sich dabei auch auf das Hauptthema seiner "Bußreise", das Unrechtssystem der kanadischen Residential Schools und die Verwicklung der Kirche darin.
Vor rund 7.000 Gläubigen in und vor der Kirche warnte der Papst davor, bei Misserfolgen wegzulaufen und sich ihnen nicht zu stellen. Eine solche Versuchung wollen glauben machen, "dass das Scheitern nun endgültig ist". Auch seien allgemeine Mutmach-Worte, Gelegenheitsfloskeln und oberflächliche Tröstungen keine Art, sich Unrecht und Leid zu stellen. Vielmehr müsse jeder sich selbst fragen, was er tun könne auf dem Weg zu einer "gerechteren und geschwisterlicheren Gesellschaft".
Die Lehre Jesu weise einen Weg, die "Wunden der Vergangenheit zu heilen" und sich "mit Gott und untereinander zu versöhnen". Daher dürften in den anstehenden Fragen, Kämpfen und seelsorglichen Aktivitäten "nicht wir selbst und unser Versagen", sondern Jesus Christus in den Mittelpunkt gestellt werden. Sowohl die Bibel wie auch die Geschichte zeigen laut Franziskus zudem, dass bei Versöhnung und Heilung Frauen eine wesentliche Rolle spielen.
Zu Beginn des Gottesdienstes, bei dem indigene Vertreter u.a. die Fürbitten lassen und die Gaben zum Altar brachten, kam es zu einem Zwischenfall. Beim Einzug der Bischöfe in die Kathedrale hielten zwei indigene Frauen ein Transparent hoch mit der Aufschrift "Rescind the doctrine!" (Widerruf die Doktrin!). Die frühere kirchliche "Doktrin der Entdeckung" hatte Europas Kolonialherrschern einen Vorwand zur Enteignung und Entrechtung indigener Völker geliefert.
Franziskus hat sich während seines Kanadabesuches dazu bisher nicht geäußert. Eine Sprecherin des Papstreise-Organisationsteams erklärte laut Medienberichten, es werde an einer Erklärung zur "Doktrin der Entdeckung" gearbeitet. Kanadas Bischöfe, der Vatikan und weitere Experten befassten sich mit dem Thema. Zwar hätten diese Urkunden längst keine rechtliche und moralische Autorität mehr. Weil sie aber auch in Gesetze und Rechtsprechung der Kolonialmächte und folgender Regierungen eingeflossen seien, wolle man sich damit befassen.
An der Messe mit dem Papst in Sainte-Anne-de-Beaupre nahm auch Kanadas Regierungschef Justin Trudeau teil. Quebecs Erzbischof Kardinal Gerald Cyprien Lacroix verlas am Ende des Gottesdienstes ein Dankwort, in dem er Papst Franziskus dafür dankte, dass er die katholische Kirche auf dem Weg der Versöhnung und Heilung begleite. Die erwarteten Ergebnisse könnten "sich nicht über Nacht einstellen". Sie erforderten "eine gehörige Portion Geduld und aufrichtige Gesten der Akzeptanz und Einfühlungsvermögen". Jeder Schritt der Versöhnung erfordere Verzicht, Demut, Verständnis und Offenheit für Leben und Kultur der anderen, sagte der Kardial.
Sainte-Anne-de-Beaupre, 30 Kilometer nordwestlich von Quebec am Ufer des Sankt-Lorenz-Stroms, gilt als Kanadas Nationalheiligtum und ältester katholischer Wallfahrtsort Nordamerikas. Die Kirche ist der heiligen Anna, der Mutter Marias und Patronin der Provinz Quebec geweiht. Jährlich kommen rund eine Million Menschen dorthin.
Quelle: kathpress