Deutsche Theologin: Glaubenszweifel besser als Fundamentalismus
Ein "Plädoyer für den Zweifel" hat die deutsche Religionspädagogin und Buchautorin Anna Jürgens gehalten: Wer Wahrhaftigkeit vor sich selbst als großes Gut ernst nimmt, könne sich nicht damit zufriedengeben, "die Antworten anderer nachzuplappern, wenn er im tiefsten Inneren an ihnen zweifelt", heißt es in ihrem aktuellen Beitrag für das Theologie-Portal "feinschwarz.net". Jürgens billigt dem Zweifel auch eine schützende Funktion gegen Fundamentalismus zu, denn: "Wer zweifelt, neigt weniger zu Extremen... - oder können Sie sich ernsthaft einen zweifelnden Fundamentalisten vorstellen?"
Für ihr Buch "Was glauben eigentlich Atheisten?" (Grünewald 2021) führte die Theologin auch Interviews mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die die Frage "Glaubst du an Gott?" nicht mit Ja beantworten können. In ihren Zweifeln und in ihrem Ringen um ein kohärentes Weltbild, das naturwissensschaftliche Erkenntnisse ebenso einschließt wie Antworten auf Sinnfragen, hätten ihre Interviewpartner teilweise "eine für ihr Alter erstaunliche gedankliche Tiefe" erreicht. Während gläubige Jugendliche von ihrer Religionsgemeinschaft ein "fertiges Weltbild" präsentiert bekämen, das sie oft unhinterfragt übernehmen, kann der Zweifel an überlieferten Glaubenssätzen laut Jürgens "bei den nicht (mehr) gläubigen Jugendlichen zu einer intensiven Auseinandersetzung mit Sinnfragen führen".
Das ehrliche Suchen und Hinterfragen, auch ohne eine Antwort darauf zu finden, habe auch "einen spirituellen Wert", schrieb Jürgens. Wer zweifelt und sich traut, dies auch zuzugeben, gebe auf Sinnfragen nicht vorformulierte, "sozial erwünschte" Antworten, sondern selbst durchdachte, manchmal vielleicht auch unfertige und noch nicht zu Ende gedachte "Antwort-Entwürfe". Im Austausch darüber - mit dem Mut, eigene Unsicherheiten zuzugeben - könne das Weltbild weiter entwickelt und von anderen Antwortmöglichkeiten inspiriert werden, meinte die Autorin. Sie befürwortete zugleich eine "gewisse Unsicherheit im eigenen Glauben und die Bereitschaft, sich immer wieder kritisch mit traditionellen Überzeugungen auseinanderzusetzen". Dies ermögliche es gerade, auch andere Meinungen als plausibel in Betracht zu ziehen "und bewahrt den Glauben vor der Gefahr, intolerant und gewaltbereit zu werden", so Jürgens.
In Bezug auf die Existenz eines liebenden Gottes und ein Leben nach dem Tod habe sich aus ihren Interviews eine weitere interessante Beobachtung ergeben: Während bei Gläubigen Hoffen und Glauben in der Regel zusammenfallen, würde sich bei Atheistinnen oder Agnostikern beides unterscheiden oder sogar im Widerspruch zueinander stehen. Jürgens berichtete als Beispiel vom Jugendlichen Konstantin, der auf die Frage, was seiner Meinung nach dem Tod kommt, antwortete: "Ich glaub, ich verbind's mittlerweile mit dem Nichts, hoffe aber - inständig - dass es was danach gibt. Also wirklich. Die Vorstellung, dass alles vorbei ist, ist eigentlich unerträglich."
Quelle: kathpress