
Schönborn-Appell nach Kellermayr-Suizid: Gräben überwinden
"Versuchen wir, gemeinsam die Gräben zu überwinden!" Diesen Appell hat Kardinal Christoph Schönborn nach dem Tod der in der Coronapandemie hoch engagierten Ärztin Lisa-Maria Kellermayr an die Öffentlichkeit gerichtet. Ihren Suizid nach monatelangen Hassbotschaften und Gewaltandrohungen nannte der Wiener Erzbischof "erschütternd". In aller Stille hätten am vergangenen Montag tausende Menschen vor dem Stephansdom der jungen Ärztin gedacht. Diese Kundgebung "ohne Parolen, ohne Argumente, ohne Verurteilungen" sei ein starkes Zeichen des Zusammenhalts und des Respekts gewesen. "Was jetzt hilft: Zuhören, aufeinander zugehen, versöhnen", schrieb Schönborn in seiner Freitagskolumne für die Gratiszeitung "Heute" (5. August).
Nach zweieinhalb Jahren Pandemie mache es den Anschein, "als ob wir das Gröbste hinter uns hätten", verwies der Kardinal auf weitgehend aufgehobene Schutzmaßnahmen. "Doch was bleibt, sind die unzähligen Narben in der Gesellschaft." An der Impf-Frage seien Freundschaften zerbrochen und Familien zerrissen worden. Die Gewaltbereitschaft habe zugenommen. "Wie können Hass und Hetze derart um sich greifen, dass sie eine junge Ärztin in den Tod treiben?", so die betroffene Frage des Wiener Erzbischofs.
Schönborn riet zu einer rückblickenden Gewissenserforschung: "Was war richtig in der Pandemie-Bekämpfung und welche Maßnahmen waren vielleicht übertrieben? Aber vor allem: Hätten wir nicht alle besser mit der Pandemie umgehen können?"
Viel kirchliche Anteilnahme
Zu Beginn der Woche hatte auch der Vorsitzende der Österreichischen Bischofskonferenz, der Salzburger Erzbischof Franz Lackner seine Anteilnahme am Suizid der oberösterreichischen Medizinerin bekundet. Kellermayr habe ihre Kunst in den Dienst der Menschen gestellt. "Als Ärztin reihte sie sich ein in die große Schar der medizinischen Fachkräfte, die unter selbstloser Aufopferung ihren Beitrag zur Überwindung der Pandemie geleistet haben und noch leisten", würdigte Lackner in seiner Stellungnahme am Dienstag.
Der Präsident der Katholischen Aktion Österreich, Ferdinand Kaineder, nahm den Suizid zum Anlass für die Forderung, politisch motivierter Hass im Internet "entschieden entgegentreten". Der Fall müsse juristisch und politisch aufgearbeitet werden: "Die Bedroher der verstorbenen Ärztin müssen zur Rechenschaft gezogen werden und auch die Rolle der Polizei kann nicht ausgespart bleiben."
Der Wiener Dompfarrer hatte der von "#YesWeCare"-Initiator Daniel Landau veranstalteten Kundgebung vor einer Woche sofort seine Unterstützung zugesagt. Die Glocken des Stephansdoms begleiteten das Gedenken und Gebet für die Verstorbene. Die "ruhige, gesammelte Stimmung" während der Kundgebung, die völlig auf Aggressionen oder "Zurückschlagen" verzichtet habe, halte er für wirkungsvoller gegen aufgeheizte Emotionen als bloßes Argumentieren, so Faber.
(HINWEIS - Sie sind in einer verzweifelten Lebenssituation und brauchen Hilfe? Sprechen Sie mit anderen Menschen darüber. Die Telefonseelsorge ist rund um die Uhr und gebührenfrei unter der Notrufnummer 142 erreichbar sowie unter www.telefonseelsorge.at. Hilfsangebote für Personen mit Suizidgedanken und deren Angehörige bietet das Suizidpräventionsportal des Gesundheitsministeriums unter www.suizid-praevention.gv.at.)
Quelle: kathpress