
Amnesty-Geschäftsführerin: Menschenrechte im Iran wiederherstellen
"Die internationale Staatengemeinschaft darf nicht länger zusehen, wie im Iran Menschenrechte mit Füßen getreten werden und die Verantwortlichen nach wie vor straflos bleiben": Das hat die Österreich-Geschäftsführerin von "Amnesty International" (AI), Annemarie Schlack, im Interview mit der Kooperationsredaktion der Kirchenzeitungen (aktuelle Ausgaben) eingefordert. Die UN müsse die Verletzungen der Menschenrechte durch den Staat im Iran bei den aktuellen Demonstrationen und auch denen früherer Jahre untersuchen, dokumentieren und Handlungsempfehlungen aussprechen, um das "Klima der Straflosigkeit endlich zu beenden", drängte die Menschenrechtsaktivistin.
Schon seit Mitte September ebbt im Iran die Protestwelle wie auch die massive Gegengewalt durch das Regime nicht ab. Auslöser war Tod der 22-jährigen Kurdin Masha Amini, die in Teheran von der iranischen Sittenpolizei verhaftet wurde, weil sie ihre Haare nicht vorschriftsmäßig mit dem Kopftuch bedeckt haben soll. Zeugen werfen der Polizei vor, Amini verprügelt zu haben, kurze Zeit darauf verstarb sie im Krankenhaus. Bereits seit 2005 kontrolliert die iranische Sittenpolizei die Einhaltung des Zwangsverschleierungsgesetzes. Frauen, die dagegen verstoßen, werden festgenommen, in den Bekleidungsvorschriften unterwiesen und mitunter auch den Strafverfolgungsbehörden gemeldet.
Die Amnesty-Geschäftsführerin äußerte ihre Bewunderung für "all die mutigen Frauen, aber auch Männer und sogar Kinder, die ihr Leben riskieren, um sich solidarisch mit den Opfern zu zeigen und eine längst fällige Änderung des Systems im Iran zu fordern". Viele der Demonstranten seien verletzt und gefoltert worden, manche von ihnen aus nächster Nähe von Sicherheitsbehörden erschossen, als ihr Recht auf freie Meinungsäußerung wahrnahmen und ihrem Unmut kundtaten. Auf Anweisung der obersten Militärbehörde würden die Streitkräfte die Menschen durch die Straßen jagen, verprügeln und auf sie gezielt mit scharfer Munition, darunter auch Schrotkugeln, schießen.
Die Bilanz der jüngsten Proteste sei verheerend, betonte Schlack: Zehntausende seien seit Ausbruch der Demonstrationen festgenommen, Hunderte getötet und Tausende verletzt worden. AI seien bislang mehr als 200 Menschen namentlich bekannt, die seit dem Beginn der Proteste getötet wurden, darunter 30 Kinder. "Wir nehmen aber an, dass die Zahlen noch viel höher sind", so die Menschenrechtlerin. Bei den Inhaftierten gehe man von 15.000 bis 16.000 Menschen aus. In Verbindung mit den Demonstrationen liefen zudem bisher mindestens 21 unrechtmäßige Scheinprozesse, bei denen den Angeklagten die Todesstrafe droht.
Die besondere Sorge von Menschenrechtsgruppen gilt dem berüchtigten Evin-Gefängnis in Teheran, in dem mehrere tausend Personen inhaftiert sein dürften, darunter hunderte politische Gefangene, "die willkürlich dort festgehalten werden, weil sie friedlich von ihren Menschenrechten Gebrauch gemacht hatten", sagte Schlack. Auch zahlreiche Menschen mit Doppelstaatsbürgerschaft, wie die Österreicher Massud Mossaheb und Kamran Ghaderi, seien darunter. Folter und unmenschliche Haftbedingungen stünden laut Berichten von Betroffenen und Angehörigen an der Tagesordnung. 2021 geleakte Überwachungskameras-Videoaufnahmen zeigten, wie Inhaftierte vom Wachpersonal geschlagen, sexuell belästigt und auf andere Weise gefoltert und misshandelt wurden.
Hintergrund der Proteste und des harten Regimekurses ist die Revolution von 1979, als die Monarchie gestürzt und die Islamische Republik von Ayatollah Khomenei ausgerufen wurde, erinnerte Schlack. - Damals als Reaktion auf die "zu westlich" angesehene Politik des bis dahin regierenden Schahs Mohammad Reza Pahlavi, auch bezüglich der Frauenrechte, der etwa das Kopftuch in staatlichen Einrichtungen und Banken verboten hatte. Die geistlichen Führer nutzten damals Ressentiments gegen den Westen, um sich im Land als Vorkämpfer der Unabhängigkeit zu präsentieren, und setzten dann ihre rigiden Moralvorschriften durch. Diese beruhten auf einer "fundamentalistischen Interpretation des Koran, die Frauen als Menschen mit geringeren Rechten ansieht", dabei aber nicht dem allgemeinen Bewusstsein im Land entspreche. "Die Menschen im Iran wollen eine Veränderung; und sie wollen Gerechtigkeit", betonte die Expertin. (Infos: www.amnesty.at)
Quelle: kathpress