
Faber: Christentum ohne Judentum wäre eine "amputierte Religion"
Ohne das Judentum wäre das Christentum eine "amputierte Religion". Das hat der Wiener Dompfarrer Toni in einem Interview mit dem jüdischen Magazin für Politik und Kultur "Nu" betont. Wörtlich hielt Faber fest: "Wir müssen uns vergegenwärtigen, dass unsere christliche Kirche im Gründungsdokument nur von jüdischen Frauen und Männern handelt und von nichts anderem. Die Heilige Schrift ist der erste Bund Gottes mit seinem Volk. Ich selbst habe nach Israel kommen müssen, um biblische Geschichte und Literatur zu studieren, damit ich endlich erkennen konnte, dass wir das Judentum nicht wie ein lebendiges Museum betrachten sollen, sondern dass es ein lebendiger Teil von uns ist."
Zur Frage, wie er die gegenwärtige Beziehung zwischen Christen und Juden beschreiben würde, meinte Faber: "Es ist ein ungeheuer belastetes Verhältnis, weil den Jüdinnen und Juden unsägliche Verbrechen im Namen des christlichen Glaubens angetan worden ist - in einer völligen Verdrehung all dessen, was biblische Geschichte im Gesamten bedeutet." Jesus und die zwölf Apostel seien natürlich alle praktizierende Juden gewesen, "die nicht daran dachten, die Synagoge zu verlassen, sondern versuchten, eine messianische Richtung des Judentums zu leben". Glücklicherweise sei dies nach der Schoah im Zuge des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-65) aufgearbeitet worden. Endlich wurde betont, so Faber, "dass Jüdinnen und Juden unsere älteren Brüder und Schwestern sind, dass wir aus demselben Stamm gewachsen sind". Heute würden die Christen die Bibel "ohne diese schrecklich antisemitische Brille" lesen und sie wüssten genau, was sie dem jüdischen Volk schuldig seien.
Faber weiter: "Wir müssen uns der fürchterlichen Leidensgeschichte des jüdischen Volks stellen, die wir als Christen mitgeschrieben haben." Gerade aus der schrecklichen Erfahrung der Schoah heraus "muss jeder Mensch diese Barbarei begreifen und erkennen, dass der Antisemitismus mit uns zu tun hat. Niemand kann das leugnen." Er könne es etwa auch nicht leugnen, "wenn ich am Riesentor des Stephansdoms die Darstellungen des Judenhutes sehe; wenn ich weiß, was in der Gesera, der Zerstörung der jüdischen Wiener Gemeinde im Mittelalter, passiert ist. Wenn ich weiß, wo unsere Synagogen niedergebrannt worden sind." Dem allem müsse man sich stellen, auch was etwa die künstlerischen Darstellungen am Stephansdom anbelangt. "Hier ist noch viel zu tun", so der Dompfarrer.
Faber musste im Interview auch einräumen, dass es immer noch christlichen Antisemitismus gebe, "in diesen diffusen Formen des sektiererischen, erzreaktionären Christentums, der verschrobenen Frömmigkeit". Andererseits verwies er etwa auf die Päpste seit Paul VI., die viele Zeichen in Richtung des Judentums gesetzt hätten. Papst Franziskus habe etwa auch ein Weltgebet initiiert, bei dem jüdische und muslimische Vertreter gemeinsam mit christlichen zusammenkommen. Damit werde deutlich aufgezeigt, "dass wir alle Brüder und Schwestern sind".
Quelle: kathpress