
Hunger: Diakonie-Direktorin kritisiert "Mythos der Überbevölkerung"
Die Zahl der Menschen, die weltweit hungern, ist von 678 Millionen im Jahr 2019 auf gegenwärtig 828 Millionen gestiegen. Doch nicht die Überbevölkerung in den ärmeren Ländern der Welt sei der "Hunger-Treiber", sondern Kriege, die Pandemie, globale strukturelle Ungleichheit und der Klimawandel. Das schreibt Diakonie-Direktorin Maria Katharina Moser in einem Kommentar in der aktuellen Ausgabe der Wochenzeitung "Die Furche". Und sie stellt mit Bedauern fest: Der Mythos von der Überbevölkerung halte sich hartnäckig.
Dieser gehe zurück auf Thomas Robert Malthus, der 1798 mit Blick auf England die These aufstellte, die Bevölkerung würde progressiv wachsen, die Nahrungsmittelproduktion hingegen nur linear. Die Folge seien Hungersnöte, die wiederum bewirkten, dass das Gleichgewicht zwischen Bevölkerung und Nahrungsmittel wiederhergestellt würde. Als Forderung leitete Malthus daraus ab, man dürfe den Armen nicht helfen und keine Sozialreformen durchführen, denn das würde das Bevölkerungswachstum vorantreiben. Freilich: Malthus sei auf ganzer Linie falsch gelegen, wie Moser schreibt. Noch im 19. Jahrhundert hätten die Hungersnöte in Europa aufgrund der Entwicklungen in der Landwirtschaft ein Ende gefunden. "Entwicklung führt zu höherem Lebensstandard und höherem Bildungsniveau und das wiederum zum Sinken der Reproduktionsrate", so die Diakonie-Direktorin.
Verteilungsprobleme und Ressourcenverbrauch
Nicht zuletzt würden heute genug Nahrungsmittel produziert, um die acht Milliarden Menschen auf der Welt zu ernähren. "Dass so viele Menschen hungern, liegt am ungleichen Zugang zu den Lebensmitteln." Es gebe sogar einen "Überschuss" bei der weltweiten Kalorienproduktion von 24 Prozent, das zeige der "Dietary Energy Supply-Indikator" der Welternährungsorganisation FAO. Experten gingen davon aus, dass die Erde auch zehn Milliarden Menschen ernähren kann - vorausgesetzt, wir entwickeln unsere Landwirtschaft weiter in Richtung klima- und ressourcenschonende Produktion.
Jeder zehnte Mensch auf dieser Welt hungert, so Moser weiter, und gleichzeitig würden jährlich 931 Millionen Tonnen Lebensmittel verschwendet, 57 Millionen davon in Europa, eine Million in Österreich. Hunger sei deshalb auch ein Problem globaler struktureller Ungleichheit.
Zur Verteilungsproblematik gehöre auch der Ressourcenverbrauch in der Lebensmittelproduktion. Am Beispiel tierischer Produkte lasse sich dies plastisch verdeutlichen, so die Diakonie-Direktorin: Rund 15 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen gingen auf das Konto der Nutztierhaltung. Nur 33 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche werde für den Anbau von Pflanzen für den menschlichen Verzehr genutzt, auf 67 Prozent der Fläche werde Tierfutter angebaut. Fläche, für die Wälder gerodet werden, die CO binden könnten.
Um eine Kalorie tierischer Produkte zu produzieren, müssten drei bis zehn pflanzliche Kalorien eingesetzt werden - Kalorien, die direkt zur Ernährung von Menschen dienen könnten. Nochmals am Beispiel von Soja verdeutlicht: 87 Prozent des weltweit angebauten Sojas wird an Tiere verfüttert und nur 13 Prozent zu Lebensmitteln verarbeitet.
Oder: Auf der Fläche, die man für die Produktion von 60 kg Fleisch braucht, könnte Getreide für mindestens 420 Kilo Brot angebaut werden, so Moser. Ihre Schlussfolgerung: "Hunger hat eben auch mit unserem Lebensstil zu tun. Sich das vor Augen zu führen, ist, nun ja, sagen wir: nicht gerade angenehm." Da sei es wohl leichter, weiterhin die Armen in Afrika als Problemverursacher zu sehen.
Quelle: kathpress