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Kathpress / Henning Klingen

Experten: Religion kann stabilisierende Kraft für Demokratie sein

Prominent besetzte Podiumsdiskussion zum Abschluss der Tagung "Krise der Demokratie - Rolle der Religion" im Wiener Rathaus

29.11.2023

Religionen können eine stabilisierende Kraft für Demokratien darstellen - eine Kraft, die allerdings "ambivalent" bleibt, da auch Religionen nie gefeit sind vor politischem Missbrauch. Darin haben sich Teilnehmerinnen und Teilnehmer einer Podiumsdiskussion am Dienstagabend im Wiener Rathaus einig gezeigt. Durch ihren Bezug auf eine letzte verbindliche Instanz würden Religionen sich in der Verantwortung sehen, gesellschaftlichen Zusammenhalt und Solidarität zu fördern und den Marginalisierten eine Stimme zu geben bzw. aufzeigen, wie man trotz unterschiedlicher Überzeugungen friedlich miteinander leben kann. Die Podiumsdiskussion bildete den Abschluss der interdisziplinären Tagung "Krise der Demokratie - Rolle der Religion", die die katholische Theologin Regina Polak initiiert hatte.

 

Auf dem Podium diskutierten der Generalsekretär der Österreichischen Bischofskonferenz, Peter Schipka, Rabbiner Schlomo Hofmeister, der Vorsitzende der Islamischen Glaubensgemeinschaft, Ümit Vural, der Philosoph Johann Schelkshorn, die Politikwissenschaftlerin Sieglinde Rosenberger und der Leiter der Stabsstelle Strategische Kommunikation in der Parlamentsdirektion, Karl-Heinz Grundböck.

 

Schipka unterstrich in der Diskussion, dass der Wahrheitsanspruch der Religionen keinen Widerspruch zu einem friedlichen Zusammenleben darstelle - im Gegenteil: Indem Religionen einander das Recht zusprechen, Wahrheitsansprüche zu erheben, würden sie "Pluralitätsfähigkeit einüben" - eine Kompetenz, die es in pluralen Gesellschaften dringend brauche, so der Generalsekretär. Auch hätten Religionen aufgrund ihrer Zuwendung zu einer letzten Instanz, der sie sich verantworten müssten, in politischer Hinsicht eine "anti-totalitäre Spitze" - auch dies sei ein wichtiger Beitrag für ein modernes Gemeinwesen. Schließlich verwies Schipka auf die Religionsneutralität des Staates, die eine wichtige Grundfunktion moderner Demokratie darstelle. Diese dürfe allerdings nicht so verstanden werden, dass nicht religiöse gegenüber religiösen Menschen bevorzugt würden, mahnte Schipka.

 

Der Rabbiner Hofmeister unterstrich seinerseits, dass "Individualismus und Egoismus Gift sind für die Demokratie" - und die Religionen dagegen Solidarität und Gemeinschaft vorlebten und als Werte einspeisen könnten. Die großen Weltreligionen eine dieses grundlegende "Wertesystem, in dem es um gesellschaftlichen Zusammenhalt und Verantwortung geht", zeigte sich Hofmeister überzeugt. Entsprechend würden Religionen Demokratie auch daran erinnern, dass sie nicht auf einem Recht der Mehrheit basiere, sondern auf einer Verantwortung der Mehrheit den Minderheiten gegenüber, in deren Sinne es gelte, Probleme zu lösen.

 

Nahost: "Kein religiöser Konflikt"

 

Auch IGGÖ-Präsident Vural betonte die "stabilisierende Kraft der Religion für die Demokratie", die in verbindenden Werten wie Gerechtigkeit, Gleichheit und der Anerkennung der Menschenrechte liege. Daher dürften Religionen auch nicht "aus der Öffentlichkeit verbannt" werden, da sie Vielfalt vorlebten. "Unser Ziel muss es sein, eine Gesellschaft aufzubauen, in der sich die Menschen in ihrer Unterschiedlichkeit zugleich zugehörig fühlen können und lernen, gemeinsam in Vielfalt zu leben". Österreich sei da ein leuchtendes Beispiel des Miteinander von Staat und Religionen, lobte Vural das "Kooperationsmodell".

 

Zugleich verwies Vural dabei auf den Schulterschluss zwischen ihm und Hofmeister in Folge des Terror-Angriffs der Hamas auf Israel am 7. Oktober. Beide seien sich einig, dass der Konflikt "politischer und nicht religiöser Natur" sei und daher auch das Verhältnis der Religionen untereinander nicht belaste. "Wir zeigen, dass Juden und Muslime in Österreich in Frieden leben können."

 

Zwiespältig fiel das Urteil der Politikwissenschaftlerin Sieglinde Rosenberger aus: Zwar treffe es zu, dass Religionen im Bereich des gesellschaftlichen Zusammenhalts eine wichtige "Stütze für die Demokratie" sein könnten - zugleich aber würden sich Religionen doch immer wieder mit der Anerkennung der Menschenrechte, mit der Anerkennung des Pluralismus schwertun. "Wenn ich in die internationale Politik schaue, dann tue ich mich schwer, Religionsgemeinschaften zu finden, die derzeit eine starke Stimme gegen autoritäre Entwicklungen erheben", so die Politikwissenschaftlerin. Im Gegenteil könne man etwa in Osteuropa eine verhängnisvolle Nähe zwischen totalitären Regimen und Religionen feststellen. Hier brauche es ein hohes Maß an Reflexion und Selbstkritik, um einer "Instrumentalisierung" durch die Politik zu widerstehen.

 

Zudem sprach sich Rosenberger für eine breite religiöse Bildung schulischer Art in Form einer "Kulturbildung" aus. Sie verstehe diesbezüglich nicht, warum sich die Religionsgemeinschaften nicht stärker in das Projekt des Ethikunterrichts einbringen.

 

Klares Auftreten gegen autoritäre Tendenzen

 

Ein klareres öffentliches Auftreten gegen autoritäre Politiken wünschte sich der Wiener christliche Philosoph Johann Schelkshorn von den Religionsgemeinschaften. Gerade in Ungarn, wo der gesellschaftliche und politische Umbau in Richtung eines autoritären Regimes bereits weit fortgeschritten sei, brauche es einen "Aufschrei der Kirchen", forderte Schelkshorn. Dies gelte umso mehr, als diese Regime eine Umwertung der Universalität der Menschenrechte in ethnische Bürgerrechte vornehmen würden - ein Prozess, der selbst "anti-christlich" sei, so Schelkshorn, da er sich von der Idee der Universalität und Gleichheit aller Menschen verabschiede.

 

Der parlamentarische Kommunikationsexperte Karl-Heinz Grundböck betonte seinerseits, dass die gegenwärtige Krise der Demokratie zuallererst eine "Krise der Kommunikation" darstelle: "Es ist eine Krise der Verständigung und eine Krise der Idee, dass der andere vielleicht doch recht haben könnte". In dieser Hinsicht könne Religion einen wichtigen Beitrag leisten, so Grundböck, da sie an einem gemeinsamen Menschenbild festhalte und Religionen eine Haltung kultivieren, "dass der andere vielleicht doch auch recht haben könnte". Gleichwohl bleibe Religion ambivalent, da sie auch als "Instrument der Abgrenzung" instrumentalisiert werden könne und die Krise gar noch vertiefen könnte.

 

Die von der Wiener Pastoraltheologin Regina Polak federführend organisierte Tagung "Krise der Demokratie - Rolle der Religion" präsentierte in verschiedenen Foren und Vorträgen Ergebnisse einer Spezialauswertung der jüngsten Europäischen Wertestudie mit dem Fokus auf der Rolle der Religion in der Krise der Demokratie. Erschienen sind diese Ergebnisse u.a. in der Studie "Values - Politics - Religion: The European Values Study". (Infos: www.werteforschung.at)

 

Bischof Zsifkovics: Demokratie hat Zukunft

 

Seinen Glauben an die Zukunft der Demokratie trotz aller gegenwärtigen Krisen hat der Eisenstädter Bischof Ägidius Zsifkovics bekräftigt. "Ich vertraue fest darauf, dass die demokratischen Einrichtungen stärker sind als die Krisen und Probleme, und, dass Demokratie Zukunft hat", schrieb Zsifkovics in einem Grußwort zur Tagung "Krise der Demokratie - Rolle der Religionen", die am Dienstag in Wien stattfand. Der Eisenstädter Bischof hätte an dem abschließenden Podiumsgespräch teilnehmen sollen, war aber aus Termingründen verhindert und schickte stattdessen ein ausführliches Grußwort zum Thema der Tagung.

 

Mit Blick auf die christlichen Kirchen machte Zsifkovics drei Ebenen aus, auf denen diese einen Beitrag zum Gelingen von Demokratie leisten könnten: Auf Ebene der individuell gelebten Religion in dem Maße, wie Religion für Menschen "sinnstiftend" wirke und eine "Hoffnung, die weit über diese begrenzte Welt hinausweist" vermittle; auf Ebene der Gesellschaft, insofern das große Netzwerk von Pfarren, Orden, aber auch von caritativen, schulischen, universitären und kulturellen Einrichtungen dazu beiträgt, ein "Leben in gegenseitiger Verwiesenheit und gegenseitigem Respekt" zu führen; und schließlich auf Ebene der Politik, wo die christlichen Kirchen für Menschenwürde, Versöhnung und als "Brückenbauer" zwischen Parteien, Sozialpartnern etc. auftreten könnten.

 

"Die Kirche muss die Stimme der Menschen sein. Demokratie ist keine Religion, Religionen sind von ihrem Grundverständnis her nicht demokratisch, aber Demokratie und Religion können voneinander lernen, miteinander Verantwortung übernehmen, sich sogar gegenseitig belebt", so der Eisenstädter Bischof.

 

 

Quelle: kathpress

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