
Polak: Religion kann in aktueller Krisenstimmung Gegenakzente setzen
Eine von "apokalyptischen Ängsten" und einer generellen Krisenstimmung durchzogene Gesellschaft braucht dringend "neue Visionen und Ideen" und eine "Stärkung der Hoffnungskräfte" - Ressourcen, die die Religionen auch heute noch bieten können. Das hat die Wiener Pastoraltheologin Regina Polak zum Auftakt einer interdisziplinären Konferenz am Dienstag, 28. November, im Wiener Rathaus betont. Polak ist Hauptinitiatorin der Tagung unter dem Titel "Krise der Demokratie - Rolle der Religion", bei der zentrale Ergebnisse der Europäischen Wertestudie (EVS) vorgestellt und diskutiert werden und konkrete Handlungsempfehlungen entwickelt werden sollen.
Die liberalen Demokratien seien in die Defensive geraten, nicht nur Kriege und die Nachwirkungen der Corona-Pandemie würden Gesellschaften destabilisieren - ein wichtiges Warnsignal stellten auch der Anstieg des Antisemitismus, der Muslimfeindlichkeit und der rückläufigen Pluralitätsfähigkeit insgesamt dar, so die Theologin. "Das schauerliche Ausmaß an Antisemitismus und auch an Muslimfeindlichkeit in den sozialen Medien ist ein Warnsignal für die Krise der Demokratie". Um so wichtiger sei es, "Demokratie als Lebensform" neu zu entdecken und engagierte Menschen wie demokratische Institutionen zusammenzubringen. "Demokratie ist keine selbstverständliche Dienstleistung" - sie bedürfe des ständigen Einsatzes.
Die an der Uni Wien forschende Theologin verwies dabei auf Daten und Auswertungen der Europäischen Wertestudie (EVS), die zuletzt in zwei Sonderauswertungen in Österreich 2021/22 u.a. einen Rückgang an Zufriedenheit mit der Demokratie sowie einen Vertrauensverlust in Institutionen konstatierte. Es seien "Polarisierungen und ein deutlicher Rechtsruck" beobachtbar - ob man schon von einem "politischen Kipppunkt" sprechen könne in Richtung einer autoritären Entwicklung sei offen, so Polak. Ein bloßer Appell an verbindende Werte jedenfalls genüge nicht mehr, zeigte sich die Forscherin überzeugt: Es gebe nämlich weder einen Konsens darüber, was Werte genau sind, noch darüber, inwiefern Werte in ethische Handlungsmuster einmünden.
Religion habe indes die Kraft, "Resonanzbeziehungen herzustellen" und ein positives "Weltverhältnis" zu begründen - beides wichtige Momente für eine zukunftsfähige Demokratie. Insofern könne man mit dem Soziologen Hartmut Rosa sagen, dass Religion wichtig für die Demokratie sei, so Polak in ihrer Eröffnungsansprache.
Die Sozialwissenschaftlerin Prof. Sylvia Kritzinger stellte infolge das "Netzwerk Interdisziplinäre Werteforschung" vor, in dem an der Uni Wien Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den Bereichen Theologie, Philosophie, Bildungswissenschaften, Rechtswissenschaften, Sozialwissenschaften und Psychologie zusammengeschlossen sind, um die EVS-Daten für Österreich auszuwerten und zu interpretieren. Vorgestellt wurde außerdem von Patrick Rohs die auf diesen Daten basierende Studie "Values - Politics - Religion: The European Values Study". Die u.a. via open access-Format veröffentlichte Studie wurde bereits über 10.000 Mal heruntergeladen. Sie wertet die EVS mit einem besonderen Fokus auf den Zusammenhang von Werten, Politik und Religion aus.
Die Diskussion über den Einfluss der Werte bzw. Wertorientierungen in Politik und Religion sei eine wesentliche im Blick auf die Zukunft der Demokratie, führte Rohs aus. "Wie geht es weiter, wenn es keine Rückkehr zur früheren Normalität gibt? Stehen wir vor neuen Wertekonflikten?" Die Pandemie habe jedenfalls vorhandene Wertedynamiken und Bruchlinien beschleunigt bzw. sichtbarer gemacht.
Den Abschluss der Tagung bildet am Abend eine Podiumsdiskussion, an der Vertreter der unterschiedlichen Religionsgemeinschaften teilnehmen. Diskutieren werden u.a. laut Tagungsprogramm der katholische Bischofskonferenz-Generalsekretär Peter Schipka, Rabbiner Schlomo Hofmeister und IGGÖ-Präsident Ümit Vural; außerdem die Politikwissenschaftlerin Sieglinde Rosenberger, EU-Kommissionsvertreter Martin Selmayr, Karl-Heinz Grundböck von der Parlamentsdirektion und Johann Schelkshorn vom Wiener Institut für Interkulturelle Religionsphilosophie. (Infos: www.werteforschung.at)
Quelle: kathpress