Christen und Juden: Lernen und Versöhnung als bleibende Aufgaben
Der Weg des voneinander Lernens, der Verständigung und der Versöhnung von Christen und Juden hat in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten bereits gute Früchte gebracht, bleibt aber weiterhin eine dringliche Aufgabe. Das war der Tenor beim Gottesdienst des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich (ÖRKÖ) zum "Tag des Judentums". Die Spitzen des ÖRKÖ feierten den Gottesdienst Mittwochabend in der Wiener katholischen Kirche St. Josef-Weinhaus.
Dem Gottesdienst standen u.a. der ÖRKÖ-Vorsitzende Bischof Tiran Petrosyan, die evangelische Oberkirchenrätin Ingrid Bachler, der griechisch-orthodoxe Archimandrit Athanasius Buk, der rumänisch-orthodoxe Bischofsvikar Nicolae Dura, der anglikanische Kanonikus Patrick Curran und der reformierte Landessuperintendent Thomas Hennefeld vor. Weitere Mitfeiernde waren die methodistische Pastorin Esther Handschin, Lektor Walter Fürsatz von der Altkatholischen Kirche, Chorepiskopos Emanuel Aydin von der Syrisch-orthodoxen Kirche, ein Vertreter der Koptisch-orthodoxen Kirche, sowie Kaplan P. Matthias Cepielik als "Hausherr" in St. Josef Weinhaus.
Zu dem Gottesdienst hatten gemeinsam die Pfarre, der ÖRKÖ und der Koordinierungsausschuss für christlich-jüdische Zusammenarbeit geladen. Die Wahl der Kirche St. Josef-Weinhaus für den Gottesdienst zum "Tag des Judentums" war bewusst erfolgt, denn sie war Ende des 19. Jahrhunderts ein Ort antisemitischer Propaganda. Die Pfarre hat sich in den vergangenen rund 10 Jahren intensiv mit dieser Vergangenheit auseinandergesetzt.
Schuldgeschichte aufarbeiten
Pastorin Handschin ging in ihrer Predigt auf die schuldbehaftete antisemitische Geschichte des Christentums ein. "Dass Gottes Zusage und sein Bund mit Israel unverbrüchlich gilt, wurde nicht nur ignoriert, sondern verneint. Das wurde von den Christen nicht nur in ihren Schriften niedergeschrieben. Es wurde auch mit Gewalt durchgesetzt. Dadurch missachteten Christinnen und Christen Gottes Gebote und das Wort, das sie zum Leben führt", so Handschin. Sie würdigte die Aufarbeitung der antisemitischen Vergangenheit in der Pfarre St. Josef-Weinhaus durch die Gemeindemitglieder selbst.
"Vor gut zehn Jahren haben sich die Verantwortlichen dieser Pfarre mit ihrer Gemeinde auf einen Weg gemacht. Sie haben sich ihrer Pfarrgeschichte befasst. Sie haben sich bewusst gemacht, dass Hetzreden an dem Ort erklungen sind, wo sie heute das Wort Gottes hören. Sie haben ihren Willen bekundet, umzukehren und einen neuen Weg zu beschreiten." Unter anderem mit der Errichtung der Tafeln vor der Kirche hätten sie diesen Willen bekunden und öffentlich machen. "Denn das gehört zum Bekenntnis von Schuld und Umkehr. Sie geschieht nicht im stillen Kämmerlein, sondern es geschieht vor Gott und der Öffentlichkeit."
Konzil leitet Umdenken ein
Als Grundlage zu diesen Schritten würdigte die methodistische Pastorin die vom Zweiten Vatikanischen Konzil im Jahr 1965 verabschiedete Erklärung "Nostra aetate", mit der die Römisch-katholische Kirche ihr Verhältnis zum Judentum grundlegend neu bestimmte. Handschin hob zugleich aber auch das Dokument "Zeit zur Umkehr - die Evangelischen Kirchen in Österreich und die Juden", das vor 25 Jahren von der lutherisch-reformierten Generalsynode verabschiedet wurde. Und sie würdigte auch das Dokument "Dabru Emet - Redet Wahrheit" von jüdischer Seite aus dem Jahr 2000.
Erklärungen der einen Seite würden von der anderen Seite wahrgenommen und beantwortet, so Handschin: "Auf diese Weise werden neue Wege beschritten und es wird das Leben gesucht. Das geschieht vielleicht nicht in dem Tempo, in dem junge Menschen unterwegs sind. Aber es bewegt sich in den vergangenen 60 Jahren mehr als in den vielen Jahrhunderten davor. So sind wir miteinander auf einem Weg des Lernens, der Verständigung und der Versöhnung."
Pfarrer Joseph Deckert
Die Geschichte des Antisemitismus in St. Josef-Weinhaus ist untrennbar mit dem Namen Joseph Deckert verbunden. Pfarrer Joseph Deckert (1843-1901), nach ihm war früher der Platz vor der Kirche benannt, hielt in ihr "antisemitische Conferencen" ab. Deckert war von 1874 bis 1901 Pfarrer von St. Josef-Weinhaus.
Die Pfarrgemeinde hat sich inzwischen ausführlich mit ihrer antisemitischen Vergangenheit auseinandergesetzt, wie Pfarrgemeinderat Heinz Kasparovsky eingangs des Gottesdienstes erläuterte. An der Kirchenmauer wurde eine Tafelkomposition angebracht, die darüber Auskunft gibt. Die Enthüllung der Tafelkomposition fand am 24. April 2014 statt.
Der Text der Haupttafel hat folgenden Inhalt: "Diese Kirche wurde unter Pfarrer Dr. Joseph Deckert (1843-1901) erbaut und im Jahr 1889 geweiht. Pfarrer Deckert war ein sehr engagierter Seelsorger, jedoch verbreitete er von hier aus als kirchliche Autorität in Predigten und Schriften Verleumdungen über Juden und das Judentum. So trug er mit anderen zu einer Verschärfung des Antisemitismus bei. Der verhängnisvolle Einfluss dieser Haltung in der Zeit des Nationalsozialismus einerseits und die Leugnung des bleibenden Bundes Gottes mit dem Volk Israel andererseits machen uns betroffen. Deshalb lassen wir uns von der Umkehr der Kirche im 2. Vatikanischen Konzil leiten und möchten als Pfarrgemeinde zur Versöhnung zwischen Juden und Christen beitragen."
In einem weiteren Projekt der Pfarre geht es um die Erforschung der Deportationen aus dem Pfarrgebiet in der NS-Zeit. Dazu hat die Pfarre auf ihrer Website die Namen der bisher bekannten deportierten und ermordeten Jüdinnen und Juden festgehalten, um ihnen ein ehrendes Andenken zu bewahren. Weiters wurde bereits ein Buch darüber publiziert und die Forschungsarbeiten gingen weiter, so Kasparovsky.
25. "Tag des Judentums"
Der Gottesdienst stand unter dem Motto "So wahr ich lebe, spricht Gott der Herr: Ich habe kein Gefallen am Tode des Gottlosen, sondern dass der Gottlose umkehre von seinem Wege und lebe." Das Motto war dem biblischen Buch Ezechiel entnommen. Die Kirchenvertreter und Gläubigen beteten auch um Frieden für das Heilige Land und alle seine Bewohner. Der Gottesdienst wurde auch via Radio Maria übertragen.
Der "Tag des Judentums" wurde heuer zum 25. Mal begangen. Der ÖRKÖ wollte mit der Einführung dieses Tages, der erstmals im Jahr 2000 stattfand, ein Zeichen setzen, damit sich die Christen in besonderer Weise ihrer Wurzeln im Judentum und ihrer Weggemeinschaft mit dem Judentum bewusst werden. Zugleich soll auch das Unrecht an jüdischen Menschen und ihrem Glauben in der Geschichte thematisiert werden.
(Infos zur Pfarre St. Josef-Weinhaus: https://pfarre-weinhaus.at/gemeinde/geschichtliches-und-informatives/deckert/; Website Ökumenischer Rat der Kirchen: www.oekumene.at)
Quelle: kathpress