
Polak: Kirche mehr als "Moralagentur" und "Gutmenschentum"
Kirche und Glaube sind demokratiepolitisch bedeutsam: Religion ist laut der Wiener Pastoraltheologin Prof. Regina Polak darum mehr als eine "Moralagentur" und Gläubige sind mehr als "moralisierende Gutmenschen". Kirche und Glaube könnten als "kritischer Stachel" innerhalb von Gesellschaft und Politik wirken, da der Glaube an Gott untrennbar mit der Überzeugung der unveräußerlichen Würde jedes Menschen und dem Anspruch universeller Gerechtigkeit verbunden sei. Gleichzeitig könnten religiöse wie agnostische oder atheistische Menschen den Gerechtigkeitsanspruch "trotz ihrer unvereinbaren Weltbilder teilen", so Polak in der Wochenzeitung "Die Furche" (aktuelle Ausgabe).
Ein gemeinsamer Gerechtigkeitsanspruch wäre auch für die Demokratie ein "Wert" und "kritisches Korrektiv", etwa vor Gesetzen, die die Grundprinzipien einer qualifizierten Demokratie zerstören könnten, schreibt die Leiterin des Instituts für Praktische Theologie der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien. Es wäre daher eine Debatte wert, "ob sich eine säkulare Gesellschaft auch diesem Beitrag von Religion stellen kann und will", konstatiert Polak.
Demokratie und Glaube
Demokratie und ein bibeltheologisch fundierter Glaube hätten strukturelle Ähnlichkeiten: Beide Systeme basieren auf alltäglichen Erfahrungen, entwickeln ethische Normen und soziale Organisationsformen und setzen sich mit Konflikten und Herausforderungen auseinander, so Polak.
Das Bild der "Moralagentur" bezeichnet die Theologin als einen Versuch, den christlichen Glauben "im Interesse einer säkularen Gesellschaft" zu zähmen, die sich nicht "vom kritischen Stachel des biblisch bezeugten Glaubens" irritieren lassen möchte. Denn mit dem Glauben an Gott sei auch ein Inhalt und ein Anspruch verbunden, hält Polak möglichen Abwertungen entgegen.
Religion, so Polak, müsse sich qualitativ weiterentwickeln, um die Demokratie zu stärken. Dabei seien die Anerkennung der unveräußerlichen Würde jedes Einzelnen und der Anspruch auf universelle Gerechtigkeit zentral.
Soziale Einbindung als Voraussetzung
Als Voraussetzung nennt Polak auch eine soziale Einbindung und das Engagement religiöser Personen - beides fördere demokratische Werte wie Diversität und den Widerstand gegen Autoritarismus. "Religiöse Personen, die sich sozial engagieren und institutionell angebunden sind, sind weniger autoritär, homophob und migrantenfeindlich als der Durchschnitt", zitiert Polak die "Europäische Wertestudie 1990-2017".
Allerdings zeigt die "Österreichische Wertestudie", dass das Vertrauen in die Kirche zwischen 2018 und 2022 von 39 auf 23 Prozent gesunken ist. Dies spiegelt eine "liquidierte" Religiosität wider - wie es in der Studie "Was glaubt Österreich?" heißt - die anfällig für politische Instrumentalisierung ist: Personen ohne soziale Praxis und institutionelle Anbindung tendieren eher zu antidemokratischen Haltungen. "Religiosität fungiert bei diesen vor allem als kultureller Identitätsmarker, der vor allem der Ab- und Ausgrenzung 'anderer' dient", so die Pastoraltheologin.
Quelle: kathpress