
Salzburg: "Disputationes" mit Impuls zu Kain und Abel gestartet
Die biblische Geschichte von Kain und Abel und die Verführbarkeit zum Bösen als Ur-Verhängnis des Menschen hat der katholische Theologe Karl-Josef Kuschel am Montagabend zum Auftakt der Gesprächsreihe "Disputationes" in Salzburg in den Mittelpunkt gerückt. In seinem Prolog zum offiziell am Dienstag startenden Symposium (22. bis 24. Juli) führte der Deutsche in das Thema "Fatum" (lat. Schicksal) ein, das im Fokus der "Disputationes" wie auch der Konzertreihe "Ouverture Spirituelle" in der Eröffnungswoche der Salzburger Festspiele steht.
Kuschel erläuterte in der "SalzburgKulisse", wie sich der Urkonflikt von Kain und Abel in der Literaturgeschichte, Geschichte und Gegenwart fortschreibt und thematisierte dabei die Verantwortung des Menschen angesichts von Gewalt und Zerstörung.
"Bis auf den heutigen Tag sind wir gezwungenermaßen Zeitzeugen von Brudermord-Szenarien entsetzlichen Ausmaßes zu werden", so der Theologe in seinem Vortrag. "Gegenwärtig überziehen sich Russen und Ukrainer, Israelis und Hamas, Israelis und Iraner mit tödlichem Hass - Brudermord-Tragödien ohne sichtbares Ende." Das führten Medien den Menschen tagtäglich vor Augen. Das Wegschauen sei dabei "keine Option, obwohl die Versuchung groß ist - schon aus Gründen des Selbstschutzes", betonte Kuschel.
Versöhnung
Das "Problem" der biblischen Brüder sei in den letzten Jahrtausenden "nicht geringer" geworden. Wie weit das Urmuster des Brudermords und des Ur-Verhängnisses der Verführbarkeit zum Bösen des Menschen reichten, machte Kuschel anhand von Beispielen aus dem literarischen Schaffen von Schriftstellern und Schriftstellerinnen im 20. Jahrhundert exemplarisch fest. So greifen Wolfgang Hildesheimer das biblische Motiv in der Auseinandersetzung mit der Shoah und dem Zweiten Weltkrieg oder Christa Wolf in der Beschäftigung mit der Katastrophe von Tschernobyl 1986 oder dem geteilten Deutschland auf.
In Hilde Domins Gedicht "Abel steht auf", in dem Kain eine zweite Chance gegeben wird, ortet Kuschel eine Gegenrede zum "dualistischen Mythos vom Brudermord". Abel muss dort von den Toten wiederkommen, "um endlich einen Prozess der Entfeindung und der geschwisterlichen Versöhnung" anzustoßen. Hilde Domins Gedicht mache Mut, dem Zynismus des "So ist es und so bleibt es" etwas entgegenzusetzen und "trotz aller Zwänge zum Fatalismus an Widerstand zu glauben", äußerte sich der Theologe vorsichtig optimistisch.
Die Menschen müssten sich nicht dem "Wiederholungszwang" von Kain und Abel unterwerfen. "Ob wir 2026 ein Ende der Brudermord-Tragödien erleben werden, deren Zeugen wir geworden sind: Ukraine, Gaza, Iran ...?", fragte Kuschel. Erst dann beginne die "Arbeit an der Heilung der Wunden des massenhaften Brudermords".
Vorsehung, Verkettung, Verhängnis
Zur offiziellen Eröffnung der "Disputationes" am Dienstag (22. Juli) spricht Erzbischof Franz Lackner zur geistlichen Dimension von "Vorsehung", gefolgt von theologischen Impulsen von Jan-Heiner Tück (katholisch), Mouhanad Khorchide (islamisch) und Carola Roloff (buddhistisch). Am Mittwoch, 23. Juli, rückt unter dem Stichwort "Verkettung" die naturwissenschaftliche Sicht in den Fokus: Der Physiker Werner Gruber fragt, "was in den Sternen steht", Psychologin Tatjana Schnell spricht über Sinnsuche unter dem Titel "Amor fati".
Den Abschluss am Donnerstag, 24. Juli, bildet ein Gespräch zum Thema "Verhängnis": Arzt und Theologe Johannes Huber sowie Autorin Gabriele von Arnim beleuchten genetische Vorprägung, Resilienz und den Umgang mit Schicksalsschlägen aus medizinischer, spiritueller und existenzieller Sicht.
Die "Disputationes" im Rahmen der "Ouverture Spirituelle" haben sich seit ihrer Gründung im Jahr 2012 zu einem fixen Bestandteil der Salzburger Festspielsaison entwickelt. "Von Beginn an war das Publikumsinteresse groß und das Bedürfnis des Festspielpublikums nach einer intellektuellen Konzertbegleitung auf interkultureller und interreligiöser Ebene deutlich zu spüren", betonen die Veranstalter auf der Webseite. Während der letzten zwölf Jahre sprachen bereits über hundert hochkarätige Vertreter der großen Weltreligionen und Persönlichkeiten aus Kultur und Wissenschaft über die Wirkung von Kultur und Religion auf den Menschen. (Link: www.disputationes.at)
Quelle: kathpress