Salzburg: Theologe Tück warnt vor Vereinnahmung Gottes

Dem Thema "Schicksal" widmen sich heuer die "Disputationes" der "Ouverture Spirituelle" im Rahmen der Salzburger Festspiele. Zum Auftakt hat der Wiener Dogmatiker Prof. Jan-Heiner Tück in seinem Impulsreferat am Dienstagnachmittag Skizzen einer "Theologie der Vorsehung" präsentiert. Dabei endete er nach zahlreichen theologischen Betrachtungen schließlich bei US-Präsident Donald Trump und warnte vor einer Vereinnahmung Gottes.

"Disputationes"-Präsident Prof. Dietmar Winkler, Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Salzburg, konnte zu der traditionsreichen Veranstaltung u.a. Erzbischof Franz Lackner begrüßen, der auch ein Grußwort hielt, sowie Äbtissin em. Perpetua Hilgenberg, Hanna Feingold und den emeritierten Erzabt Korbinian Birnbacher. Neben Tück referierten am Dienstag auch der muslimische Theologe Prof. Mouhanad Khorchide von der Universität Münster und die Tibetologin Carola Roloff von der Universität Hamburg.

"Ist Gott, wenn es ihn gibt, die Geschichte nicht längst entglitten?", so Tück einleitend zu seinem Vortrag. Und mit noch drastischeren Worten: "Wollte man das Auf und Ab der historischen Ereignisse einem Autor zuschreiben, könnte man mit Imre Kertész vom 'Tagebuch eines Wahnsinnigen' sprechen." Mit diesen Deutungen gab sich der Theologe freilich nicht zufrieden. Theologisch gehe es für ihn "um das Zusammenspiel der verborgenen Freiheit Gottes und unserer Freiheit, nicht um Notwendigkeit oder ein göttliches Diktat, das an uns ohne uns handelt." Für diese Deutung der Vorsehung Gottes, die die menschliche Freiheit fördert und begleitet, wolle er werben, so Tück.

Diese Deutung schließe allerdings einige andere Sichtweisen aus. So etwa den Determinismus oder Deismus. Ersterer lehre, dass der Verlauf der Geschichte lückenlos vorherbestimmt ist. Zweiter besage, "dass Gott die Welt wie ein Uhrwerk in Gang gesetzt hat und sich seitdem aus der Geschichte heraushält". Nichts mit dem christlichen Glauben zu tun hätten auch der Nihilismus, "der alles im gähnenden Abgrund des Nichts verschwinden lässt", sowie der Hedonismus, wonach es aus dem Leben so viel herauszupressen gilt wie eben möglich. Ebenso sprach sich Tück gegen die Lehre der doppelten Prädestination aus, die davon ausgeht, "dass Gott aufgrund eines ewigen Dekrets nur wenige erwählt und viele verwirft". Vielmehr sei allen das Heil angeboten. Aber: "Eine Garantie, dass am Ende alle das Heil finden, ist damit nicht gegeben, denn die menschliche Freiheit kann sich dem göttlichen Heilsangebot definitiv widersetzen."

Dialogisches Zusammenspiel

Positiv an die Vorsehung Gottes so zu glauben, dass sie die menschliche Freiheit achtet und begleitet, bedeutet laut Tück, "Gott und Mensch nicht nach dem Modell der Konkurrenz, sondern nach dem Modell des dialogischen Zusammenspiels zu denken". Mit anderen Worten: "Gott ist gut - und zu seiner Güte gehört es, sich dem anderen seiner selbst mitteilen zu wollen." Gott wolle die Menschen nicht als Marionetten, sondern als Mitliebende. Die Geschichte sei der Schauplatz, "auf dem sich das nicht näher aufzulösende Geflecht von Interaktionen zwischen den verborgenen Absichten Gottes und den Freiheitsentscheidungen des Menschen abspielt".

Klar sprach sich Tück für ein aktives Verständnis von Vorsehung aus. "Statt selbst als Zuschauer sitzenzubleiben, sind wir aufgefordert, im Theodrama mitzuspielen und unsere Rolle zu finden", so der Theologe weiter, und zwar "nicht indem wir uns vom Autor emanzipieren und selbst verwirklichen, sondern indem wir nach dem Willen des Vaters suchen, immer neu, so wie Jesus dies getan hat". So könne man "am Aufbau des Reiches der Gerechtigkeit und des Friedens mitwirken und eine Mystik der offenen Augen einüben, die den anderen in seiner Not nicht übersieht".

Menschen oder religiöse Instanzen aber, die meinten, den göttlichen Willen genau bestimmen zu können, würden einen wichtigen Vorbehalt überspringen: "Kein Mensch kann die Perspektive Gottes einnehmen." Wer es dennoch tut, begehe den Fehler "usurpatorischer Theologie" und vergreife sich am unbegreiflichen Geheimnis Gottes. Tück benannte in diesem Zusammenhang folgendes Beispiel: "Wenn US-Präsident Donald Trump sagt, dass er durch die Vorsehung Gottes vor der tödlichen Kugel bewahrt worden sei, ist das eine legitime fromme Selbstdeutung des Attentats am 13. Juli 2024. Wenn er aber gleich anfügt, die wunderbare Errettung sei geschehen, um Amerika wieder groß zu machen, ist das eine unstatthafte Usurpation des Gottesnamens."

Islam und Buddhismus

Prof. Mouhanad Khorchide sprach in seinem Redebeitrag über verschiedene Entwicklungen in der islamischen Religionsgeschichte und betonte eingangs, dass es "den" Islam nicht gebe. Ein wesentlicher Gedanke im Islam sei freilich, dass alles dem Willen Gottes unterliege. Gott greife unmittelbar in die Entwicklung der Welt ein. "Eine Konsequenz ist ein autoritäres Gottesbild, das dadurch entstanden ist", erklärte der Islamforscher. Kritisch merkte er in dieser Hinsicht "eine gewisse Passivität" an, mit der viele Menschen nach diesem Glaubensgrundsatz derzeit durchs Leben gehen.

Man könne aber auch anders argumentieren und die Freiheit in den Vordergrund stellen: "Gott hat den Menschen das Ruder in die Hand gegeben. Wir sind selbst verantwortlich für das, was wir tun", so Khorchide. Eine "islamische Freiheitstheologie", wie er sie verstehe, besage, dass Gott sehr wohl eingreife, aber auf eine inspirierende Art und Weise und an die Verantwortung des Menschen appelliere: "Es liegt aber an uns, ob wir das überhaupt wahrnehmen und uns inspirieren lassen", so der muslimische Theologe.

Im Buddhismus gibt es hingegen keine Vorstellung göttlicher Vorsehung, erklärte die deutsche Tibetologin, Buddhologin und buddhistische Nonne, Carola Roloff: "Taten führen zu Folgen", nicht anders als in der Physik. Die Zukunft sei offen, weil sie nicht von einer Instanz vorherbestimmt sei. "Was wir heute sagen, denken und tun, prägt das gesamtgesellschaftliche Leben." Leid werde ebenso als Resultat verstanden. Die an der Universität Hamburg lehrende Religionspädagogin sprach von der Freiheit, mitfühlend zu handeln, selbst in einer komplexen Welt. Diese Freiheit stehe allen Menschen offen.

Im vertiefenden Podiumsgespräch im Anschluss an die Impulsreferate wurde über die Facetten der Allwissenheit und der Allmacht Gottes diskutiert, weg von einer beängstigenden Gottesvorstellung, hin zu einem barmherzigen Gott.

"Verkettung" und "Verhängnis"

Am Mittwoch rückt unter dem Stichwort "Verkettung" die naturwissenschaftliche Sicht in den Fokus: Der Physiker Werner Gruber fragt, "was in den Sternen steht", die Psychologin Tatjana Schnell spricht über Sinnsuche unter dem Titel "Amor fati". Den Abschluss am Donnerstag bildet ein Gespräch zum Thema "Verhängnis": Der Arzt und Theologe Johannes Huber sowie die Autorin Gabriele von Arnim beleuchten genetische Vorprägung, Resilienz und den Umgang mit Schicksalsschlägen aus medizinischer, spiritueller und existenzieller Sicht.

Die "Disputationes" im Rahmen der "Ouverture Spirituelle" haben sich seit ihrer Gründung im Jahr 2012 als intellektuelle Konzertbegleitung auf interkultureller und interreligiöser Ebene zu einem fixen Bestandteil der Salzburger Festspielsaison entwickelt. Ein jährlich produzierter Sammelband bündelt Vorträge und Diskussionsbeiträge der jeweiligen "Disputationes". (Infos: www.disputationes.at)

Quelle: kathpress