
Grünwidl: Kirche muss mehr zuhören und Menschen begleiten
Über Herausforderungen und Reformfragen in der katholischen Kirche und seinen persönlichen Zugang zum Glauben hat sich der Apostolische Administrator der Erzdiözese Wien, Josef Grünwidl, geäußert. In einem am Sonntag in der Ö1-Reihe "Was ich glaube" ausgestrahlten Interview zeigte sich der frühere Bischofsvikar offen für Reformen wie etwa beim Pflichtzölibat und unterstrich die Notwendigkeit, sich als Kirche stärker auf die spirituellen Bedürfnisse und Lebensrealitäten der Menschen einzulassen.
Besorgt zeigte sich Grünwidl über den tiefgreifenden Wandel der religiösen Landschaft in Österreich. Der Rückgang der Kirchenbindung sei nicht nur Reaktion auf kirchliche Strukturen, sondern Ausdruck eines umfassenden Glaubensverlusts in der Gesellschaft. "Die Zeit der Volkskirche ist vorbei", erklärte er. Nur in Ausnahmefällen werde der Glaube heute noch von einer Generation an die nächste weitergegeben. Die Kirche müsse sich auf die neue Realität einstellen, dass sich Menschen heute bewusst für oder gegen den Glauben entscheiden, was oft erst im Erwachsenenalter geschehe.
Umso wichtiger sei es, Menschen auf diesem Weg zu begleiten. "Wir haben zu wenig getan, um Zugehörigkeit auch geistlich und persönlich zu stützen", räumte der Apostolische Administrator ein. Wer sich beispielsweise als Jugendlicher oder Erwachsener taufen lasse, brauche konkrete weiterführende Angebote, Seelsorge, aber auch ein echtes Gehörtwerden: "Was brauchst du? Was heißt es, als Christ zu leben?" seien dabei zentrale Fragen, die sich die Kirche stellen und zu denen sie Antworten bieten müsse.
Zölibat und Weihe von Frauen
Mit Blick auf die Debatte um den priesterlichen Zölibat zeigte sich der 63-jährige Geistliche offen für Veränderungen. Zwar habe er sich selbst bewusst für das ehelos gelebte Priesterleben entschieden und diesen Weg nie grundsätzlich infrage gestellt. Dennoch halte er den Pflichtzölibat nicht für theologisch notwendig, zumal er nur kirchenrechtlich geregelt, nicht jedoch dogmatisch begründet sei und in anderen christlichen Kirchen nicht existiere. Ehelosigkeit sollte keine Zugangsvoraussetzung zum Priesteramt sein, sondern freiwillig gewählt werden als spirituelle Lebensform. Reformen halte er für denkbar, ohne dass dabei das Wesen des priesterlichen Dienstes infrage gestellt werde.
Grünwidl betonte zudem, wie wichtig es sei, Frauen in kirchliche Entscheidungsprozesse einzubeziehen. In seiner Rolle als Administrator achte er bewusst darauf, Frauen in zentrale Beratungsgremien zu berufen, wie etwa in das diözesane Leitungsteam. "Das ist für mich nicht nur ein Symbol, sondern eine Überzeugung", so der Apostolische Administrator. Auch die Diskussion um ein Diakonat der Frau dürfe nicht unterdrückt werden. Zugeneigt zeigte er sich auch gegenüber Vorschlägen, Frauen in das Kardinalskollegium und somit in den wichtigsten Beraterkreis des Papstes aufzunehmen.
Trotz berechtigter Kritik an der Kirche betonte Grünwidl, dass es weiterhin viele lebendige und engagierte Gemeinden gebe, etwa mit sehr aktiver Caritasarbeit, Bildungsprojekten und spirituellem Leben. Besonders in ländlichen Regionen leiste die Kirche eine "spirituelle Grundversorgung" und ermögliche Begegnung, Gemeinschaft und Orientierung. In anderen Gemeinden stelle er jedoch Ermüdung, Frust und Ratlosigkeit fest, kirchliches Leben sei dann oft nur noch visionsloses "Mangelmanagement". Der Administrator forderte hier eine neue Ausrichtung auf die spirituellen Wurzeln: "Wenn Kirche glaubwürdig bleiben will, muss sie geistlich lebendig sein."
Alltagsbewährter Glaube
Auf seine persönliche Spiritualität angesprochen, betonte Grünwidl, Glaube bestehe für ihn nicht allein in Ritualen oder Rückzug, sondern müsse sich im Alltag bewähren: "Ob ich ein geistlicher Mensch bin, zeigt nicht darin, ob ich ständig auf Wallfahrt oder Stundenlang in einer Kapelle bin, sondern in meinem Verhalten gegenüber anderen Menschen." Auch der Umgang mit sich selbst oder etwa das Essen und Trinken gehörten dazu. Als Orientierung nannte der Übergangsleiter der Erzdiözese Wien die Benediktsregel "ora et labora et lege" (Beten, Arbeiten, Lesen), die für einen ganzheitlichen Lebensentwurf stehe. Ein weiteres Vorbild sei für ihn Teresa von Avila mit Leitsprüchen wie "Gott allein genügt" und "Geduld bewirkt alles", zudem habe die mittelalterliche Heilige bereits als Nonne eine zweite Bekehrung erlebt, nach der sie sich Gott ganz zur Verfügung gestellt habe.
Auch die Musik spiele für ihn eine zentrale Rolle, sagte Grünwidl mit einem Verweis auf sein ursprüngliches Studium Orgel im Konzertfach. Erst spät habe er den Berufswunsch Musiker zugunsten seiner Priesterberufung aufgegeben. Weiterhin liebe er es, in Konzerte zu gehen, Werke wie die h-Moll-Messe von Johann Sebastian Bach seien für ihn spirituelle "Sternstunden". Musik sei für ihn ein "Lebensmittel" und ein "Weg zu Gott", und gleiches gelte auch für Naturerfahrungen wie etwa beim Wandern in den Bergen. Diese Momente ermöglichten Abstand, Perspektive und Klarheit. "Oben auf dem Gipfel zu stehen hilft mir, die Ordnung wiederzufinden und manches zu relativieren, was sich im Alltag in den Vordergrund drängt und einen Stellenwert bekommt, den es nicht einnehmen soll."
Grünwidl war im Jänner 2025 nach dem altersbedingten Rücktritt von Kardinal Christoph Schönborn von Papst Franziskus zum Apostolischen Administrator der Erzdiözese Wien ernannt worden. Als Übergangsleiter ist er mit der Verwaltung der Diözese betraut, bis ein neuer Erzbischof ernannt wird.
Quelle: kathpress