
Caritas: Armutssrisiko von nicht-alleinlebenden Frauen unterschätzt
Das Armutsrisiko nicht-alleinlebender Frauen in Österreich wird laut einer neuen Studie der Caritas stark unterschätzt. So gelten nicht-alleinlebende Frauen, die in Österreich in einem Haushalt mit ausreichendem Gesamteinkommen leben, als finanziell abgesichert, auch wenn sie selbst über kaum bis gar kein eigenes Einkommen verfügen, so die Hilfsorganisation. In Krisensituationen - wie Trennung, Jobverlust, Tod oder Erkrankung des Partners - stünden diese Frauen von einem auf den anderen Tag alleine da. "Für viele kann das ein Leben unter der Armutsgefährdungsgrenze bedeuten", sagte Caritas-Präsidentin Nora Tödtling-Musenbichler bei einer Pressekonferenz am Mittwoch.
"Das Geschlecht darf nicht das Armutsrisiko bestimmen, das sollte wohl im Jahr 2025 allen klar sein", forderte die Caritas-Präsidentin. Sämtliche Gaps - Gender Pay Gap, Gender Pension Gap, Gender Care Gap oder Gender Data Gap - müssten geschlossen werden. Das sei in Österreich aber "keine gmahte Wiesn". Armut sei weiblich, weil unbezahlte Arbeit weiblich sei, und damit kein Schicksal, sondern Ergebnis ungerechter Strukturen, so Tödtling-Musenbichler.
Die Studie, die die individuelle Situation von Frauen untersucht, statt des gesamten Haushalts wie bislang üblich, zeigt, dass jede dritte nicht alleinlebende Frau armutsgefährdet ist. "Ein zentraler Grund ist die ungleiche Verteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit", erklärte Studienautorin Katrin Gasior. Frauen würden in Österreich nach wie vor den Großteil der Sorgearbeit übernehmen und könnten dementsprechend weniger bezahlte Erwerbsarbeit leisten. Zudem schütze Erwerbstätigkeit nur bis zu einem gewissen Grad, aber nicht genug vor Armut.
Über die Hälfte der Frauen, die mit anderen zusammenleben, arbeitet laut Studie weniger als 35 Stunden. Bei den Männern seien es hingegen nur 7 Prozent, so Gasior. "In der Studie wird sichtbar: Insbesondere Frauen, die weniger als 20 Stunden arbeiten, haben mit 64 Prozent ein enorm hohes Armutsrisiko." Die ökonomischen Schieflagen prägten auch die Machtverhältnisse im Haushalt und bestimmten häufig, wer im gemeinsamen Haushalt Entscheidungen trifft. "In der Realität führt das häufig zu einer finanziellen Abhängigkeit von Frauen. Das kann es für sie auch schwerer machen, sich aus einer gewaltvollen Beziehung zu befreien."
Traditionelle Rollenverteilung
Die Unterschiede im Erwerbsleben von Frauen und Männern werden zusätzlich vom Sozialsystem repliziert, führte Gasior aus: Eine Frau, die wenig verdient, ist auch arbeitslos schlechter abgesichert. Unterbrechungen im Erwerbsleben, Teilzeitarbeit und ein geringes Gehalt wirken sich auf die Pension von Frauen aus.
Mit einer Familiengründung erhöht sich das Armutsrisiko von Frauen spürbar, und mit jedem Kind noch einmal stärker, während es bei Männern sinkt. Sie profitierten hingegen von einer Familiengründung, da ihnen mehr zugetraut werde. "Dadurch schreiben sich Effekte der traditionellen Rollenverteilung und daraus resultierende Einkommensunterschiede fort", betonte die Soziologin.
Der Sozialstaat wirke zwar, so die Wissenschaftlerin, aber er wirke eben nicht für alle gleich, denn viele Sozialleistungen seien nach wie vor stark auf das Modell des typisch männlichen Vollzeiterwerbs ausgerichtet. "Man geht immer noch davon aus, dass der Mann sich schon um die Familie und das Haushaltseinkommen kümmern wird, doch soziologisch betrachtet haben sich die Haushaltsstrukturen verändert", kritisierte Gasior die Politik, die auf Scheidungen, Unverheiratete oder Tod und Krankheit des Partners nicht ausreichend bedenke. Sozial- und Steuerleistungen in Österreich würden die ökonomische Benachteiligung nach Geschlecht zudem nicht ausgleichen: Sie reduzieren das Armutsrisiko von Männern (24 Prozent) in Haushaltsgemeinschaften sogar stärker als das von Frauen (21 Prozent), wie die Studie ergab.
Das individuelle Armutsrisiko von Frauen sei in den letzten zehn Jahren etwa nur um vier Prozent gesunken, wies Gasior hin. Diese Verbesserungen seien vor allem auf eigene Anstrengungen von Frauen und nicht auf Sozial- und Steuerreformen zurückzuführen. "Frauen sind heute besser gebildet und arbeiten häufiger und durchgängiger."
Forderungen an die Politik
"Es gibt Lösungsansätze, doch in der Umsetzung hinken wir hinterher", erklärte Tödtling-Musenbichler. Es sei höchste Zeit, die strukturellen Ungleichheiten ernst zu nehmen. Die Caritas-Präsidentin forderte u. a. ein Kinderbetreuungsgeld, das eine partnerschaftliche Aufteilung der Care-Arbeit ermögliche, Maßnahmen zur Erhöhung der Väterbeteiligung, eine Unterhaltsgarantie, faire Bezahlung, Lohntransparenz sowie Arbeitszeitmodelle, die die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern.
"Natürlich erfordert das, die Kinderbetreuung auszubauen. Außerdem muss es eine faire Anrechnung der Care-Arbeit auf die Pension geben, und effektive Maßnahmen gegen Altersarmut von Frauen sind notwendig", sagte Tödtling-Musenbichler. Sparmaßnahmen müssten "sozial gerecht" sein, weil Frauen eine gute Zukunft verdienten.
Quelle: kathpress