
Wien: Hochkarätige Tagung über Missbrauchsprävention und Kinderschutz
Unter dem Titel "Die Wahrheit macht euch frei" findet am Dienstag (21. Oktober) im Wiener Erzbischöflichen Palais eine hochkarätige Tagung über Missbrauchsprävention und Kinderschutz im kirchlichen Bereich statt. Im Rahmen der Tagung wird auch das gleichnamige Buch präsentiert, das Beiträge von Fachleuten und kirchlichen Verantwortungsträgern aus dem In- und Ausland enthält. Eröffnet wird die Tagung vom Vorsitzenden der Österreichischen Bischofskonferenz, Erzbischof Franz Lackner, und dem Vorsitzenden der Österreichischen Ordenskonferenz, Erzabt em. Korbinian Birnbacher.
Die Tagung findet bewusst 15 Jahre nach dem breiten Bekanntwerden von Gewalttaten und von sexuellem Missbrauch im kirchlichen Bereich statt. In Reaktion darauf hatte damals die Österreichische Bischofskonferenz zahlreiche Maßnahmen gesetzt, um Betroffenen konkret zu helfen und die Prävention zu stärken. Auf Ersuchen von Kardinal Christoph Schönborn und der Bischöfe übernahm im April 2010 Waltraud Klasnic die Aufgabe als Unabhängige Opferschutzanwältin. In der Folge konstituierte sich unter ihrem Vorsitz die Unabhängige Opferschutzkommission mit anerkannten Fachleuten. Bald danach, im Juni, beschloss die Bischofskonferenz dann unter dem biblischen Leitwort "Die Wahrheit wird euch frei machen" (Joh 8,32) Richtlinien gegen Missbrauch und Gewalt im kirchlichen Bereich, die seither gelten und zuletzt 2021 aktualisiert wurden.
Die Entwicklungen seit damals und Perspektiven für die Zukunft sollen bei der Tagung aus verschiedenen Blickwinkeln behandelt werden. Rückblick und Ist-Stand im Umgang mit Missbrauchsfällen werden vor allem in einem Gespräch zwischen Kardinal Christoph Schönborn und Waltraud Klasnic sowie in Beiträgen des früheren Caritas-Präsidenten Franz Küberl, der stellvertretenden Vorsitzenden der Ordenskonferenz, Priorin Franziska Madl, und des "Standard"-Journalisten Hans Rauscher thematisiert.
Zu weltweiten Erfahrungen zum Thema "Safeguarding" wird der an der päpstlichen Universität Gregoriana in Rom lehrende Jesuit Hans Zollner referieren. Über künftige Aufgaben und Herausforderungen spricht die Strafrechtsexpertin Caroline List, die mit Jahresende den Vorsitz in der Unabhängigen Opferschutzkommission von Waltraud Klasnic übernimmt.
Österreichweite Rahmenordnung
Eine von der Bischofskonferenz erlassene kirchliche Rahmenordnung stellt österreichweit seit 2010 sicher, dass heute alle Diözesen und Ordensgemeinschaften sowie alle haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen auf die gleichen Maßnahmen, auf Fachstellen und eine einheitliche Terminologie im Kampf gegen Missbrauch und Gewalt verpflichtet sind. Ziel der kirchlichen Maßnahmen in Österreich ist, erlittenes Unrecht so weit wie möglich anzuerkennen und Konsequenzen für die Täter festzulegen. Missbrauch und Gewalt beziehungsweise deren Duldung durch Wegschauen soll mittels breiter Präventionsmaßnahmen verhindert werden.
Sollte ein Verdacht oder Vorwurf hinsichtlich einer Missbrauchshandlung im Raum stehen, kommt ein vierstufiges Verfahren zu Tragen: Betroffene wenden sich an eine Ombudsstelle. Die Diözesankommission prüft die Vorwürfe, holt Stellungnahmen der Beschuldigten und der Institutionen ein und schlägt Maßnahmen vor. Die Unabhängige Opferschutzkommission (UOK) entscheidet über Finanzhilfe und Therapie. Die kirchliche Stiftung Opferschutz bindet sich an die Entscheidung der UOK und setzt diese um.
Bei begründetem Verdacht wird der Beschuldigte bis zur endgültigen Klärung dienstfrei gestellt. Erhärtet sich ein Verdacht, empfiehlt die Ombudsstelle dem Betroffenen, Anzeige zu erstatten. Besteht zudem die Gefahr, dass durch den Beschuldigten nach wie vor Personen zu Schaden kommen könnten, ist deren Schutz vorrangig. Dann wird auf Initiative der Kirchenleitung Anzeige erstattet. Zudem wird der Beschuldigte vom kirchlichen Leitungsverantwortlichen zur Selbstanzeige aufgefordert. Die Vorgehensweise ermöglicht, dass Betroffene - auch bei Verjährung - unbürokratisch Hilfe erhalten können, ohne den Rechtsweg beschreiten zu müssen, der ihnen aber weiter offensteht.
Unter dem Leitwort "Hinsehen statt wegschauen" wird regelmäßig Wissen über Gewalt und Missbrauch und die Gefährdungspotenziale im kirchlichen Bereich erworben und vermittelt. Für diese Präventionsarbeit wurden in den Diözesen eigens Stabstellen eingerichtet. Ziel der Präventionsarbeit ist, dass möglichst viele haupt- und ehrenamtliche Mitarbeitende im kirchlichen Bereich befähigt werden, ihre Verantwortung wahrzunehmen, und zwar durch Sensibilisierung für die Themen verantwortungsvoller Umgang mit Nähe und Distanz, mit Macht, Gewalt und sexuellem Missbrauch. Es geht dabei um die Etablierung einer Null-Toleranz-Haltung und um einen konsequenten, professionellen Umgang mit Verdachtsfällen. Dazu wurden konkrete Checklisten und Verhaltensregeln erarbeitet.
3.492 entschiedene Fälle
Laut der von der Bischofskonferenz betriebenen Internetseite www.ombudsstellen.at sind seit 2010 bis heuer Ende Juni 3.651 Meldungen gemäß Verfahren der kirchlichen Rahmenordnung gegen Missbrauch und Gewalt eingegangen. Dabei handelt es sich zu rund zwei Drittel um Männer (62,4 Prozent).
Davon hat die Unabhängige Opferschutzkommission (UOK) in 3.492 Fällen entschieden. Dabei entscheidet die Kommission nach einem selbst beschlossenen Reglement über die Zahlung einer Finanzhilfe - je nach Schwere der Vorfälle - in vier Kategorien: 5.000, 15.000, 25.000 und in besonders schweren Fällen auch über 25.000 Euro. Gegebenenfalls werden zudem Therapiestunden finanziert. Bislang wurden in Summe 37,7 Mio. Euro zuerkannt. Davon 29,8 Mio. Euro als Finanzhilfen und 7,9 Mio. Euro für Therapien. Die Kirche hat alle Entscheidungen der UOK umgesetzt. In 278 Fällen wurden keine Leistungen zuerkannt.
Die meisten Vorfälle waren zum Zeitpunkt der Meldung rechtlich verjährt und beziehen sich überwiegend auf die Zeit vor 1980 (81,2 Prozent), die Zeit zwischen 1980 und 1999 betreffen 16,5 Prozent und auf die Zeit ab dem Jahr 2000 entfallen 2,3 Prozent. Die Verjährungsfristen spielen aber für die kirchliche Aufarbeitung bzw. die Hilfszahlungen keine Rolle.
Hauptsächlich Fälle in Heimen
Die überwiegende Mehrheit der Meldungen bezieht sich auf Heime und Betreuungseinrichtungen für Kranke oder Menschen mit Behinderung (61,3 Prozent). Auf den schulischen Bereich bzw. zugehörige Internate oder Kindergärten entfallen weitere 21,6 Prozent. Die Meldungen aus pfarrlichen Zusammenhängen machen 11,7 Prozent aus, jene aus Klöstern und Orden 1,9 Prozent (sonstige Zusammenhänge 3,5 Prozent).
Fast die Hälfte der Betroffenen (47 Prozent) meldete Vorfälle zu sexueller Gewalt. Bei allen anderen Vorfällen ging es um Formen von körperlicher bzw. psychischer Gewalt. Zumeist treten die Gewaltformen gemischt auf (Mehrfachnennung möglich). Psychische Gewalt wird am häufigsten genannt (82 Prozent), knapp gefolgt von körperlicher Gewalt (80 Prozent).
Zum Zeitpunkt der Vorfälle waren die Betroffenen überwiegend 6 bis12 Jahre alt (63,3 Prozent). Die Betroffenen wurden zu 72 Prozent vor 1966 geboren. Der Altersdurchschnitt zum Zeitpunkt der Meldung liegt über die Jahre hinweg zwischen 52 und 60 Jahren.
Quelle: kathpress