Menschenfeindlichkeit in Gesellschaft nimmt zu
Eine Zunahme an Menschenfeindlichkeit und in Folge an latenter Gewaltbereitschaft in den zentraleuropäischen Gesellschaften hat der Bielefelder Psychologe und Gewaltforscher Andreas Zick festgestellt: Unter dem Eindruck der Migrations- und Flüchtlingsbewegungen sei es zu einer "enormen Polarisierung" gekommen zwischen jenen, die sich "leidenschaftlich engagieren" für eine Willkommenskultur und jenen, die diese Willkommenskultur ebenso vehement ablehnen. Insgesamt lasse sich durch die empirische Gewalt- und Konfliktforschung ein Anwachsen an "Menschenfeindlichkeit" feststellen, deren Kern eine "Ideologie der Ungleichwertigkeit" sei, so Zick bei einem Vortrag im Rahmen der "Salzburger Hochschulwochen".
Unter dem Sammelbegriff der Menschenfeindlichkeit könnten laut Zick gruppenbezogene negative Einstellungen wie Sexismus, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Islamfeindlichkeit, Antisemitismus subsumiert werden. Auffallend sei dabei, dass diese Haltungen nicht durch persönliche negative Erfahrungen begründet seien - etwa durch Negativ-Erfahrungen mit Juden, Muslimen oder Flüchtlingen -, sondern dass diese Formen "gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit" eigentlich Fluchtbewegungen vor der Realität bzw. vor dem individuellen Nicht-Verstehen zunehmend komplexer gesellschaftlicher Formationen darstellten: "Menschenfeindlichkeit schafft Ordnung, lässt die Welt verstehen, gibt mir Kontrolle und Selbstwert", so der Gewaltforscher. Durch die "Abwertung des Anderen" suche der Mensch offenbar nach Identität, Sicherheit und Orientierung.
Wurzel in "Ideologie der Ungleichwertigkeit"
Die empirische Forschung kenne eine Stufenentwicklung dieser Menschenfeindlichkeit, die zunächst auf einfachen Stereotypen und Emotionalisierungen aufbaue, dann in geschlossene Weltbilder überspringe, die wiederum Vorurteile gebären. Die Endformen dieser Menschenfeindlichkeit wäre schließlich die aktive Diskriminierung und schließlich der Drang nach Vernichtung des anderen, so Zick, der das Institut für Interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld leitet.
Als "Herzstück" und Wurzel dieser sich aufschaukelnden Menschenfeindlichkeit macht der Konfliktforscher indes eine "Ideologie der Ungleichwertigkeit" aus. Das Gefühl, dem anderen gegenüber unterlegen, ausgeliefert zu sein, sei "'das' Einfallstor der Menschenfeindlichkeit". Sich diesem Phänomen zu stellen, sei "die zentrale Herausforderung" angesichts steigender Aggressionen und Übergriffe in der Gesellschaft, so Zick.
Dies gelte um so mehr, als die empirische Forschung die klassische Annahme widerlege, dass ein Mehr an Bildung automatisch zu einem Sinken an Rassismus, Chauvinismus, Fremden- und letztlich Menschenfeindlichkeit führe: Tatsächlich könne man nämlich gerade bei höher gebildeten Menschen "subtile Vorurteile" messen, die sich etwa darin ausdrücken, dass man zwar nichts gegen eine bestimmte Gruppe von Menschen - etwa Flüchtlinge - habe, aber eben auch nichts positives für sie übrig habe. Alarmierend sei darüber hinaus die Zunahme an Menschenfeindlichkeit auch in der jüngeren Generation der bis 30-Jährigen, so der Forscher. Obgleich diese Generation die positiven Erfahrungen von offenen Grenzen, hohen Bildungsstandards etc. gemacht hätten, scheine es dennoch "Belastungen" zu geben, die diese Generation schließlich "in Menschenfeindlichkeit und Rassismus kanalisiert".
Quelle: kathpress