"Gipfeltreffen" des Religionsdialogs sucht Ausweg aus Hass
Verständigung, Kompromissbereitschaft und die Wahrung der Menschenrechte sind im öffentlichen Diskurs die wesentlichen Grundpfeiler für einen stärkeren Zusammenhalt der Gesellschaft: Diese Botschaft geht von einer Expertenkonferenz aus, die am Dienstag und Mittwoch in Krems stattgefunden hat. Unter dem Motto "Das öffentliche Gespräch in der Demokratie: Strategien gegen den Hass - Chancen der Verständigung in der pluralen Gesellschaft" tagten Wissenschaftler, Vertreter zahlreicher interreligiösen Initiativen Österreichs sowie u.a. auch Staatssekretärin Muna Duzdar an der Donau-Universität. Bestimmende Themen der Vorträge, Diskussionen und Workshops waren Hass und Hetze im Internet, Antisemitismus und Islamfeindlichkeit sowie der Umgang mit religiösem Fundamentalismus.
Als das erste "Gipfeltreffen" von Österreichs wichtigsten Akteuren im interreligiösen Dialog bezeichnete Gudrun Biffl, die Leiterin des Departments für Migration und Globalisierung der Donau-Universität, die Konferenz. Vorläufer seien erfolgreich verlaufene "Friedensgespräche" in Wien und Niederösterreich gewesen, bei denen Zugänge der einzelnen Religionen zum Thema Frieden beleuchtet wurden. Ausgangslage sei ein Zuwachs der gesellschaftlichen Vielfalt, an die sich einerseits die angestammte Bevölkerung erst gewöhnen müsse; andererseits müssten auch die Neuankömmlinge den Umgang mit anderen Religionen erst lernen, da sich ihnen diese Aufgabe zuhause oft nicht gestellt hatte.
Bemühungen im interreligiösen Dialog seien wichtiger denn je, so Biffls Standpunkt: Schließlich habe die Polarisierung im öffentlichen Diskurs mit den Fluchtbewegungen seit 2015 noch deutlich zugenommen, und die wahrnehmbare Zunahme an Hass gegenüber anderen sowie der Enthemmungen von Fremdenfeindlichkeit in Sprache und Taten seien alarmierend. Gleichzeitig würden extremistische Strömungen, die "in allen Religionen" zu finden seien, den Dialog verweigern, wobei beide Tendenzen durch Social Media verstärkt würden, befand die Migrationsforscherin.
Zelte und Gutmenschen
Hass und Verachtung gegen andere ergeben sich oft aus bestimmten psychologischer Mechanismen, beschrieb die Wiener Religionspsychologin Susanne Heine in ihrem Keynote-Vortrag. Wenn Menschen tiefe Zurückweisung, Demütigung, Ausschluss und Einschränkung ihrer Autonomie erfahren, könne es zu einer "Schubumkehr" kommen: "Leid kann dann zu nachtragendem Groll werden, Ohnmacht zu Hass, Selbstverachtung zur Verachtung anderer, Demütigung zum Vormachen eigener Grandiosität und Hilflosigkeit zur Wunschfantasie, selbst Herr über Leben und Tod zu sein", erklärte die Expertin.
Als weiteres Phänomen skizzierte Heine das der "Großgruppen-Mentalität": Versage der Staat bei seiner Aufgabe, ein "sicheres Zelt" zu sein, würden Menschen auf eigene Faust handeln. "Leicht bilden sich dann Großgruppen mit einem 'Wir'-Gefühl der Zeltmitglieder, die sich als die Guten, Redlichen, religiös Gerechten und im Besitz der Wahrheit Befindlichen sehen, während man die anderen als die Bösen, Unredlichen, 'Gutmenschen' und zu Bekämpfenden bezeichnet", so die Religionspsychologin. Stets würden im Zelt nämlich Narrative von Schreckensgeschichten und Bedrohungen umgehen, "nach dem Schema: Wir werden alle ausgelöscht".
Besonders "fatal" ist es laut der evangelischen Theologin, die auch Vorsitzende der "Plattform Christen und Muslime" ist, wenn Politiker selbst "in die Zelte flüchten" und damit die bedenklichen Dynamiken noch anheizen. Der Fall sei dies etwa dann, wenn sie ihre Politik bewusst auf Social Media verlagern; in diesen redundanten Foren sei laut Heine kein wirkliches Gespräch mehr möglich. Auch viele Journalisten würden hier mitmachen. In den meisten Fällen ist dieses Verhalten nach Einschätzung der Expertin "Ergebnis nicht nur von politischem Kalkül, sondern auch von persönlichen Ängsten der einzelnen Betroffenen".
Als Ausweg aus diesem Kreislauf sieht die Dialogexpertin vor allem das Gespräch, die Vernunft, die Bildung - vor allem über Religionen - und die Achtung des anderen. "Für Menschen, die selbst Demütigung und Versagen erfahren haben, ist es immens wichtig, Respekt zu erfahren - etwa, indem ihnen jemand vertrauensvoll zuhört", so Heine. Erkannt habe dies schon Sigmund Freud, der vor knapp 100 Jahren den Menschen seiner Zeit als "schutzbedürftig wie ein Kind" beschrieben hatte. Sich dies selbst einzugestehen und den eigenen Anteil am Konflikt zu hinterfragen, sei laut der Wiener Theologin "schon der erste Schritt, um die Spirale von Hass und Gewalt zu durchbrechen".
Polarisierung sorgt für Barrieren
Von lebendigen zwischenreligiösen Kontakten profitieren alle, betonte Senad Kusur, Imam und wissenschaftlicher Mitarbeiter im Zentrum Religion und Globalisierung der Donau-Universität Krems. Die Polarisierung im öffentlichen Diskurs erschwere dies allerdings: Sie setze viele Menschen unter Druck, hinterlasse ein Gefühl, nicht-gleichberechtigte "Personen zweiter oder dritter Klasse" zu sein und sorge für innere Barrieren. Aus Angst zögen es etwa manche muslimische Vereine vor, ihre Identität nicht preiszugeben und Gespräche zu verweigern, um nicht "Öl ins Feuer" zu gießen und die eigene Sicherheit nicht zu gefährden. Einschüchterung habe somit Abkapselung zur Folge, die gefährlich sei. "Eine ähnliche Tendenz gibt es aber auch bei kleinen evangelikalen Gruppen", so der Islamexperte.
Dialog, den niemand sieht
Dass in Österreich bereits immens viel an Gesprächs- und Dialogarbeit läuft, betonte Martin Jäggle, emeritierter Professor für Religionspädagogik. Der Religionsdialog sei aktuell "massiv" von den jüngsten Flüchtlingsbewegungen geprägt, wobei weder die Politik noch die Medien wahrnehmen würden, was auf lokaler Ebene bereits geschehe: Dass sich etwa im Waldviertel eine ganze Reihe von Dialoginitiativen zum Thema Zusammenleben und gegenseitiges Verständnis gebildet habe und jüngst ein Podiumsgespräch über Christentum und Islam den Zwettler Stadtsaal füllte und dabei "äußerst positive Resonanz" erfuhr, wäre noch vor wenigen Jahren "nie vorstellbar" gewesen, so der Wiener Theologe am Rande der Konferenz gegenüber "Kathpress".
Als weitere "beispielhafte Initiative" nannte Jäggle die Wiener interreligiösen Bezirksforen, in denen alle religiösen Einrichtungen des jeweiligen Stadtbezirkes an einem Tisch zusammenkommen. Aufgrund dieser Zusammenarbeit sei es etwa im 15. Gemeindebezirk gelungen, zum diesjährigen "Tag des Judentums" am 16. Jänner im Bezirksamt der im Novemberpogrom von 1938 zerstörten Synagoge "Turner-Tempel" zu gedenken. Solche regionale interkulturelle Aktionen brächten keine Lösung für weltweite interreligiöse Konflikte, hätten aber "regionales Potenzial", betonte Jäggle. "Sie verbessern das Zusammenleben vor Ort und machen Religion dienbar für das Gemeinwohl."
In den Schulen komme es bei der interreligiösen Bildung weniger auf das "Ergebnis" als vielmehr auf die "Gesamtatmosphäre" an, sagte Jäggle, der in Krems zu diesem Thema referierte. Ziel sei hier ein guter Umgang mit "religiöser Vielfalt", wobei die "Sackgassen" hier einerseits die Gleichgültigkeit gegenüber dem anderen sei, andererseits auch jene Haltung, die sich im alleinigen Besitz der Wahrheit wähne. Wegweisend ist für den katholischen Theologen die Feststellung des Zweiten Vatikanischen Konzils zur Religionsfreiheit: Menschen sollten die Wahrheit, die sie gefunden haben, einander mitteilen und sich "bei der Erforschung der Wahrheit gegenseitig zu Hilfe kommen".
Duzdar: Internet kein rechtsfreier Raum
Vernetzung, Austausch und Sichtbarmachen bestehender Initiativen war das Hauptanliegen der Konferenz an der Donauuniversität. Zu deren Veranstaltern gehörten u.a. die Plattform "Christen und Muslime", der Koordinierungsausschuss für christlich-jüdische Zusammenarbeit, die "Muslim Jewish Conference", das St. Pöltner Diözesankomitee Weltreligionen, das Bildungsnetzwerk "Pilgrim", der interreligiöse Beirat Graz, sowie weitere Initiativen aus den Bereichen Religionsdialog und Flüchtlingshilfe aus ganz Österreich.
Mit Muna Duzdar war auch ein Regierungsmitglied bei der Konferenz vertreten. Die Staatssekretärin für Diversität, Öffentlichen Dienst und Digitalisierung stellte die Maßnahmen des Staates gegen Hasspostings und ähnliche Delikte auf Plattformen wie Facebook und Twitter vor, wo heute bereits 90 Prozent der Verhetzung stattfinden. Mit schärferen Gesetzen sollen diesbezügliche Verfahren künftig weniger leicht eingestellt und Plattformen leichter in die Pflicht genommen werden können, zudem startet demnächst eine eigene Meldestelle für Online-Vergehen und eine Freiwilligen-Plattform zur Stärkung der "digitalen Zivilcourage", erklärte die SP-Politikerin. Das Internet dürfe nicht länger als "rechtsfreier Raum" gesehen werden.
Quelle: kathpress