Psychosomatiker: Liebevolle Beziehungen rüsten Kinder fürs Leben
Was brauchen Kinder und Jugendliche für ihre seelische Gesundheit? Das war die Leitfrage bei einer Pressekonferenz in Linz, zu der das "ElternTelefon" der Telefonseelsorge in Oberösterreich (OÖ) anlässlich des Welttags für seelische Gesundheit (10. Oktober) am Montag in den "OÖ. Presseclub" eingeladen hatte. Prim. Adrian Kamper, im Klinikum Wels-Grieskirchen verantwortlich für die Abteilung für Kinder- und Jugendheilkunde, betonte, Fundament für die Entwicklung seelischer Gesundheit sei eine in der Familie gelebte Beziehungs- und Erziehungsqualität. Emotionale Intelligenz werde dabei ebenso gefördert wie soziale Kompetenz, kognitive Fähigkeiten und Stress-Resilienz - "lauter Voraussetzungen dafür, dass die Kinder als Erwachsene ihren Alltag meistern".
Der Mediziner mit Schwerpunkt Psychosomatik des Kindes- und Jugendalters berichtete von einem alarmierenden Trend im 21. Jahrhundert: Komplexe Erkrankungen mit körperlichen und seelischen Anteilen nähmen unter Heranwachsenden zu. "Etwa 15 Prozent der Jugendlichen sind bereits chronisch krank und entwickeln zusätzlich häufig klinisch relevante psychische Störungen wie Angst oder Depression", weiß Kamper. Ähnliches gelte auch umgekehrt für Jugendliche mit primär psychischen Störungen im Hinblick auf eine zusätzliche körperliche Erkrankung. "24 Prozent der Mädchen und Burschen weisen psychische Symptome bis hin zu einer manifesten Störung auf", erklärte der Kinderarzt.
Mädchen zeigten häufiger körperliche Beschwerden ohne organische Grunderkrankung oder aber Depressionen, Burschen eher ein vermehrt "expansives Verhalten" - also ADHS oder eine Störung im Sozialverhalten, so der Experte.
Die Grundlagen für seelische Gesundheit würden im Kleinkindalter gelegt und in der Jugendzeit vertieft. Eltern kommt bei der Erziehung ihrer Kinder eine große Verantwortung zu. "Für ein Kind ist es wichtig, liebevolle und positive Signale zwischen den Eltern zu erleben, wärmende Zuwendung von beiden Elternteilen zu erfahren und in gemeinsame Unternehmungen eingebunden zu sein", erklärte der Primar. Eine besondere Bedeutung kommt Kamper zufolge auch Ritualen im Alltag zu, die die seelische Gesundheit von Kindern stärken würden - vor allem am Abend und am Morgen.
Wichtig ist aufmerksames Zuhören
Wichtig sei es auch, sich in Kinder einzufühlen und ihnen aufmerksam zuzuhören. "Wenn ich dem Kind sage: 'Erzähl, ich hör dir zu' und ich tippe nebenbei auf dem Handy herum, dann wird es nichts mehr erzählen", so Kamper. "Ich erlebe das auch bei Eltern, die zu uns zur Beratung kommen und im Gespräch mit mir zum Handy greifen. Daheim ist es dann wohl nicht anders." Schon im Kindesalter gelte es wertschätzende Rahmenbedingungen für ein echtes Gespräch sicherstellen.
Auch Silvia Breitwieser, Leiterin der "TelefonSeelsorge OÖ - Notruf 142", unterstrich beim Pressegespräch die Bedeutung des aufmerksamen Zuhörens in der Familie. "Sehr häufig werden im Gespräch mit Kindern nur Informationen und Fakten abgefragt. Kinder möchten aber einfach erzählen können - und das geht nur, wenn jemand gut zuhört."
Hilfe zu holen "keine Schande"
Barbara Lanzerstorfer-Holzner, Projektleiterin des "ElternTelefons - Notruf 142", ermutigte Eltern, sich in Erziehungsfragen Hilfe zu holen. Das sei "keine Schande", denn Elternschaft sei eine große Herausforderung: "Sich mit Kindern auseinanderzusetzen, ist anspruchsvoll, verlangt große Flexibilität und kann bis an die Grenzen der Belastbarkeit gehen." Eltern bräuchten daher Unterstützung, die ihre Erziehungskompetenz fördert und ihre Ressourcen stärkt, denn - so Lanzerstorfer-Holzner: "Das Wohlergehen der Eltern bedingt das Wohlergehen der Kinder, und dieses wiederum ist entscheidend für die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft."
Wenn die Situation in der Familie zu belastend wird, ein Konflikt nicht mehr lösbar erscheint, sollten Eltern sich nicht scheuen, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Eine erste Anlaufstelle ist das Elterntelefon (Notruf 142) der Telefonseelsorge. Dort können Eltern an allen Tagen des Jahres rund um die Uhr kostenlos, vertraulich und anonym Hilfe in Anspruch nehmen - in der Akutsituation und ohne einen Termin vereinbaren zu müssen.
Quelle: kathpress