Lackner: Frage nach Wahrheit führt zu Frage nach Gott
Die Frage nach der Wahrheit führt unweigerlich zur Frage nach Gott. Das hat der Salzburger Erzbischof Franz Lackner als Vortragender bei der Grazer psychiatrisch-psychosomatischer Tagung zum Thema "Was ist Wahrheit?" verdeutlicht. Auch Pilatus habe vor der Verurteilung Jesu diese Frage gestellt, dieser habe darauf keine Antwort gegeben. "Was-Fragen" würden letztlich nicht die Personmitte erreichen, erklärte Lackner am Donnerstag. Wenn Jesus laut dem Johannesevangelium sage "Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben", so müsse die nie hinreichend zu beantwortende Frage "Was ist Wahrheit?" wohl richtiger lauten: "Wer ist Wahrheit?"
Schon Immanuel Kant habe gesagt, dass der Mensch von Fragen bedrängt werde, "die wir nicht beantworten können, die uns aber auch nicht loslassen", erinnerte Lackner, der eine Doktorarbeit über den mittelalterlichen Franziskanerphilosophen Duns Scotus verfasst hatte. Ewige Menschheitsfragen wie jene nach der Wahrheit behielten angesichts von dem Bösen, der Lüge, dem Zerstörerischen in der Welt wie die Atombombe oder von Krankheit und Naturkatastrophen einen "Stachel, der uns verstummen lässt".
Papst Benedikt sei einmal von einem kleinen Mädchen gefragt worden, warum ihre Freundinnen im Zuge der Katastrophe von Fukushima sterben mussten, erinnerte der Erzbischof. Dessen ehrliche Antwort habe gelautet: "Wir wissen es nicht!" Auch Lackner gestand ein: "Wir kennen diese Wahrheiten nicht, können uns nicht vorstellen, dass irgendetwas daran gut sein wollte."
In Bibel Wahrheit mit Vertrauen verbunden
In seinem Streifzug durch die Philosophiegeschichte des Abendlandes wies Lackner darauf hin, dass viele Denker Wahrheit als Merkmal des Seienden schlechthin betrachteten. Wahrheit sei eng mit Schlussfolgerung, Beweisbarkeit und Richtigkeit verknüpft worden. Im Verständnis der Bibel dagegen sei Wahrheit "ein Weg, eine Erfahrung von Zuverlässigkeit und Treue". Der Erzbischof wies darauf hin, das hebräische Wort "emet" für Wahrheit sprachlich eng verwandt sei mit "aemunah", Glaube: Die gemeinsame Wurzel "aman" werde noch heute am Ende jüdisch-christlicher Gebete verwendet und stehe für Treue, Glaube und Vertrauen.
Lackner schloss mit einer "Wer-Frage", die im Unterschied zu "Was-Frage" allzu selten gestellt werde. Ein Journalist habe Papst Franziskus gefragt: "Wer sind Sie?" Dessen Antwort: "Ein Sünder, auf den Gott geblickt hat."
Die psychiatrisch-psychosomatische Tagung findet noch bis Samstag im Grazer Minoritensaal statt. Zum Thema "Wahrheiten", das - wie die Veranstalter anmerkten - durch die Person des derzeitigen US-Präsidenten aktualisiert worden sei, referieren außer dem Salzburger Erzbischof u.a. der Grazer Philosophieprofessor Peter Strasser, Barbara Steiner vom Kunsthaus Graz und "Presse"-Chefredakteur Rainer Nowak.
Quelle: kathpress