Innsbrucker "Dies facultatis" zeigt Bedarf an "Friedensstiftern"
Es muss zum christlichen Selbstverständnis gehören, zu Demokratisierung, Dialog und Verständigung zwischen Völkern, Kulturen und Religionen beizutragen: Das war der Tenor beim Innsbrucker "Dies facultatis & Diözesantag", der am 27. April - dem Festtag des Diözesanpatrons Petrus Canisius - an der Universität Innsbruck stattfand. Unter dem Titel "Friede in Europa - ein christliches Projekt?!" brachten Experten die christliche Entwicklung in Europa, den Beitrag der christlichen Kirchen zum Frieden und die eigene Bringschuld zur Sprache. Auch Friedensstifter kamen zu Wort - in Person von Vertretern der Gemeinschaft Sant'Egidio.
Dem Evangelium wohne eine enorme Friedenskraft inne, betonte Ursula Kalb von der Gemeinschaft Sant'Egidio.
Mit dieser Kraft werden wir in der Lage sein zu trösten, zu heilen, die Herzen zur Liebe zu bekehren und die Welt zu verändern.
Es helfe dabei, sich nicht abzufinden "mit einer Welt, die immer gleich und ungerecht bleibt, die sich an Konflikte, Kriege und an den Tod gewöhnt, die sich angesichts der dramatischen Armut verschließt". Krieg sei aus der Sicht des Evangeliums ein Übel, sei "der Vater aller Armut". Viele Konflikte kämen zudem durch bewusstes Verdrängen von Geschichte zustande - weshalb zur Friedensarbeit auch die Erinnerungskultur gehöre.
Näher ging Kalb auf die nunmehr 50-jährige Geschichte von Sant'Egidio ein. Ausgangsfrage für den Gründer Andrea Riccardi sei 1968 gewesen: "Wie kann man die Strukturen und die Welt verändern, ohne das Herz der Menschen zu verändern?" Jugendliche, die gemeinsam beteten, das Evangelium lasen und in der Freundschaft mit armen Menschen umzusetzen versuchten, machten den Anfang. Heute sei der Einsatz für Gerechtigkeit und Friede in den Mittelpunkt gerückt. "Immer öfter wird die Gemeinschaft ersucht, Friedensvermittler zu sein und sich für entrechtete Völker einzusetzen", berichtete Kalb.
Viel Aufsehen erregte die Gemeinschaft bisher mit Dialoginitiativen zwischen Religionen - ausgehend vom ersten großen Friedensgebet in Assisi 1986 - und zwischen Gläubigen und Nichtgläubigen. In den vergangenen Jahren kam die Errichtung von humanitären Korridoren dazu: Auf legalem Weg kommen dabei Flüchtlinge aus Syrien sowie solche, die aus anderen Ländern in Flüchtlingslagern im Libanon oder in Äthiopien gestrandet sind, nach Italien, Frankreich oder Belgien. Sie werden von Sant'Egidio, den evangelischen Kirchen und der Caritas aufgenommen - "damit die Integration vom ersten Moment an funktioniert", wie Kalb darlegte.
Wert des Friedens wahrnehmen
"Friede ist kein Naturzustand, vielmehr braucht es Friedensstifter in jeder Generation und in jedem Land", so die zentrale Botschaft von Erwin Teufel, dem früheren Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg. Der Weg zu der derzeitigen, mit über 70 Jahren ungewöhnlich langen Friedenszeit in Europa sei ein langer gewesen: 48 Kriege habe es auf dem Kontinent seit der vorigen großen, westfälischen Friedenszeit ab 1648 gegeben, und noch in den Ersten Weltkrieg seien die meisten Länder euphorisch und siegessicher eingetreten.
Mit der Gründung der Montanunion durch weitblickende christliche Politiker, aus der sich die heutige EU entwickelt habe, sei ein "geschichtlicher Augenblick genutzt worden", betonte Teufel. Besinnung auf die Substanz dessen, was dabei erreicht worden ist, sei heute angesichts des von den Medien verstärkten Eindrucks einer "Zerrissenheit" Europas wichtig. Der Friede gelte es als höchsten Wert zu sehen, wobei es nicht nur um Bekenntnisse, sondern um "Realisierung des Friedens in den einzelnen Gesellschaften" gehen müsse und insbesondere Bürger- und Religionsfreiheit geachtet werden sollten. Den Rechtsstaat bezeichnete der Ex-Politiker als "größte Errungenschaft unserer Kultur und Geschichte".
"EU kein christliches Projekt"
Allzu enge Verbindungen von Europa und dem Christentum stellte der in Budapest lehrende Politologe Peter Pelinka jedoch in Abrede. Die EU sei "kein christliches Projekt", da bei deren Gründung zwar christliche Parteien beteiligt waren, aber auch nicht-christliche Personen, so die Position des Wissenschaftlers. "Die Idee war keine christliche Föderation, die Grundlage war Religionsfreiheit." Europa dürfe auch keine christliche Politik machen - im Sinne von Klerikern als politische Amtsträger oder von einem christlichen Programm -, wohl aber "Politik aus christlicher Verantwortung heraus". Die Fehler der Kirchen - Verfolgungen, Kreuzzüge, Verdrängung von Geschichte, ein spätes Anerkennen von Meinungsvielfalt und politisches Versagen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts - seien zudem bei Aussagen über ein "christliches Abendland" nicht zu vergessen.
Neue Chancen für die Kirche
Dass die katholische Kirche Österreichs im 20. Jahrhundert "gewaltige Veränderungen" durchlief, dabei aus Überforderung Fehler machte und man daraus heute noch lernen müsse, schilderte der Linzer Theologe Severin Renoldner. "In der Monarchie bestimmte die Kirche weitgehend, was als sittlich betrachtet werden muss. Sie hatte erheblichen Einfluss auf das Strafrecht, sie dominierte Schulen, Krankenanstalten und teilweise Universitäten. Umgekehrt war die Kirche in großer Abhängigkeit vom Kaiser und seinem Staat", so der Theologe.
Nach dem schlagartigen Wechsel 1918 sei die Demokratie von der Kirche "nicht innerlich bejaht" worden, während es im Kirchenvolk durchaus plurale Ansichten gegeben habe; die Katholische Soziallehre hätte hier zwar Abhilfe leisten können, sei jedoch nur teilweise von der Seelsorge genutzt worden. Das Abgleiten der Ersten Republik in einen autoritären faschistischen Ständestaat habe die offizielle Kirche ausdrücklich begrüßt, soziale Härten und Grausamkeiten seien in Kauf genommen worden. Auch diese Epoche - nicht nur die Anpassung an den Nationalsozialismus 1938 - müsse in der heutigen Aufarbeitung zur Sprache kommen, forderte Renoldner.
Nach 1945 seien jedoch die "richtigen Konsequenzen" gezogen worden, so das Urteil des Leiters des Sozialreferates im Pastoralamt der Diözese Linz und einstigen Grün-Abgeordneten zum Nationalrat. Er nannte hier "die Bejahung der Demokratie im Mariazeller Manifest, im Zweiten Vatikanischen Konzil und in einem neuen Selbstverständnis der Kirche in der Gesellschaft, nicht zuletzt in einer ökumenischen Ausrichtung." Gegenwärtig habe die katholische Kirche trotz aller Schrumpfungen und Sorge "bessere Chancen und echte Möglichkeiten, anders, besser, demokratischer, sozial fairer und insgesamt mehr an der Seite der Menschen zu handeln und zu sprechen als zwischen 1900 und 1945", so das Urteil Renoldners.
Quelle: kathpress