Papst Franziskus mahnt in Litauen Kirche und Gesellschaft
Papst Franziskus schert sich wenig um vorbereitete Redetexte, wenn ihm etwas wichtig ist. So auch am Sonntag in der Kathedrale von Kaunas bei seiner Begegnung mit Ordensleuten und Priestern aller drei baltischen Staaten. "Wenn ich euch sehe, sehe ich hinter euch viele Märtyrer", beginnt Franziskus aus dem Stegreif. Eine deutliche Anspielung auf die Zeit der Sowjetbesatzung, in der auch viele Gläubige für die Verkündigung ihr Leben ließen. "Vergesst nicht, haltet die Erinnerung lebendig, ihr seid Kinder von Märtyrern", sagt Franziskus und bekommt für diese Worte schallenden Applaus.
Zumal einige unter den Zuhörern noch gut aus eigener Erfahrung wissen, was Unterdrückung und auch Gefangenschaft aus Glaubensgründen heißen - im Dom ist auch Sigitas Tamkevicius. Der Jesuit und frühere Erzbischof von Kaunas wurde als junger Priester vom Sowjetregime verfolgt. Franziskus würdigt die Widerstanskämpfer, denen weder Gefangenschaft noch Deportation den Glauben an Jesus nahmen. "Erinnert euch eurer Märtyrer und macht es ihnen nach: Habt keine Angst!", macht Franziskus Mut.
Kein Dienst wie jener von Geschäftsleuten
Zugleich geht er auch hart ins Gericht mit seinen Zuhörern: Priester wie Ordensleute mahnt er, ihren Dienst nicht wie Geschäftsleute anzugehen. Er mahnt Nähe zum Volk und Nähe zu Gott an und verurteilt erneut Klerikalismus. Seine Rede vor baltischen Priestern und Ordensleuten ist ein flammender Appell für eine glaubwürdige Kirche, die bei den Menschen und bei Gott ist.
Gegen das Vergessen der Geschichte ist Franziskus bereits am Morgen angegangen - beim spirituellen Höhepunkt seiner Reise nach Litauen, der Messe im Santakos-Park von Kaunas.
Laut Veranstaltern sind gut 100.000 Gläubige auf das grüne Gelände in der zweitgrößten Stadt des Landes gekommen. Auch das Wetter spielt mit: kalt, aber sonnig. Die Gottesdienstbesucher schwingen Landesflaggen unter strahlend blauem Himmel: Vielfach sind die Vatikanfarben Gelb-Weiß zu sehen, das Gelb-Rot-Grün der litauischen Fahne. Etwas weiter hinten im Pulk eine große israelische Fahne mit Davidstern. Wer weiß, ob der Papst diese vom Altar aus gesehen hat?
Jedenfalls erinnert er beim Angelus-Gebet auch an den 23. September vor genau 75 Jahren, als das Ghetto von Vilnius geräumt wurde. Ein neues Aufkeimen "solch verderblicher Haltung" müsse rechtzeitig erkannt werden, besonders angesichts all derer, "die diese Zeit nicht erlebt haben und die manchmal versucht sind, solchem Sirenengesang nachzulaufen", mahnt Franziskus. Er selbst gedachte am Sonntagnachmittag an einem Gedenkstein in Vilnius der Opfer des Ghettos - rund 40.000 Juden, die bis auf wenige ermordet oder in Konzentrationslager deportiert wurden.
"Globalisierung der Solidarität"
Als Auslöser von Krieg und Unterdrückung machte der Papst am Morgen Machtstreben aus, als Gegenmittel fordert er eine von Gottes Wort ausgehende "Globalisierung der Solidarität". Sein Gegenmittel gegen Machtkämpfe? Die Geringsten in die Mitte stellen, etwa ethnische Minderheiten oder "Arbeitslose, die gezwungen sind auszuwandern". Beide Beispiele sind passgenau gewählt - Litauen macht die Abwanderung junger Leute zu schaffen, zudem gibt es neben der Mehrheit der Litauer auch einige Minderheiten - etwa Weißrussen, Russen, Ukrainer oder Letten.
Wie am Vortag ruft Franziskus zum Brückenbau und zu Einheit auf - passend zum Ort, am Beispiel der Flüsse Neris und Memel, die in Kaunas zusammenfließen. So dürfe auch die Kirche keine Angst haben, "hinauszugehen und sich selbst hinzugeben, auch wenn es scheint, dass wir uns auflösen, dass wir uns an die Geringsten verlieren, an diejenigen, die in den existenziellen Randbereichen leben", so Franziskus.
Ein Beispiel dafür, dass der Glaube Hindernisse überwinden kann, ist der 24-jährige Gregory aus Moskau. Er ist mit 15 weiteren jungen russischen Katholiken nach Kaunas gekommen, eine Nacht lang Zug gefahren, und um drei Uhr aufgestanden, um einen guten Platz bei der Papstmesse zu haben. Nun steht er da in seinem dunkelgrünen dicken Parka und sagt: "Der Papst an sich wird unsere Beziehungen nicht verbessern. Das müssen wir schon selbst tun. Aber er kann uns zum Nachdenken bringen. Und im Glauben sind wir als Katholiken schon vereint."
Quelle: kathpress