Caritas-Vertreter: Gerade in Hochkonjunktur Armutsbekämpfung forcieren
"Wann, wenn nicht jetzt, könnte man besser in die Armutsbekämpfung investieren?": Mit dieser rhetorischen Frage hat Caritas-Präsident Michael Landau darauf hingewiesen, dass man sich gerade in Zeiten der Hochkonjunktur mit der Armut in Österreich nicht abfinden dürfe. Auch der steirische Caritasdirektor Herbert Beiglböck betonte angesichts des prognostizierten Budgetüberschusses: "Gerade weil wir so erfolgreich unterwegs sind, haben wir auch eine besondere Verantwortung für die Schwächeren." Und Armut gebe es trotz der guten Wirtschaftsdaten zuviel: Laut offiziellen Daten sind hierzulande 1,2 Millionen Menschen armutsgefährdet, davon 324.000 Kinder.
Landau und Beiglböck äußerten sich bei einer Pressekonferenz in Graz, die Programmpunkt einer Pressefahrt zu Caritas-Einrichtungen in der steirischen Landeshauptstadt war. Am Podium im Marienstüberl - einer Anlaufstelle für Notleidende und Einsame - saß weiters die Leiterin der Caritas-Beratungsstelle zur Existenzsicherung, Iris Eder. Die Tour durch verschiedene Caritas-Einrichtungen - darunter die Marienambulanz, die Frauen-Notschlafstelle "Haus FranzisCa" und das "Haus Maria" für leistbares Wohnen - verdeutlichte, auf welch unterschiedliche Weise Menschen in Armut geraten und wie ihnen seitens der Caritas geholfen wird. Die Pressefahrt war zugleich Auftakt zur Caritas-Inlandskampagne für Menschen in Not mit dem Slogan "Hilfe > Armut".
Landau appellierte an Sozialministerin Beate Hartinger-Klein und die gesamte Regierung: "Sparen Sie nicht bei den Ärmsten. Setzen Sie sich ein für das Miteinander und die Solidarität in Österreich!" Ein wesentlicher Hebel sei die bedarfsorientierte Mindestsicherung (BMS), sie müsse sich an der Lebenswirklichkeit der Menschen orientieren und jedenfalls dazu führen, dass die Armut sinkt und nicht steigt. "Daran wird jede Reform zu messen sein", so der Caritas-Präsident im Hinblick auch auf die jüngste Ankündigung von Sozialministerin Hartinger-Klein, im November einen Entwurf für ein Grundsatzgesetz zur Neuregelung der Mindestsicherung vorlegen zu wollen.
Landau legte dazu bemerkenswerte Zahlenspiele vor: In Österreich gibt es laut Medienberichten bald 150.000 Dollar-Millionäre. Die neun Dollar-Milliardäre im Land besäßen gemeinsam 46,7 Milliarden, mit denen man die BMS fast 50 Jahre lang finanzieren könnte. Er wolle damit "sicher nicht" vorschlagen, dass diese reichsten Österreicher jetzt die Mindestsicherung finanzieren sollen, wohl aber die Relationen vor Augen führen: "Nach wie vor gibt Österreich weniger als 1 Prozent seiner Sozialausgaben für die Mindestsicherung aus". Das sei deutlich weniger als etwa der "Familienbonus plus" jährlich kostet.
Für "armutsfeste" Mindestsicherung
Vor diesem Hintergrund erneuerte Landau den Appell an die Regierung, die Mindestsicherung Neu nicht nur "EU-, völker- sowie verfassungsrechtlich konform" zu gestalten, sondern sie im Blick auf die Höhe der Beträge auch "armutsfest" anzusetzen und eng mit der Arbeitsmarktverwaltung zu verknüpfen. "Und weil immer wieder vom Missbrauch der Mindestsicherung gesprochen wird", fügte Landau hinzu: Das betreffe laut offiziellen Daten 1,1 Prozent der Bezieher, während der geschätzte jährliche Schaden durch Steuerhinterziehung mehr als sechs Milliarden Euro betrage - eine Summe, die sechsmal hoher sei als die Gesamtausgaben Österreichs für die Mindestsicherung. Hier wird nach den Worten Landaus deutlich, wo das Hauptaugenmerk bei der Sparpolitik liegen sollte: "Mit Kürzungen bei der BMS werden wir das Budget nicht sanieren können."
Trotz des vergleichsweise gut ausgebauten Sozialstaates in Österreich gelten 434.000 Menschen als manifest arm, erklärte der Caritas-Präsident: Gäbe es keine Sozial- und Familienleistungen, wären mehr als 2,1 Millionen Menschen armutsgefährdet. "Am Sozialstaat sparen bedeutet mehr Armut, mehr Ausgrenzung, mehr Leid, weniger Teilhabe, weniger Chancen, weniger Entfaltungsmöglichkeiten", so Landau.
Wir können uns nicht leisten, auf den Sozialstaat zu verzichten, wenn wir den sozialen Frieden bewahren wollen.
Er wolle sicher keinem "Nanny-Staat" das Wort reden, der sich von der Wiege bis zur Bahre um alles kümmert, betonte Landau die Eigenverantwortung der Menschen. "Und genauso wie wir den Sozialstaat im Sinne einer institutionalisierten Solidarität brauchen, brauchen wir auch die persönliche Solidarität." Die Gesellschaft brauche Menschen, die angesichts des Leides anderer helfen wollen und können. "Und davon gibt es, Gott sei Dank, sehr viele", so Landau.
Für Obdachlose auf den Großglockner
Als Beispiel für solcherart Engagierte nannte Caritasdirektor Herbert Beiglböck die drei Studierenden Heimo Neumaier, Katrin Goriupp und Alina Schreib: Das sportliche Trio absolvierte soeben eine Solidaritätswanderung vom niedrigsten Punkt Österreichs - Apetlon im Burgenland - bis zur höchsten Erhebung, dem Großglockner, um auf die Not Obdachloser aufmerksam zu machen. Bei der Gipfelbesteigung am Sonntag hatten sie bereits rund 24.000 Euro gesammelt und richteten von dort aus einen erneuten Spendenaufruf an die Österreicher, um die angepeilten 50.000 zu erreichen (Info: www.caritas-steiermark.at). Beiglböck, der selbst einen Tag lang mitwanderte, dankte für die "großartige Aktion", die zeige, "dass jeder etwas tun kann". Wenn der Salzburger Festspiel-Intendant Markus Hinterhäuser sage: "Wir merken ja schon fast nicht mehr, auf welche Hartherzigkeit unsere Welt zusteuert", sei die Initiative der drei auch eine Mahnung, sich von Not und Einsamkeit berühren zu lassen.
Zum gerade herrschenden Wirtschaftsaufschwung wolle die Caritas daran erinnern: "Dass es aufwärts geht, stimmt eben längst nicht für alle", sagte Beiglböck. "Wir sehen zum Beispiel, welche Lücke die ausgebremste Aktion 20.000 für ältere Beschäftigungslose lässt." Und die Caritas-Hilfsprojekte zeigten: Es gebe Menschen, die sich schwer tun auf dem Arbeitsmarkt, "und diese Gruppe wird es immer geben". Nach den Worten Beiglböcks dürften gesundheitlich Beeinträchtigte oder ältere Arbeitslose nicht "zu einer statistischen Restgröße degradiert" werden, die man angesichts der positiven Wirtschaftsentwicklung vernachlässigen könnte.
Es müsse immer eine Form gestützter Arbeit geben, unterstrich der Grazer Caritasdirektor. Menschen in Arbeit zu bringen bedeute für diese auch Selbstbewusstsein und Wertschätzung sowie die Möglichkeit zu aktiver Teilhabe an der Gesellschaft zu ermöglichen. "Und wir müssen Wege finden, dass wir bei Entwicklungen wie der Digitalisierung auch jene mitnehmen, die nicht von sich aus mithalten können", so Beiglböck.
"Not kann jeden treffen"
Die Digitalisierung vieler Amtswege stelle eine Hürde für viele Betroffene dar, die nicht über Internet oder über Know-how im Umgang damit verfügen, erklärte auch Beratungsstellen-Leiterin Iris Eder. Dass durch aktuelle Praxis auch Not produziert werde, zeige sich an folgendem Beispiel: "Wenn Alleinerzieherinnen, die über den Sommer keine Kinderbetreuung haben, deshalb beim AMS gesperrt werden, bleibt ihnen nicht mehr viel fürs Leben."
"Not kann jeden treffen", betonte Eder. Sie berichtete vom Inhaber eines prosperierenden Einmannbetriebes, der mit seiner ebenfalls berufstätigen Frau einen Kredit auf sein Haus problemlos bedienen konnte - bis er lebensbedrohlich erkrankte; die Ehefrau verlor zudem ihre Anstellung, musste in einen geringfügigen Job wechseln, die ihr die Pflege ihres Gatten und die Versorgung der beiden Kinder erlaubte. Die Caritas Steiermark half, "indem wir bei verschiedenen Anträgen unterstützen und für eine finanzielle Überbrückungshilfe sorgten", berichtete Eder. Mittlerweile habe sich die Situation der Familie etwas gebessert; wäre die Unterstützung ausgeblieben, wären die Betroffenen vor dem Nichts gestanden. "Not hat viele Gesichter, und wir haben schon in viele geschaut", sagte die Caritas-Mitarbeiterin.
Unter den Slogans "Hilfe > Armut" und "Hoffnung > Verzweiflung" (das > steht für "größer als") wirbt die Caritas jedes Jahr österreichweit rund um den sogenannten "Elisabeth-Sonntag" (19. November) um Spenden für die Sozialprojekte im Inland. (Info: www.caritas.at/inlandshilfe)
Quelle: kathpress