Telefonseelsorge warnt vor steigendem Suchtproblem zu Weihnachten
Die mit Suchterkrankungen verbundene Problematik wird rund um Weihnachten und den Jahreswechsel besonders spürbar: Darauf haben Marlies Matejka, Leiterin der Telefonseelsorge Wien, und Prof. Michael Musalek, ärztlicher Leiter des Anton-Proksch-Institus, bei einer Pressekonferenz am Montag in Wien verwiesen. Die Weihnachtszeit mit ihren vielen beruflichen und privaten Feiern löse bei Menschen häufig Stress aus, oft verknüpft mit zu hohem Alkoholkonsum, erläuterte Musalek.
Problematisch mache die Weihnachtszeit etwa für alkoholkranke Menschen auch die ständige Verfügbarkeit von Alkohol. "Feiern am Arbeitsplatz oder Zusammenkünfte in der Familie bieten die Gelegenheit, verstärkt Suchtmittel zu konsumieren", so der Psychiater. Weihnachten sei außerdem oft mit wirtschaftlichem Druck, einem Rückblick auf das alte und einem Ausblick auf das kommende Jahr verbunden; dadurch werde die Weihnachtszeit für Menschen mit Suchtproblemen besonders belastend.
Zwar gebe es keinen zahlenmäßig erwiesenen Zusammenhang zwischen den Weihnachtsfeiertagen und dem Anstieg von Suchtproblemen. "Das Anton-Proksch-Institut merkt aber etwa anhand der Zugriffe auf die Website bzw. der damit verknüpften Suchbegriffe, dass das Thema Sucht rund um die Feiertage für viele Menschen von Bedeutung ist", erläuterte Musalek.
Jeder 10. Österreicher von Sucht betroffen
Statistisch betrachtet, kämpft nach den Worten des Psychiaters jede zehnte Person in Österreich einmal im Leben mit einer Suchterkrankung. Besonders häufig ist Alkohol das Problem: Geschätzte 340.000 Österreicher sind alkoholkrank, nahezu jeder vierte Erwachsene konsumiert Alkohol in gesundheitsgefährdendem Ausmaß. Eine weitgehend unterschätzte Erkrankung ist aber auch die Medikamentensucht, mit etwa 150.000 Betroffenen die laut Musalek dritthäufigste Suchterkrankung in Österreich nach der Alkohol- und Nikotinabhängigkeit.
Suchterkrankungen könnten heute bereits gut behandelt werden, problematisch ist allerdings der Behandlungsbeginn: Da Suchterkrankungen oft mit großer Scham behaftet sind, holen sich Betroffene oft keine Hilfe. Der Psychiater betonte, es brauche daher verstärkt niederschwellige Beratungsangebote wie etwa die Telefonseelsorge, die vor allem für Suchtkranke eine wichtige Anlaufstelle sei, denn:
Eine Kontaktaufnahme über das Telefon ist viel leichter als ein Gespräch von Angesicht zu Angesicht.
"Kunst des Zuhörens"
Bei den Beratungsgesprächen setzt die Telefonseelsorge vor allem auf die "Kunst des Zuhörens", gerade in einer Zeit von immer mehr visualisierter Kommunikation, die sich zusehends auf das Senden von Text-Nachrichten beschränkt. In den Gesprächen wollen die rund 800 ehrenamtlichen Mitarbeiter der Einrichtung einen Raum zum Erzählen öffnen. Dabei gelte es, "die vielen eigenen Bilder, Ideen und Lösungsmöglichkeiten, die durch die Schilderung meines Gegenübers geweckt werden, hintanzustellen", erläuterte die Wiener Telefonseelsorge-Leiterin Marlies Matejka.
Erfahrungen zeigten, "dass in schwierigen Situationen und Krisen ein Gespräch schon sehr viel weiterhilft"; denn wer rede, finde zu sich selbst. "Im Gespräch beruhigen sich überbordende Gefühle. Durch das Benennen der eigenen Gefühle ordnen sich Gedanken und Emotionen, beginnen sich erste kleine Perspektiven abzuzeichnen. Wer anfängt, über sich zu erzählen, wird lebendig, weckt die eigenen Erinnerungen und kommt in Kontakt mit sich selbst", so Matejka. Die von ihr geleitete Einrichtung setzt dabei vor allem auf Empathie und emotionale Zuwendung, wobei es oft "weniger ums Reparieren als ums Respektieren" gehe.
Seit 20 Jahren unter 142 erreichbar
Die Telefonseelsorge Österreich, die Menschen in schwierigen Lebenssituationen ihre Dienste seit über 50 Jahren bietet, erhielt 1998 den amtlichen Notrufstatus. Seither sind Mitarbeiter der Einrichtung das ganze Jahr über unter der Nummer 142 erreichbar. Im vergangenen Jahr wurden 132.000 Beratungsgespräche mit einer Beratungszeit von 34.000 Stunden geführt. Die Telefonseelsorge wird zu 71 Prozent von Frauen und zu 29 Prozent von Männern kontaktiert. Die meisten Anrufenden sind zwischen 40 und 60 Jahre alt.
An die Online-Beratung wenden sich vorwiegend jüngere Menschen: Diese Beratungsform wurde im letzten Jahr 3.000 Mal via E-Mail und 900 Mal mittels Chat angefragt. Hier sind 74 Prozent der Nutzer weiblich, 26 Prozent männlich. 48 Prozent der Ratsuchenden in der Mailberatung und 58 Prozent der Chatnutzer sind unter 30 Jahre alt. Die drei Hauptberatungsthemen sind Beziehungsprobleme, Einsamkeit und psychische Krankheiten.
(Infos: www.telefonseelsorge.at)
Quelle: kathpress