Glettler: Ohne Ausgleich von Lebenschancen kein globaler Friede
"Gerechtigkeit ist ein anderes Wort für Friede": An diesen Ausspruch von Papst Johannes XXIII. in seiner wegweisenden Enzyklika "Pacem in terris" (1963) hat der Innsbrucker Bischof Hermann Glettler anlässlich des am 1. Jänner begangenen Weltfriedenstages erinnert. "Ohne eine entschiedene Offensive für einen annähernden Ausgleich von Lebenschancen für einen Großteil der Weltbevölkerung wird kein nachhaltiger Friede möglich sein", betonte er in einem auf der Website der Diözese Innsbruck veröffentlichten Manuskript.
Glettlers These im Anschluss an den heiliggesprochenen Konzilspapst: "Solange es keine annähernde Verteilungs-Gerechtigkeit in der Welt gibt, solange die Menschenrechte verletzt werden, solange nicht jedes Individuum Entwicklungsmöglichkeiten gemäß seinen Anlagen und Fähigkeiten hat und in Freiheit leben kann, solange es keine gerechte Weltordnung und Teilhabe gibt, Menschen ausgebeutet werden, hungern müssen und keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben, Frauen- und Kinderrechte mit Füßen getreten werden, wird es Gewalt und Kriege geben."
Der eindringliche Appell, den Papst Franziskus 2013 bei einem Besuch im Armenviertel von Rio de Janeiro an seine Zuhörer richtete, gelte auch für hier und heute: "Werdet nicht müde, für eine gerechtere und solidarischere Welt zu arbeiten!" Jeder solle seinen Möglichkeiten und seiner Verantwortung entsprechend persönlich dazu beitragen, den vielen sozialen Ungerechtigkeiten ein Ende zu setzen. Nicht die "Kultur des Egoismus" baue eine bewohnbarere Welt auf, sondern die Kultur der Solidarität, zitierte Glettler den argentinischen Papst.
Ohne Veränderung unseres westlichen, auch die Natur massiv ausbeutenden Lebensstils sei letztlich kein essenzieller Beitrag zum Frieden möglich. "Getriebene der Gier nach immer mehr werden die Welt in einen immer größeren Stress versetzen", warnte Glettler.
"Eigentliche Waffenkammer des Menschen"
Wirklicher Friede, der mehr als "Nicht-Krieg" ist, habe aber noch viel mehr Dimensionen als diese globale, unterstrich der Bischof. Der "eigentliche Unruheherd", in dem das gesamte Potenzial von Frieden und Vernichtung gespeichert sei, ist nach den Worten Glettlers das menschliche Herz - wie die jüdisch-christliche Tradition die Mitte der Person benennt. Das Herz sei Speicherzentrale und Archiv nicht nur für die vielen positiven und schönen Momente des Lebens, sondern auch für Enttäuschungen, Demütigungen und Verbitterung. Angesichts von erlittenen Kränkungen und dem damit verbundenen destruktiven Aggressionspotenzial sei dieses Herz die "eigentliche Waffenkammer des Menschen", so Glettler.
Wahre Herzensbildung erfordere u.a. die konsequente Einübung von humanen Wertvorstellungen. Ansonsten komme es zu einer "steigenden Abkühlung und Vereisung des Miteinanders" und zu einem wachsenden diffusen Misstrauen der Menschen untereinander. Ohne eine solche "Wandlung des Herzens" werde sich der "soziale Klimawandel" fortsetzen, "der mindestens so dramatische Folgen hat wie der ökologische", warnte Glettler.
Religionen und ihre Utopien nützen
Wichtige Faktoren als Friedensförderer sind nach den Worten des Bischofs die Religionen - trotz des ihnen auch innewohnenden Gewaltpotenzials. Ein "Dialog der Religionen" auf mehreren Ebenen - alltagspraktisch, nachbarschaftlich, gesellschaftspolitisch, theologisch - sei trotz der konkreten Mühe, die er abverlangt, eine alternativlose Bedingung für das Projekt "Weltfrieden", betonte Glettler. Und Friedensarbeit benötige eine spirituelle Basis: "Es ist notwendig, der Seele Nahrung zu geben." Wer innerlich leer ist, sei unfähig zur Geduld mit seiner Umgebung, nicht belastbar, sondern im Gegenteil entweder apathisch oder aggressiv, erklärte Glettler.
Er erinnerte an die Utopie des im Weihnachtsevangelium verkündeten "Friedens auf Erden". Hier werde eine Gegenmacht proklamiert, die sich "dem Machtmoloch römisches Reich" entgegenstellt, wie Glettler sagte: "Nicht der vergöttlichte Kaiser, sondern der lebendige Gott, der in Jesus als menschliche, verletzbare Gestalt zu uns gekommen ist, schafft den wirklichen Frieden."
Utopien trügen in sich ein Veränderungspotenzial und schöpfe ihre Kraft aus zwei Elementen, auf die Papst Franziskus aufmerksam gemacht habe: einerseits aus dem Missbehagen über die vorherrschende Wirklichkeit; andererseits aus der "unerschütterlichen Überzeugung, dass eine andere Welt möglich ist".
Die Jahresschlussandacht am 31. Dezember feierte Bischof Glettler im Innsbrucker Dom. Für 1. Jänner kündigte die Diözese seine Teilnahme an einem Friedensgebet in der Spitalskirche in Innsbruck mit.
Quelle: kathpress