Papst predigt Reformen im Irak
Mit einem Aufruf zu nationaler Einheit und Reformen hat Papst Franziskus am Freitag seine viertägige Reise durch den Irak eröffnet. In seiner Auftaktrede im Präsidentenpalast von Bagdad stellte er sich hinter den Unmut der Bevölkerung über Machtmissbrauch, Spaltungen, Einmischung von außen und fehlende Zukunftsperspektiven für die junge Generation. Zugleich warb er für eine plurale Gesellschaft - auch mit gleichberechtigter Beteiligung der Christen, die nach Jahren der Abwanderung zu einer kleinen Gruppe geschrumpft sind. An sie wandte sich Franziskus bei einem eigenen Treffen in der syrisch-katholischen Kathedrale der irakischen Hauptstadt, die 2010 Ort eines blutigen Terroranschlags war.
Der Papst besucht den Irak unter schwierigen Bedingungen. Die Corona-Infektionsrate ist hoch, die Sicherheitslage prekär. Vor Journalisten auf dem Hinflug nannte er die Reise "eine Pflicht gegenüber einem seit vielen Jahren gemarterten Land". Tage zuvor hatte er mit Blick auf die schon für 2020 geplante Visite erklärt, er dürfe die Menschen im Irak nicht ein zweites Mal enttäuschen.
Im Land herrscht Ausgangssperre, schwer bewaffnetes Militär kontrolliert die Fahrtrouten des Papstes in Bagdad. Franziskus selbst, der sonst auf Kleinwagen als Transportmittel besteht, wird dieses Mal in einem kugelsicheren 750er-BMW durch die Straßen gefahren.
Seit 1980 stand das Land in wechselnden Kriegen oder hatte mit deren Folgen zu ringen. "Ich komme als Büßer, der den Himmel und die Brüder um Vergebung bittet für so viel Zerstörung und Grausamkeit", sagte der Papst in seiner ersten Rede. "Ich komme als Pilger des Friedens, im Namen Christi, des Friedensfürsten." Franziskus präsentierte sich vor der politischen Elite im Präsidentenpalast bescheiden, aber in der Sache klar. Er mahnte zum Kampf gegen die "Plage der Korruption" und forderte die Stärkung von Recht und Transparenz auch durch die staatlichen Institutionen, die diese schützen sollen.
Inhaltlich können er und Staatspräsident Barham Salih sich die Hand reichen. Ihre beiden Reden am Freitag gehaltenen wären absatzweise austauschbar. Auch Salih sprach Probleme wie Jugendarbeitslosigkeit und soziale Gerechtigkeit, Polarisierung und eine nötige Strukturreform im politischen System des Landes an.
Überreste des alten Regimes von Saddam Hussein und neuer islamistischer Terror, Religionskonflikte und Vetternwirtschaft hätten im Irak seit 2003 den Aufbau wirklicher demokratischer Strukturen gebremst. Das räumte auch Ministerpräsident Mustafa al-Kadhimi dieser Tage in einem Interview der Zeitung "Asharq al-Awsat" ein. Die Entfremdung zwischen der Führungselite und der Bevölkerung ist groß. Monatelang gingen 2019 und 2020 Hunderttausende für einen Kurswechsel auf die Straße. Im Oktober soll es Neuwahlen geben.
Auch Franziskus ist der Ansicht, dass der Irak noch dabei ist, "das Fundament für eine demokratische Gesellschaft zu legen". Dabei nimmt er auch die internationale Gemeinschaft in die Pflicht. Ihr komme "eine entscheidende Rolle bei der Förderung des Friedens in diesem Land und im gesamten Nahen Osten" zu. In Richtung der versammelten Diplomaten mahnte er, dem Irak nicht die freundschaftliche und helfende Hand entziehen, ohne jedoch dabei "politische oder ideologische Interessen durchzusetzen".
"Genug der Gewalt und des Extremismus"
Für den Papst, der die Geschwisterlichkeit aller Menschen zum Programm erhoben hat, ist die Priorität des Ich vor dem Wir ein Grundübel. "Genug der Gewalt, des Extremismus, der Parteiungen und der Intoleranz", mahnte er in Bagdad und warb für eine plurale Gesellschaft.
Den Beweis, dass das zum Wohle aller funktionieren kann, sollen die Christen antreten. Ihre Präsenz seit "uralten Zeiten" stelle ein reiches Erbe dar. Nötig seien dafür auch volle Rechte und die Teilnahmemöglichkeit am öffentlichen Leben, betonte Franziskus. Viele Christen im Irak haben diese Hoffnung abgeschrieben. Nur wenige Hunderttausend sind geblieben.
Aber nicht auf deren Probleme ging der Papst im Präsidentenpalast ein, sondern auf die Jesiden, die durch den "Islamischen Staat" schwer verfolgt wurden. Sie hätten "unerhörte und unmenschliche Barbareien" erlitten, erinnerte Franziskus. An die eigenen Leute wandte er sich erst später in der syrisch-katholischen Kathedrale von Bagdad. Ende Oktober 2010 kamen dort bei einer Geiselnahme und einem anschließenden Massaker 48 Menschen ums Leben.
"Ihr Tod erinnert uns nachdrücklich daran, dass Anstiftung zum Krieg, Haltungen des Hasses, Gewalt und Blutvergießen mit den religiösen Lehren unvereinbar sind", sagte Franziskus vor Klerikern und Kirchenmitarbeitern. Die Christengemeinde ermutigte er zum Einsatz für das Gemeinwohl - und sei sie "so klein wie ein Senfkorn".
Am Samstag will Franziskus mit dem schiitischen Großajatollah Ali al-Sistani in Nadschaf zusammentreffen. Anschließend möchte er in Ur, der Heimat des biblischen Stammvaters Abraham, mit Vertretern unterschiedlicher Glaubensgemeinschaften bekunden, "dass die Religion der Sache des Friedens und der Einheit unter den Kindern Gottes dienen muss".
Geschwisterlichkeit war ein Leitwort der ersten Botschaften des Papstes im Irak. Sein Besuch sei "eine Art Gottesgeschenk", sagte einer der eingeladenen Diplomaten.
Quelle: kathpress