
Pflegeorganisationen: Viele offene Fragen bei Sterbeverfügungsgesetz
Das "Sterbeverfügungsgesetz", mit dem ab 1. Jänner Beihilfe zum Suizid unter bestimmten Bedingungen straffrei wird, lässt viele Fragen für die tägliche Praxis offen. Das ist der Tenor einer Rundfrage von Kathpress bei Pflegeorganisationen. Die Caritas hat deshalb gemeinsam mit der Österreichischen Ordenskonferenz einen vorläufigen Orientierungsrahmen für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erstellt. Für die Diakonie darf assistierter Suizid nicht zum gesellschaftlichen Normalfall werden und das Rote Kreuz fordert Begleitmaßnahmen. Einig sind sich alle Organisationen in der Forderung nach einem Auf- und Ausbau des Palliativ- und Hospizangebots in Österreich.
Die Caritas sei zwar "zuallererst erleichtert, dass gerade noch rechtzeitig vor Jahresende ein Gesetz verabschiedet wurde, das sicherstellt, dass Österreich mit Anfang 2022 in dieser sehr heiklen Fragestellung nicht einen rechtsfreien Raum öffnet", so Generalsekretärin Anna Parr. Kritisch sehe sie aber u.a., dass die Mittel für den Ausbau von Hospiz- und Palliativdiensten nicht zeitgleich gesichert sind. Ein Punkt, der auch vonseiten des Roten Kreuzes unterstrichen wird: Für die Organisation sei der geplante Auf- und Ausbau des Palliativ- und Hospizangebots in Österreich eine unerlässliche Voraussetzung für das Gesetz "und sollte zügig vorangetrieben werden". Maria-Katharina Moser, Direktorin der Diakonie, hielt fest, dass assistierter Suizid nicht zum gesellschaftlichen Normalfall werden dürfe, weshalb dem Missbrauchsschutz eine zentrale Rolle zukommen müsse.
Die Caritas sei nach wie vor überzeugt, dass der leichte, leistbare und flächendeckende Zugang zu Hospiz- und Palliativangeboten die beste Antwort auf Wünsche zur frühzeitigen Beendigung des Lebens und damit ein wichtiges Angebot zur Suizidprävention sein. "Als Caritas ist es unsere Aufgabe, Menschen im Leben und im Sterben beizustehen, sie - und auch ihre Angehörigen - zu begleiten und zu beraten sowie ihre Schmerzen zu lindern", so Parr.
Mit dem vorliegenden Sterbeverfügungsgesetz blieben viele Fragen für die "tagtägliche Praxis und Realität" unbeantwortet. Um diese Fragen für Mitarbeiter und Klienten bestmöglich beantworten zu können, haben Caritas und Orden einen ersten vorläufigen Orientierungsrahmen für die katholischen Träger von Gesundheits- und Sozialeinrichtungen erstellt. Dieser werde nun jeweils von den diözesanen Caritasorganisationen mit Leben erfüllt "und in geeigneter Weise zur Umsetzung gebracht", so Parr. Der Orientierungsrahmen sei zunächst nur bis Jahresende 2022 gültig und werde regelmäßig im Licht der praktischen Erfahrung reflektiert.
Der Rahmen solle ein "Dokument aus der Praxis und für die Praxis" sein und Mitarbeitenden "in Fragen, Anliegen, Verunsicherungen, Sorgen und Ängsten, mit denen sie konfrontiert sind, Handlungsmöglichkeiten bieten", so Parr. Klar sei, "unser Dienst gilt dem Leben, auch in schwierigsten Momenten". Man werde deshalb "Sterbenden und ihren An- und Zugehörigen bis zuletzt zur Seite stehen, sie gut begleiten, ihnen zuhören und für sie da sein und ein vielschichtiges Angebot an Hospiz- und Palliativversorgung vermitteln."
"Wir lassen niemanden im Stich"
Wie von der Diakonie wird auch von der Caritas betont, dass eine Mitwirkung an der Vorbereitung, oder die Durchführung eines assistierten Suizids nicht Teil des Angebotsspektrums sein könne. Parr: "Den Wunsch zu sterben verstehen wir als Hilferuf. Wenn jemand seinen Zustand als würdelos empfindet oder sich in seiner Würde verletzt fühlt, wollen wir dem nachspüren und nach Lösungen suchen, um diese Würde, den der Mensch niemals verliert, zu schützen. Wenn sich jemand dennoch für den assistierten Suizid entscheidet, müssen wir das akzeptieren. In der Praxis wird aber immer erfahrbar bleiben, worum es im Kern unserer Arbeit geht. Wir lassen niemanden im Stich - das gilt auch und vor allem für Menschen am Ende ihres Lebens."
Für alle Organisationen zentral: "Wir brauchen endlich eine Sicherstellung der Regelfinanzierung für den so dringend notwendigen Ausbau von Hospiz- und Palliativangeboten für die Betroffenen", forderte Parr. Sie begrüße den Beschluss des Ministerrats, wonach die Suizidprävention jährlich mit konkreten Maßnahmen im Umfang von 2,5 Millionen Euro unterstützt werden soll, bemängle aber, dass Mittel für den Ausbau von Hospiz- und Palliativdiensten nicht zeitgleich mit dem Sterbeverfügungsgesetz gesichert wurden.
Missbrauchsschutz zentral
"Für die Diakonie kann assistierter Suizid kein reguläres Leistungsangebot sein", betonte auch Diakonie-Direktorin Maria Katharina Moser auf Kathpress-Anfrage, "auch wenn die Diakonie einzelne, die sich trotz aller intensivierten Begleitung tragischerweise nicht für das Leben entscheiden können, nicht alleine lassen will und nicht ausschließen kann, dass es in Einzelfällen in ihren Einrichtungen zu assistierter Suizid kommt".
Wichtig sei der Diakonie, dass assistierter Suizid nicht zum gesellschaftlichen Normalfall werden dürfe, deshalb sei der Missbrauchsschutz in seiner rechtlichen Regelung zentral. Wie häufig assistierter Suizid in Anspruch genommen werde, hänge an den Rahmenbedingungen, die Menschen mit Sterbewunsch vorfinden. Gute Rahmenbedingungen für die Pflege, gute Rahmenbedingungen für Menschen mit Behinderung, Rechtsanspruch auf persönliche Assistenz, oder der Zugang zu psychosozialer Versorgung für Menschen mit psychischen Erkrankungen sei zentral.
Menschen mit Pflegebedarf, Menschen mit Behinderungen und Menschen mit psychischen Erkrankungen müssten sich darauf verlassen können, dass ihre äußeren Lebensbedingungen so sind, dass sie nicht aufgrund sozialer Nöte oder Stigmata in Suizidwünsche gedrängt werden. Das sei aber eine Frage, die über das Sterbeverfügungsgesetz hinausgehe, vieles müsse im sozialen Bereich gesellschaftlich gelöst werden. "Das Sterbeverfügungsgesetz kann lediglich klären, unter welchen Voraussetzungen Beihilfe zum Suizid straffrei bleiben soll".
Zu würdigen sei laut Diakonie das zweistufige Verfahren in der Errichtung einer Sterbeverfügung, auch man es bevorzugt hätte, personell zwischen der Aufklärung und der Feststellung der Entscheidungsfähigkeit und freien Willensbildung zu trennen. Unglücklich sei man mit dem Namen des Gesetzes. Der Begriff "Sterbeverfügung" deute eine Analogie oder zumindest Nähe zur Patientenverfügung an, die nicht gegeben sei.
Begleitmaßnahmen gefordert
Aus Sicht des Roten Kreuzes brauche es für die Umsetzung des Sterbeverfügungsgesetzes in die Praxis "unbedingt Begleitmaßnahmen", hieß es gegenüber Kathpress. Für die Organisation sei der geplante Auf- und Ausbau des Palliativ- und Hospizangebots in Österreich dafür eine unerlässliche Voraussetzung "und sollte zügig vorangetrieben werden".
Das Rote Kreuz begleite viele Menschen, die schwer, unheilbar krank sind oder sich am Ende ihres Lebens befinden. "Wir werden Menschen, die diesen schwierigen Schritt setzen, zur Seite stehen." Gleichzeitig bereite man sich auch als Organisation auf die Umsetzung des Sterbeverfügungsgesetz vor und werde die Mitarbeitenden und Freiwilligen im Rettungsdienst sowie in der Pflege und Betreuung mit Aus- und Fortbildungen unterstützen.
Nicht am assistierten Suizid mitwirken
Der Dachverband Hospiz Österreich gebe in erster Linie "Auskunft zu den Anliegen der Hospizbewegung und berät gern in allen Fragen zu Hospiz und Palliativ Care", hieß es auf Anfrage von Kathpress beim Verband. Bei Nachfragen zum neuen Gesetz zu Sterbeverfügung, Fragen zur Errichtung einer Sterbeverfügung und Frage betreffend die Beihilfe zum Suizid bitte man sich an die Justiz-Ombudsstellen oder die Patientenanwaltschaften zu wenden.
Der Vizepräsident des Dachverband Hospiz Österreich, Karl Bitschnau, betonte in einem Beitrag für das Magazin des Dachverbands der österreichischen Pflegeheime die Position des Verbands zum assistierten Suizid. Selbst wenn sich jemand entscheide, den Weg des assistierten Suizids zu gehen, könne derjenige "immer mit unserem Respekt und jeder Unterstützung im Rahmen unserer Möglichkeiten rechnen", so Bitschnau in dem Beitrag, man werde jedoch nicht am assistierten Suizid mitwirken. "Selbstverständlich werden wir aber für Beratungen zu den Angeboten der Hospiz- und Palliativversorgung zur Verfügung stehen und auch den Entscheidungsweg begleiten, soweit die Betroffenen dies wünschen und zulassen", betonte Bitschnau.
Der Nationalrat hatte am vergangenen Donnerstag (16. Dezember) mit großer Mehrheit die neue Regelung für die Sterbehilfe beschlossen. Ab dem Jahr 2022 können dauerhaft schwer oder unheilbar Kranke, die Beihilfe zum Suizid in Anspruch nehmen wollen, eine Sterbeverfügung errichten. Weiterhin strafrechtlich verboten ist die Tötung auf Verlangen.
Quelle: kathpress