Ukraine: Religionen für Versöhnungsarbeit nach Krieg unverzichtbar
Angesichts des großen Leids, das der Krieg in der Ukraine verursacht, ist Religion für Gespräch und Versöhnung "unverzichtbar": Das betonte der emeritierte Innsbrucker Dogmatiker Jozef Niewiadomski im Interview mit der Kärntner Kirchenzeitung "Sonntag" (aktuelle Ausgabe). Der unverzichtbare und größte Wert von Religion zeige sich, wenn die Ethik zusammenbricht. Jeder Krieg sei eine "Katastrophe der Ethik". Denn "in der Selbstwahrnehmung der Kriegsgegner ist jeweils der andere der Böse. Jeder glaubt, er selbst benehme sich ethisch verantwortlich". Die seit Thomas von Aquin gepflegte Theorie vom gerechten Krieg sei immer so gelebt worden, dass jede Partei glaubte, sie führe den gerechten Krieg.
Zudem stelle der Krieg das gewohnte Denken infrage: "Wir dachten, die Entwicklung der Welt zumindest in Europa ginge linear in Richtung liberaler Demokratien mit Menschenrechten, Sozialstaat, Säkularisierung." Das größte Problem der Kirche stelle daher aktuell "die fehlende Demokratisierung, das Geschlechterproblem" dar.
Die hierzulande etwa durch Vertrauensverlust "sehr geschwächte" Kirche sei herausgefordert, sich in diesem Kontext neu zu buchstabieren. Eine zentrale Frage sei, wie ein Neuanfang und ein Weiterleben mit dem, was war, durch das Scheitern hindurch möglich wird. Dabei gehe es um die "Korrektur von Schablonen" und eine neue Verteilung der Wertungen, um sich nicht zu Tode zu reformieren. Die Teilnahme an der Pfarrgemeinderatswahl etwa zeige nicht nur, "dass Menschen denken, ich kann eh nichts entscheiden, weil das die Hierarchie macht. Sie zeigt auch, dass den Menschen nicht ganz klar ist, was die Bedeutung des religiösen Engagements ist." In jedem Fall brauche es ein Ziel vor Augen: "Der Wert des Glaubens ist die Vermittlung eines Vertrauens, und dass es ein Ziel gibt." Das könne verdunkelt und vernebelt werden. Ein "Halte durch!" sei dann zu wenig.
Auferstehungsglaube führt zu Neubewertung
Das Christentum in biblischer Tradition stehe und falle mit der Überzeugung, dass dieses Leben nicht das Letzte sei, sondern dass es eine Vollendung durch den Tod, durch Sackgassen, durch Brüche hindurch gebe. Daraus ergibt sich für den Dogmatiker die Haltung der Gelassenheit, selbst in schlimmsten Situationen. Die Erzählung vom Tod Jesu, dessen an Karfreitag gedacht wird, vermittle etwa den Eindruck einer ausweglosen Situation, auf die die "entsetzliche Leere des Karsamstags: Grabesruhe" folgte. Doch die Auferweckung stelle einen unerwarteten Neubeginn dar, der eine Neubewertung ermögliche.
Für Niewiadomski sei der Tod seiner schwer kranken Mutter ein solches Erlebnis gewesen, als er zwölf Jahre alt war. Bei der Beerdigung habe ihm eine alte Frau gesagt: "Du brauchst keine Angst zu haben. Die Mama schaut vom Himmel herab und beschützt dich." Für Niewiadomski sei das wie ein Wunder gewesen. Der Tod seines Vaters ein Jahr später habe sein Leben nicht mehr erschüttert. "Tatsächlich hat meine Mutter auf mich geschaut: Weil sich niemand um mich Vierzehnjährigen gekümmert hat, kam ich in ein kommunistisches Waisenhaus."
Jozef Niewiadomski wurde 1951 in Lublin/Polen geboren. Von 1991 bis 2019 lehrte er als Professor für Dogmatik und Systematische Theologie zunächst in Linz, dann in Innsbruck. Heuer war er als Prediger bei den traditionellen "Heilig-Haupt-Andachten" in Klagenfurt-St. Egid.
Quelle: kathpress