"Was mich ängstigt, sind die viele Suizidversuche unter Jugendlichen"
Corona-Pandemie, Klima-Krise, Ukraine-Krieg: Die vielfältigen Krisenphänomene der Gegenwart standen bei einer hochkarätigen Podiumsdiskussion im Wiener Ordens- und Begegnungszentrum "Quo vadis" in der gestrigen "Langen Nacht der Kirchen" auf dem Programm. Beleuchtet wurden diese Krisen von der Theologin Regina Polak, dem Politologen Vedran Dzihic und dem Kinder- und Jugend-Psychiater und Autor Paulus Hochgatterer.
"Was mich ängstigt, sind die vielen Suizidversuche unter Jugendlichen", gab Hochgatterer Einblicke in seine tägliche Arbeit am Uniklinikum in Tulln. Tatsächlich zeige sich jetzt langsam die ganze Dramatik der Folgen des "social distancing" und der Lockdowns. Der Mangel an "Resonanz-Erfahrungen" habe gerade unter Kindern und Jugendlichen zu einer Destabilisierung geführt. Zuversichtlich stimme ihn indes die Tatsache, dass die Pandemie nicht nur zu einem Ansteigen an Depressionen geführt habe, sondern auch zu einem großen Engagement gerade unter jungen Menschen.
Der Politologe Vedran Dzihic ortete zudem eine tiefe gesellschaftliche Verunsicherung: Die alte "Großerzählung" vom Fortschritt und Aufstieg sei außer Kraft gesetzt, heute würden Krisenerfahrungen auf Dauer gestellt und sich zu einer "neuen Normalität" verstetigen. Auch er setze jedoch seine Hoffnungen in die jungen Menschen, die trotz aller Bedrohungen "immer wieder neu anfangen" und "aufstehen und anpacken", so Dzihic. Persönlich habe der Ausbruch des Ukraine-Krieges in ihm Ängste und Traumata seiner eigenen Flucht 1993 aus Bosnien-Herzegowina wachgerüttelt - Erfahrungen von Angst, die er so nicht mehr für möglich gehalten habe, räumte der Politologe ein.
Die Theologin und Werteforscherin Regina Polak ortete darüber hinaus eine tiefe gesellschaftliche Verunsicherung, die sich in teils diffusen Ängsten zeige - es sei zwar gut und wichtig, sich "Mut zur Angst" einzugestehen und einzuräumen, so Polak, aber man dürfe auch auf die sozialpolitischen und friedenspolitischen Errungenschaften hoffen und stolz sein, die Europa groß gemacht hätten, so die Theologin.
Die biblische Religion bzw. die biblischen Schriften lehrten in dem Zusammenhang, wie Angst, Sorge und Trauer in produktive Kräfte umgewandelt werden könne. Die aktuellen Krisen würden nicht die einzigen bzw. letzten Krisen sein - als nächstes stehe das Ende des "fossilen Zeitalters" an -, dies alles gelte es nicht apathisch zu ertragen, sondern aktiv zu gestalten. Dabei könne auch Religion eine wichtige Rolle spielen, so Polak.
Die Podiumsdiskussion stand unter dem Titel "Krisen-Katastrophen-Konflikte: Was ängstigt, was gibt Hoffnung?" und war eine Kooperationsveranstaltung des Canisiuswerkes und des "Quo vadis". Unter der Leitung von "miteinander"-Chefredakteur Henning Klingen stellte sie zugleich den Auftakt zu einer neuen Gesprächsreihe "miteinander.imDialog" dar, die künftig regelmäßig im "Quo vadis" stattfinden soll.
Quelle: kathpress