
Moraltheologe Lintner: "Weg von Sexualmoral, hin zu Beziehungsethik"
Für eine Weiterentwicklung der kirchlichen Lehre im Bereich der Sexualmoral hat sich der Brixener Moraltheologe Prof. Martin Lintner ausgesprochen. Es gehe darum, "wegzukommen von einer klassischen Sexualmoral hin zu einer Beziehungsethik", betonte Lintner in einer neuen Folge des Theologie-Podcasts "Diesseits von Eden". Darunter verstehe er, dass Sexualität "nicht einfach als abstrakte Einheit" gesehen werden solle, sondern dass sie einen "Teil der menschlichen Person" ausmache und einen wesentlichen Aspekt der Entfaltung der Identität darstelle. Sexualität sei ein komplexes Beziehungsgeschehen und dürfe nicht einfach auf einen Akt reduziert werden, so Lintner. Zu dem Thema legte er jüngst unter dem Titel "Christliche Beziehungsethik" ein umfangreiches Werk vor.
Beziehungsethik bedeute in dem Fall, dass die Kirche die Komplexität menschlicher Identitätsbildung anerkenne und auf der anderen Seite, dass Menschen befähigt werden, "einen verantwortungsvollen Umgang einzuüben, der den anderen Menschen in seiner Würde, in seiner Freiheit, in seiner Identität achtet". Darin liege auch eine Chance im Dialog mit der säkularen Gesellschaft, zeigte sich Lintner überzeugt. "Ich glaube, dass wir vom christlichen Menschenbild her einiges mitbringen können, was die Integration von Sexualität und Beziehungsfähigkeit in die menschliche Person ausmacht" und wo es um Fragen der Würde gehe - etwa in den Bereichen der Pornografie.
Gender-Debatte nicht gleich als "Angriff" sehen
Ermutigen wolle er die Kirche auch dazu, im umstrittenen Bereich der Gender-Debatte nicht alles gleich als "Angriff gegen die eigene Lehre" zu verstehen, sondern zu fragen, wo christliche Beziehungsethik dabei helfen könne, dass Menschen ihre Identität finden und entfalten. So höre er etwa von Kollegen aus Deutschland, dass immer mehr Jugendliche sich im Blick auf ihre sexuelle Identität unsicher seien und sich schon im Jugendalter als Transgender-Personen verstehen. Anstatt dies zu kritisieren oder abzuqualifizieren, sei eine Begleitung gefragt, "damit sie zu einer reifen Selbstwahrnehmung kommen" und auch lernen, "sich anzunehmen".
Zu den beharrenden Kräften, die die kirchliche Lehre davon abhielten, die "kopernikanische Wende" zu erkennen, die in einer solchen Anerkennung des Menschen in seiner ganzen verflochtenen Komplexität, zählen laut Lintner die Berufung auf den biblischen Schöpfungsbericht, der eine bloße geschlechtliche Binarität festhält ("Als Mann und Frau schuf er sie", Gen 1), sowie ein sich darin ausdrückendes überkommenes Naturrechtsdenken.
"Nihil obstat"-Verfahren weiterhin offen
Lintner äußerte sich zudem auch zu seinem "Nihil obstat"-Verfahren. Im Juni hatte die Philosophisch-Theologische Hochschule (PTH) Brixen mitgeteilt, dass das vatikanische Bildungsdikasterium der Wahl Lintners zum Dekan die dafür notwendige Unbedenklichkeitserklärung ("Nihil obastat") verweigert hatte. Genauere Angaben zu den Gründen wurde nicht gemacht - es gilt jedoch als sicher, dass Publikationen Lintners zu Fragen der katholischen Sexualmoral den Ausschlag gaben. Bereits 2012 hatte Lintners Buch "Den Eros entgiften" zu einem ersten Verfahren bzw. Gutachten geführt, infolgedessen er zu fünf Punkten schriftlich Stellung nehmen sollte. Nun, elf Jahre später, sei dieses Verfahren offenbar erneut aufgegriffen worden.
Aktuell befänden sich die Regeln für diese Verfahren in Überarbeitung, erklärte Lintner. Der bisherige Dekan der PTH, Prof. Alexander Notdurfter, wurde um ein Jahr verlängert, um Zeit zu gewinnen. "Ich gehe davon aus, dass man abwarten wird, bis diese Überarbeitung zu Ende gekommen ist, und dass man dann eine neue rechtliche Grundlage hat, um eben eben das zu machen, was man angekündigt hat, nämlich neu zu prüfen". Das durch diese Causa in der Öffentlichkeit entstandene Bild sei gewiss "sehr unglücklich" und "schädlich für viele Ebenen", so Lintner weiter. So schade es dem Leumund der Theologie als Wissenschaft an den Universitäten, aber er höre auch von Kolleginnen und Kollegen, die vorsichtiger geworden seien mit Publikationen zu einschlägigen Themen.
Synode: "Gewisse Grundskepsis"
Der laufenden Synode begegne er mit einer "gewissen Grundskepsis", führte Lintner abschließend aus. "Ich habe die Befürchtung, dass es am Ende zu großen Frustrationen kommen wird, dass das Ergebnis nicht das sein wird, was sich viele erhoffen." Positiv bewertete der Theologe indes die Veränderungen auf der "prozeduralen Ebene" - also in der Art und Weise, wie in Rom beraten wurde. "Aber was meines Erachtens wichtig ist, ist, dass wir uns dadurch als kirchliche Gemeinschaft bewusst werden, dass wir unterwegs sind, nicht um eine bestimmte Agenda umzusetzen, sondern letztlich diesen Auftrag haben, dem Willen Gottes zu entsprechen. Was möchte Gott von dieser Kirche, dass sie in der Welt von heute wirkt? Und wie kann sie das wirken?"
Für die weiteren synodalen Beratungen empfahl der Theologe den Synodalen "Weite und Gelassenheit" im Umgang mit der faktischen Diversität auch innerhalb der Kirche. "Ich persönlich bin überzeugt, dass uns der Heilige Geist so beistehen wird, dass sich das, was richtig ist und was dem Evangelium entspricht, auch zeigen wird. Und wenn es wirklich irgendwo einen Irrweg gibt, dann wird der nicht Bestand haben." (Der Podcast mit Martin Lintner kann unter https://diesseits.theopodcast.at/lintner-sexualmoral-beziehungsethik-theologie-vatikan-synode nachgehört werden)
Quelle: kathpress