Generalvikar zu 1934: Kirche lernt Fehlerkultur erst gerade
Die katholische Kirche sollte das Zugeben von Fehlern als "Zeichen von Stärke" verstehen und öfter praktizieren: Das hat der Grazer Generalvikar Erich Linhardt im Interview mit dem steirischen "Sonntagsblatt" (Ausgabe 19. Mai) dargelegt. Er finde es schade, dass die Kirche lange keine Fehlerkultur entwickelt und sich aus Angst vor Glaubwürdigkeitsverlust schwer getan habe, eigenes schuldhaftes Verhalten einzubekennen, so der Theologe und Historiker. Immerhin beobachte er jedoch in den jüngsten Jahren eine positive Veränderung in dieser Hinsicht.
Linhardt äußerte sich vor dem Hintergrund der jüngsten Erklärung der österreichischen Bischofskonferenz zum 90. Jahrestag der Maiverfassung von 1934. Erzbischof Franz Lackner hatte das "Versagen" der Kirche im Austrofaschismus einbekannt, ähnlich wie sich zuvor auch der Grazer Bischof Wilhelm Krautwaschl für das Verhalten der Kirche bei den Februarkämpfen 1934 entschuldigt hatte. Bereits 2022 hatte sich ein Internationales Symposion in Graz dem Phänomen des politischen Katholizismus und der Prägung der Christlichsozialen in der Zwischenkriegszeit gewidmet.
Die Rolle von Österreichs katholischer Kirche von 1918 bis 1938 sei "sehr unglücklich" gewesen, befand Linhardt, der sich als Historiker schon früh wissenschaftlich mit steirischen "Priesterpolitikern" beschäftigt hatte. Es habe damals es eine sehr enge Verschränkung zwischen parteipolitischer Macht und der Priesterschaft gegeben - auf Bundesebene, jedoch auch in der Steiermark, wo ein Landeshauptmann, ein Landtagspräsident und mehrere Landesräte Priester und zugleich hohe "Funktionäre" der Christlichsozialen Partei waren.
Zwar verordnete die Bischofskonferenz 1933, alle Priester müssten aus politischen Ämtern zurücktreten, jedoch wuchs schon Monate später unter der Regierung Dollfuß der kirchliche Einfluss auf den Staat wieder, mit Priestern als Standesvertretern in den Landtagen.
Spannung zu Sozialdemokraten
Die enge Verbindung der Kirche mit der politischen Macht habe zu einem "massiven Spannungsfeld" mit der Sozialdemokratischen Partei und der Arbeiterschaft geführt, so der Generalvikar weiter. Die Botschaft sei für Letztere eindeutig gewesen, nämlich: "Die Kirche kann und will unsere Anliegen nicht verstehen, ja sie ist sogar unser Gegner." In manchen steirischen Regionen habe es infolge einen "starken Entfremdungsprozess" gegeben, der viele Jahrzehnte lang angedauert habe, sowie eine von den Sozialdemokraten veranlasste Austrittsbewegung aus der Kirche.
Erst unter Kardinal Franz König und Bundeskanzler Bruno Kreisky habe es eine wesentliche Annäherung und Entspannung gegeben, lange vorbereitet auf unterster Ebene von Priestern in den Pfarren durch ihren Umgang mit der Arbeiterschaft.
Lange Tradition in Österreich
Das "Zusammenspiel zwischen politischer Macht und kirchlichem Einfluss" habe gerade in Österreich schon eine weiter zurückreichende Tradition, gab der Generalvikar zu bedenken. Über Jahrhunderte seien Vertreter der katholischen Kirche mit dem Kaiserhaus der Habsburger verbunden gewesen, als "verlässliche Partner in der Absicherung der gesellschaftlichen Macht". Die Unterstützung sei gegenseitig gewesen, wobei die Bischöfe dem Anschein nach "eher den Mächtigen und Reichen" nähergestanden seien als den Unterprivilegierten. Intensive Zuwendung zu den Armen hätten hingegen viele in der Seelsorge tätige Priester und Ordensgemeinschaften praktiziert.
Missbrauchte Kirche
Auch wenn heute ein Lernprozess im Gange sei, sah Linhardt das Macht-Problem bislang nicht endgültig gelöst: In vielen Ländern der Welt "stand und steht die Kirche auf Seiten der Mächtigen", gab der Generalvikar zu bedenken. Ein Beispiel dafür sei die russisch-orthodoxe Kirche in Russland. Das Problem dabei sei, dass sich Religionen immer wieder als "politisches Kampfinstrument" missbrauchen ließen. "Dabei geht es auch um weltliche Macht und Einfluss, was immer sehr verlockend ist."
Entwicklungen in diese Richtung seien jedoch für jede Religionsgemeinschaft schädlich. Erst recht für das Christentum, dessen Verständnis die größte Macht die Liebe sei: Nur sie könne "letztlich wirklich alles verändern", so der Theologe.
Quelle: Kathpress