
Grünwidl: Entchristlichung größere Sorge als Islamisierung
Der designierte Wiener Erzbischof Josef Grünwidl hat im Ö1-"Journal zu Gast" am Heiligen Abend (24. Dezember) vor wachsender gesellschaftlicher Spaltung gewarnt und sich gegen politische Zuspitzungen im Religions- und Migrationsdiskurs ausgesprochen. Er plädierte für Dialog, Begegnung und Bildung als zentrale Voraussetzungen für ein gelingendes Zusammenleben in einer pluralen Gesellschaft. Die katholische Kirche wolle dazu gemeinsam mit den anderen Religionsgemeinschaften einen Beitrag leisten.
Im Zusammenhang mit einem umstrittenen ÖVP-Posting zur Integration von Muslimen sagte Grünwidl, er nehme Sorgen ernst, wenn Menschen "wirklich konkret in ihrer Erfahrung Probleme haben mit muslimischen Mitbewohnerinnen und Mitbewohnern". Skeptisch sei er jedoch, "wenn es hier um gemachte Empörung geht oder auch um geschürte Empörung". Gräben würden aufgerissen, "wo dann manche mitlaufen und mitschreien, obwohl sie persönlich noch nie eine negative Erfahrung mit Migranten oder auch mit Muslimen gemacht haben".
Sorge bereite ihm weniger eine "Islamisierung Europas" als vielmehr die "Entchristlichung Europas", so der künftige Wiener Erzbischof. "Dass es bei uns immer weniger Christen gibt, dass Eltern ihre Kinder nicht mehr taufen lassen, dass Menschen meinen, sie könnten ohne Christentum leben - da sind nicht die Muslime daran schuld", betonte Grünwidl. Christen müssten selbst zu ihren Wurzeln und Werten stehen.
Migration könne nicht allein durch Gesetze oder Parolen gelöst werden. "Das Problem Migration ist nicht mit dem Satz ,Wir schaffen das' zu lösen", sagte der derzeit noch als Apostolischer Administrator fungierende Geistliche. Zwar gebe es viele gut integrierte Migrantinnen und Migranten, zugleich aber auch Menschen, "die sich hier nicht eingliedern wollen und die leider dann auch Probleme verursachen". Lösungen seien nur durch "Begegnung, durch Dialog, durch Bildung" möglich, besonders in Schulen. Feindbilder wie "Christliches Abendland gegen das Morgenland" verschärften hingegen Probleme, statt sie zu lösen.
Verbote keine Integrationsförderer
Kritisch äußerte sich Grünwidl auch zum Kopftuchverbot für unter 14-jährige Mädchen. Die Bischöfe hatten dazu schon vor der Beschlussfassung eine skeptische Haltung eingenommen, da sowohl das Elternrecht als auch die Religionsfreiheit betroffen seien. "Weder ein Zwang, dass Eltern ihre Kinder zwingen ein Kopftuch zu tragen, ist hilfreich, aber genauso wenig auch ein Verbot, das von staatlicher Seite kommt", sagte er. Zwänge und Verbote würden Integration nicht fördern, vielmehr brauche es auch hier Dialog, Bildung und Werben um Toleranz und ein Miteinander der Kulturen und Religionen.
Zur Rolle religiöser Symbole im öffentlichen Raum sprach sich Grünwidl klar für das Kreuz aus. Religion sei "nicht nur reine Privatsache", sondern präge Lebensführung, Werte und Brauchtum. Das Kreuz als Zeichen der Erlösung und christlicher Identität sei ein "passives Symbol", das niemanden zwinge, und müsse "auch im öffentlichen Raum bleiben", was auch der Oberste Gerichtshof in Straßburg so sehe.
Deutlich wurde Grünwidl auch in der Abgrenzung gegenüber politischer Instrumentalisierung religiöser Begriffe. Zur Verwendung von "Glaube, Hoffnung und Liebe" in politischen Reden sagte er, grundsätzlich sei daran nichts Schlechtes. Problematisch werde es jedoch, wenn Christentum, religiöse Symbole oder Bibelworte missbraucht würden, "um auch wieder Gräben aufzubauen zwischen Christen und Andersgläubigen". Christentum sei "als eine Botschaft der Liebe und der Nächstenliebe und sogar der Feindesliebe definiert" und ziele immer auf ein Miteinander. Nie dürfe es darum gehen, "zu spalten oder zu trennen".
Zum Verhältnis der Katholischen Kirche zum Islam und Judentum betonte Grünwidl, dass es in Wien ein "sehr gutes Miteinander" gebe, besonders auf Leitungsebene. "Es gibt den Rat der Religionen, es gibt Begegnung und es gibt ein grundsätzliches Vertrauen und Wohlwollen", so der künftige Erzbischof. Auch bei unterschiedlichen Ansichten und Diskussionsstoff werde der gute Kontakt als wichtig gesehen.
Strukturwandel und Frauenfrage
Gefragt nach innerkirchlichen Spannungen und Reformfragen, erklärte Grünwidl, ein Bischof stehe "immer in einer Spannung", da man es weder konservativen noch progressiven Gruppen recht machen könne. Eine zentrale Aufgabe sei es, angesichts dieser Situation "die Einheit zu bewahren". Zugleich warnte er davor, Kirche ausschließlich durch die Problembrille wahrzunehmen. In der Erzdiözese Wien gebe es rund 600 Pfarrstandorte, an denen Kirche lebendig sei und "zum Großteil ehrenamtlich" getragen werde.
Angesichts sinkender Mitgliederzahlen kündigte Grünwidl weitere Strukturreformen an. Bei jährlich 70.000 bis 80.000 Kirchenaustritten müsse geprüft werden, "passt noch die Struktur". Dies betreffe Gebäude ebenso wie Verwaltung. Kirchengebäude würden nach Möglichkeit an andere christliche Gemeinden übergeben oder neu genutzt, etwa durch Kombination von Gottesdiensträumen und karitativen Einrichtungen. Verkäufe von leerstehenden Gebäuden seien ebenso Realität wie Einsparungen im Personalbereich, wobei man bei letzteren fast ohne Kündigungen auskomme und stattdessen etwa bei Pensionierungen nicht nachbesetze.
In der Frauenfrage verwies Grünwidl auf laufende Diskussionen im Zuge der Weltsynode. Während die Priesterweihe für Frauen kirchenrechtlich ausgeschlossen sei, sei die Frage des Diakonats "nicht endgültig entschieden": Zwar schaue es zurzeit so aus, als sei auch die Diakonenweihe nicht möglich, "aber man muss da weiterdenken und weiterarbeiten". Wichtig sei, Frauen "in ihrer seelsorglichen Kompetenz ernst zu nehmen", sagte Grünwidl. Er selbst sei zuversichtlich, "dass sich auch in der Frauenfrage in Richtung Diakonat der Frauen etwas bewegen wird". Entscheidend sei bis dahin, ob und wo Frauen als hauptamtliche Mitarbeiter in kirchlichen Führungspositionen vertreten seien.
Nicht bei Schwächsten sparen
Sozialpolitisch äußerte Grünwidl Verständnis für Sparzwänge des Staates, warnte jedoch vor Kürzungen bei besonders Schutzbedürftigen. Einsparungen bei subsidiär Schutzberechtigten könnten rund 2.500 Kinder treffen. Ein Gesetz, das Menschen kurzfristig "in große finanzielle Nöte" bringe, solle noch einmal überdacht und Fristen sollten verlängert werden. Schließlich handle es sich um Menschen, "die hier leben und die wirklich schutzbedürftig sind". Diesen mittels Gesetz das Leben und die Integration schwerer oder unmöglich zu machen, halte er für bedenklich.
Mit Blick auf seine bevorstehende Bischofsweihe am 24. Jänner im Stephansdom sagte Grünwidl, er freue sich auf das Fest und vertraue darauf, "dass durch die Weihe noch einmal Kraft und Beistand auch von oben kommt" für die anstehenden Herausforderungen. Er spüre, dass ihm von vielen Menschen großes Vertrauen entgegengebracht werde und sei daher "gern bereit, diesen Dienst zu übernehmen". Dennoch müsse er in viele seiner neuen Aufgaben erst noch hineinwachsen.
Quelle: kathpress