Enquete Seniorenpastoral: Chancen im Herbst des Lebens nützen
Das letzte Lebensdrittel ab etwa 55 Jahren bietet viele Chancen, die genützt werden sollten, ja es sei "ein großer Schatz, den es noch viel mehr zu heben gilt": Diese Überzeugung teilte Gerhard Reitzinger, Pastoraltheologe und Geistlicher Begleiter der Pastoralen Dienste der Diözese St. Pölten, mit anderen Referenten der Enquete "INSPIRATIOooN - Heute beginnt der Rest meines Lebens!". 240 Senioren nahmen am Montag an der Veranstaltung der Seniorenpastoral der Diözesen Wien und St. Pölten teil. Hauptreferent zum Thema "Inspiration für den Rest meines Lebens" war der Wiener Pastoraltheologe Paul Zulehner.
Für alte Menschen könnten folgende Fragen zentral sein, erklärte der 78-jährige emeritierte Universitätsprofessor: "Bin ich zum liebenden Menschen geworden, habe ich Liebe erfahren?" Um darauf eine positive Antwort zu geben, sei es nie zu spät. Das kann laut Zulehner bedeuten, im Sinne der Bergpredigt zu handeln, Kranke oder Gefangene zu besuchen oder sich politisch für Nächstenliebe und Humanität zu engagieren: "Es ist nicht entscheidend, was wir erreicht haben im Leben, sondern was wir als Mensch geworden sind", so der Wiener Theologe und vielfache Buchautor.
Zulehner erinnerte an die drei von Kardinal Franz König formulierten "Lebensfragen", die als Anstoß zur Reflexion auch für die Seniorenpastoral maßgeblich seien: Woher komme ich? Wohin gehe ich? Welcher Sinn hat mein Leben? Seelsorge müsse nicht in erster Linie Aktionismus forcieren, sondern vielmehr Impulse dafür zu geben, "in das Geheimnis Gottes einzutauchen". Das setze dem heute allenthalben geschürten Misstrauen Vertrauen und Entängstigung entgegen, ist Zulehner überzeugt. Wer in der Angst gefangen sei, könne keine Solidarität mehr mit anderen finden und nicht mehr lieben. Daher solle die Seniorenpastoral Räume des Vertrauens schaffen. Auch die Theologie solle entängstigen: Viele Ältere hätten noch Angst vor dem Fegefeuer oder dem Gericht Gottes.
Ein Drittel des Lebens in Pension
Wer heute in Pension geht, hat gut ein Drittel seines Lebens noch vor sich, verwiesen die für Seniorenpastoral Verantwortlichen anlässlich der Enquete auf sich daraus ergebende Möglichkeiten. Eine Gesellschaft, die sich allein auf Attribute wie jung, dynamisch, erfolgreich, selbstbewusst und gesund reduziere, blende Wesentliches aus, hieß es. Menschen dieser Generation seien das lebendige Archiv vergangener Tage, Hüter von Familienwissen bis hin zu Kochrezepten, sie verfügten aber auch über von Erfahrung getränkte Lebensweisheiten aller Art, betonte Andrea Moser von der Seniorenpastoral der Diözese St. Pölten. Aus diesem Fundus könnten auch jüngere Generationen schöpfen. Heutige Senioren seien nach Abschluss ihrer Erwerbsarbeit meist wirtschaftlich abgesichert und würden über Kaufkraft etwa im Bereich des Tourismus verfügen. Viele seien geistig rege, hätten Freiräume für spirituelle Entwicklung, so Moser. Wer vor dieser Lebensphase kaum oder wenig Zeit und Energie in seine seelische Entwicklung investierte, könne nun "seinen Abgang aus dieser Welt" positiv beeinflussen.
Die Seniorenpastoral-Expertin forderte dafür gesellschaftliche Rahmenbedingungen ein. "Senioren dürfen keine Unkostenfaktoren sein, über die entschieden wird, ob sich eine neue Hüfte oder ein neues Knie noch auszahlt." Die Humanität einer Gesellschaft bemesse sich auch im Umgang mit dieser wachsenden Bevölkerungsgruppe. An jüngere Generationen richtete Moser den Appell: "Behandle Menschen der dritten und vierten Lebensphase so, wie Du selbst einmal behandelt werden willst."
Christiane Teschl-Hofmeister, für Senioren-Angelegenheiten zuständige niederösterreichische Landesrätin, würdigt die sowohl von Ehren- als auch Hauptamtlichen geleistete Seniorenarbeit im größten Bundesland. Älteren Menschen könnten vieles vermitteln und selbst etwas für ihren Körper und Geist tun. Die Landespolitikerin - Jahrgang 1973 - erzählte, dass sie kürzlich bei einem Frauenlauf von Seniorinnen überholt wurde.
Bei der Enquete, die unter dem Ehrenschutz von Kardinal Christoph Schönborn, Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner und Diözesanbischof Alois Schwarz stand, berichteten Leiter von Seniorengruppen, Verantwortliche für Seniorenarbeit und -betreuung in Gemeinden, Pfarren und Klöstern sowie Krankenhaus- oder Pflegeheimseelsorger über ihre Arbeit. Für "Inspirationen" zu den Bereichen Körper, Geist und Seele sorgten der Arzt Dietmar Kleinbichler, der Psychologe Martin Oberbauer und die Psychotherapeutin Elisabeth Lukas. Die Veranstaltung endete mit einem spirituellen Abschluss in der Landhauskapelle.
Quelle: kathpress