Wien: Bildungsexperten betonen Wert religiöser Bildung
Den Wert religiöser Bildung für die Persönlichkeitsentwicklung von Schülerinnen und Schülern aber auch für ein kompetenzorientiertes Lernen insgesamt haben Bildungsexperten unterstrichen. Nach Einschätzung der an der Universität Wien lehrenden Religionspädagogin Andrea Lehner-Hartmann ist religiöse und weltanschauliche Bildung in einer pluralen Welt ein Schlüsselfaktor für das friedliche Zusammenleben. Religiöse, insbesondere interreligiöse Bildung sei deshalb nicht aus den Schulen wegzudenken. Ähnlich äußerte sich der emeritierte Wiener Religionspädagoge Martin Jäggle: Religiöse Bildung eröffne einen Raum "kommunikativer Identität", die dazu anleite, ohne Angst verschieden sein zu können.
Anlass der Wortmeldungen war der 23. "Wiener Kulturkongress", der am 6./7. November zum Thema "Religions- und/oder Ethikunterricht?" in der Wiener Diplomatischen Akademie stattfand. Der Kongress führte Referenten aus den Kirchen, weiteren Religionsgemeinschaften, der Wissenschaft und Bildung zusammen, um über künftige Modelle des Religionsunterrichts und die Zukunft religiöser Bildung an öffentlichen Schulen insgesamt zu diskutieren.
Schule biete laut Lehner-Hartmann einen Raum dafür, "die Kompetenz zu erwerben, mit unterschiedlichen Weltanschauungen und religiösen Überzeugungen so umgehen zu können, dass ein Zusammenleben möglich ist und Schule zu einem Lebensraum für alle werden kann". Um sich in einer immer komplexer werdenden Welt zurechtzufinden, benötigten Kinder und Jugendliche möglichst umfassende Bildungsangebote, sich mit den drängenden existenziellen Fragen fundiert auseinandersetzen zu können.
In der praktischen Ausgestaltung plädierte Lehner-Hartmann für ein Bildungsverständnis, "das sich nicht auf das Vermitteln von Informationen, d.h. einem Anhäufen von Verfügungswissen reduziert, sondern das auf den Erwerb von Orientierungswissen abzielt". Bei religiöser Bildung in pluralen Gesellschaften gehe es auch nie nur um die Auseinandersetzung mit einer bestimmten religiösen Tradition, sondern auch um die Auseinandersetzung mit dem religiös Anderen über die Konfessionsgrenzen hinweg bzw. auch mit dem sich als säkular verstehenden Anderen. Religiöse Bildung müsse Schülern auch dabei helfen, die großen existenziellen oder religiösen Fragen zu entdecken.
Den Umgang mit Diversität lernen
Martin Jäggle zeigte die Relevanz religiöser Bildung nicht nur vor dem rechtlichen Hintergrund etwa der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte auf, sondern auch vor dem Hintergrund aktueller Ereignisse wie dem Gedenken an die Novemberpogrome von 1938 und das jüngste antisemitische Attentat in einer Synagoge im US-amerikanischen Pittsburgh. Dies zeige, dass die Realität "religiöser Diversität" eine bleibende Herausforderung für ein friedliches Zusammenleben darstelle.
Die europäische Geschichte sei eine "blutige Geschichte der Exklusion religiöser Minderheiten" und der "Lernweg" Europas zu einem friedlichen Zusammenleben ein langer gewesen, führte Jäggle weiter aus. "Die Humanität einer Gesellschaft zeigt sich in ihrem Umgang mit Vielfalt" - dies gelte auch für die Schule, wo ein solcher Umgang etwa im Religionsunterricht eingeübt werde. Insofern sei Religion und der Religionsunterricht an öffentlichen Schulen ein "notwendiger Teil der Allgemeinbildung" bzw. ein konstitutives Moment zur Erfüllung des umfassenden Bildungsauftrages für die Schulen, so Jäggle.
Religionsunterricht: Professionalisierung sichert Zukunft
Die konkrete schulische Realität des Religions- und Ethikunterrichts in Österreich im Vergleich zu anderen europäischen Ländern erörterte die frühere Leiterin des Interdiözesanen Amtes für Unterricht und Erziehung (IDA), Christine Mann. Sie sei zuversichtlich, dass der Religionsunterricht an öffentlichen Schulen eine Zukunft habe, so Mann, es brauche jedoch eine "Professionalisierungsbewegung", um den "neuen Suchbewegungen nach Identität, nach einem Umgang mit Pluralität und der Zusammenarbeit trotz Diversität" zu begegnen. Zugleich halte der Religionsunterricht einen nicht-instrumentellen Raum zur "nutzenfreien Beschäftigung mit Sinnfragen" offen, den es gegen einen überbordenden "Ökonomismus" auch in der Bildung zu verteidigen gelte.
Ein Blick auf die religiöse Bildungslandschaft in Europa zeige, wie vielfältig die Modelle sind, um religiöse Bildung in den Schulen zu gewährleisten. Prinzipiell lassen sich demnach Modelle der religiösen Bildung "in Religion", der Bildung "über Religion" und der Bildung "von Religion" bzw. aus Religionen unterscheiden. Entsprechend würde es konfessionell gebundene Bildungsangebote neben christlichen Kooperationsmodellen und staatlich getragenen interreligiösen bzw. religionskundlichen Modellen geben.
In Frankreich etwa gebe es - ähnlich wie in Albanien und Weißrussland - weder einen Religionsunterricht noch einen Ethikunterricht als Pflichtgegenstand an öffentlichen Schulen. In anderen Ländern - u.a. in Österreich, Rumänien, Malta, Russland und Griechenland - existiere ein konfessioneller Religionsunterricht mit dem Alternativgegenstand Ethik. Als gleichberechtigte Wahlpflichtfächer nebeneinander stehen Religions- und Ethikunterricht in Ungarn, Finnland, Spanien und Deutschland; in Polen, Tschechien und Italien stellten beide Gegenstände Freifächer dar. Einen religionskundlich orientierten Religionsunterricht als Pflichtfach ohne den Alternativgegenstand Ethik gebe es seit fast 100 Jahren in Island, aber auch in Großbritannien, Schweden, Dänemark und Norwegen. Den umgekehrten Weg eines verpflichtenden Ethikunterrichts für alle und eines konfessionellen Religionsunterrichts als Freifach gibt es indes in Ostdeutschland in den Ländern Berlin und Brandenburg.
Buch: Plädoyer für "Ethik und Religionen"
Für eine flächendeckende Einführung des Pflichtfachs "Ethik und Religionen" an Österreichs Schulen hat sich indes der an der Universität Salzburg lehrende Religionspädagoge Anton Bucher ausgesprochen. Die praktische Ausgestaltung des Faches müsse in Kooperation der Religionsgemeinschaften und des Staates erfolgen. Das sei eine "enorme" ökumenische Herausforderung, räumte er ein. Schule solle nicht nur auf ein interkulturelles Zusammenleben vorbereiten, sondern auch einen Raum dafür bieten, dieses im Alltag zu leben. Bucher plädierte dafür, "so viele junge Österreicher wie möglich, in einer so guten Weise wie nur möglich ethisch und religiös zu bilden". In die Verantwortung nahm der Experte auch die Bundesregierung, die hier endlich Geld in die Hand nehmen müsse.
Einen Einblick in den rechtlichen Rahmen der Debatte bot eingangs der Tagung der Leiter des Kultusamtes, Oliver Henhapel. Dabei verwies Henhapel u.a. auf die Neutralitätspflicht des Staates, die jedoch nicht bedeuten dürfe, dem konfessionellen Religionsunterricht ablehnend gegenüberzustehen, käme dies doch der Bevorzugung einer atheistischen Position gleich.
Der Rektor der KPH Wien/Krems, Christoph Berger, verwies auf die zahlreichen Ausbildungsmöglichkeiten, die sich inzwischen an der Wiener Kirchlichen Pädagogischen Hochschule für Religionslehrer unterschiedlichster Konfession und auch Religion böten. Tatsächlich habe man in den letzten Jahren nicht nur viele Hürden auf dem Weg zur "LehrerInnenbildung NEU" nehmen müssen, sondern auch eine daraus folgende intensivierte Kooperation mit anderen Religionen und Konfessionen umsetzen müssen, so Berger. Das Projekt sei geglückt, zeigte sich Berger zufrieden - und so sei die KPH Wien/Krems heute ein "international einmaliges Projekt der Bildungskooperation von Kirchen".
Eine Lanze für einen qualitätsvollen Ethikunterricht brach der an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Graz lehrende Ethiker und Philosoph Hans-Walter Ruckenbauer. Ein qualitätsvoller Ethikunterricht schwebe nicht im luftleeren Raum, sondern könne bei Fragen der Wertebildung auf eine lange und breite philosophische Tradition zurückgreifen. Dabei spielten Fragen des gelingenden Lebens ebenso eine Rolle wie Fragen nach dem "moralisch Richtigen und Falschen", so der Studienkoordinator des interfakultären Masterstudiums in Angewandter Ethik. Insofern sei der Ethikunterricht zwar "wertneutral", aber nie "wertfrei", da es ihm um die Erörterung konkreter Lebensfragen gehe.
Quelle: kathpress