"Lass uns reden": Kino-Doku will Tabu um Abtreibung auflösen
Ein österreichischer Film über Abtreibung, der verhärtete Fronten zu dem Streitthema aufbrechen und Gespräche ankurbeln will, läuft am Muttertag in den Kinos an. In der Doku "Lass uns reden" des Wiener Regisseurs Tamas Kiss erzählen direkt Betroffene über ihre Konfliktschwangerschaft, die Entscheidung zu deren Abbruch und die Zeit danach. Um Ausgewogenheit wird geachtet und auf vorschnelle Urteile oder Belehrung tunlichst verzichtet. Klar zeigt der Film dennoch: Die Sprachlosigkeit rund um Abtreibung und deren Folgen lässt viele Menschen leiden, während Unterstützung und Austausch tragfähige Entscheidungen und seelische Heilung fördern können.
Die sechs Frauen und zwei Männer, um deren Geschichten sich die 90 Filmminuten drehen, stammen aus unterschiedlichen Lebenssituationen. Manche sind Mitte zwanzig und hatten den Schwangerschaftsabbruch schon im Schulalter oder zu Studienbeginn, eine 78-Jährige ließ ihn unter Geheimhaltung noch vor der Fristenregelung vornehmen, ein Mann war davon kurz nach seiner Verlobung betroffen. Ruhig und relativ nüchtern reflektieren die Hauptpersonen das Erleben der ungeplanten Schwangerschaft, die Entscheidung zur Abtreibung - nur eine Frau entschied sich für das Kind - sowie auch deren Ablauf. Beratung jenseits medizinischer Hinweise sowie rasche professionelle psychische Unterstützung bekam damals niemand.
Dass eine Abtreibung nicht einfach "die Zeit zurückdreht", wie eine Protagonistin ihre einstige Hoffnung beschreibt, gehört zu den Hauptbotschaften des Films. Alle gezeigten Personen können über die Abtreibung reden, da sie ihre Umgangsform damit gefunden haben, zumeist aber erst nach schwierigen Phasen: Eine Frau entwickelte Schuldgefühle, bei einer anderen kam das zunächst Verdrängte immer dann hoch, wenn sie Schwangere oder Werbungen mit Babys sah. Die ältere Dame berichtet von Alpträumen, die sogar 40 Jahre lang andauerten, ein Mann von Depressionen infolge zurückgedrängter Vatergefühle. Probleme, um deren Einordnung und Lösung sich im Film vier Expertinnen - eine Psychologin, eine Therapeutin, eine Ärztin und eine Seelsorgerin - bemühen.
Angstfreies Reden und Zuhören
Die Gesellschaft müsse "lernen, über Abtreibung zu reden und einander zuzuhören - ohne Angst, dass einem von seiner Meinung ein Zentimeter weggenommen wird", formulierte die Produzentin Sonja Horswell im Kathpress-Interview bei einem Presse-Preview das Anliegen der Doku. In Österreich seien heute "3,5 Millionen Menschen direkt von Abtreibung betroffen", so die langjährige Schwangerenberaterin, die in ihrer Hochrechnung auch die Männer inkludierte. Problematisch sehe sie vor allem die Tendenz, mögliche Folgeerscheinungen von Abtreibung "unter den Teppich zu kehren". Durch verstärktes Gespräch darüber könnten Betroffene und sogar die gesamte Gesellschaft "gesunden", zudem bestehe viel Bedarf an Alternativen für Schwangere in Nöten und ergebnisoffenen wie auch anonymen Hilfen, auf welche Gynäkologen verweisen könnten.
Gestalterisch konzentriert sich "Lass uns reden" auf das nötige Minimum. Der geschützte Drehort und der Lehnstuhl, auf dem die Protagonistinnen und Protagonisten ihre Geschichte erzählen, bleibt stets derselbe, und auch Kameraführung, die Filmmusik des Komponisten Christian Heschl und die Beleuchtung verzichten auf Aufdringlichkeit und Ablenkung. Statt Zwischentiteln und Stimmen aus dem Off sorgt die Poetry-Slammerin Adina Wilcke für den roten Faden, indem sie Erlebnisse und Fragen rund um Konfliktschwangerschaften verdichtet. Dass der Film keine vorgefertigten Antworten gibt, ist seine größte Stärke. Die Einladung, über Schwangerschaftsabbrüche zu reden, erhält somit Nachdruck und Glaubwürdigkeit. Gelungen ist auch das Kunststück, den Zuseher trotz des schwierigen Themas mit hoffnungsvoller Stimmung zu entlassen.
Die bisher terminisierten Filmaufführungen finden jeweils sonntags um 16 Uhr und mittwochs um 19.30 Uhr in den Hollywood Megaplex-Kinos statt, und zwar an den Standorten Wien-Gasometer (8. und 11. Mai) und Wien-SCN (15. und 18. Mai), St. Pölten (22. Mai), Linz-Plus City (12. und 15. Juni), sowie im Innsbrucker Metropol Kino (19. und 22. Juni). Weitere Vorführungen sind laut Angaben der Produzenten in Planung. Statt eines Eintrittspreises wird um freie Spenden gebeten, das empfohlene Alter ist ab 14 Jahren. Ende Juni soll der Film auch als DVD erscheinen, auch wird es eine Download-Möglichkeit für Schulen geben (Info: www.lassunsreden.film)
Quelle: kathpress