
Was orthodoxes Fasten mit Sport zu tun hat
"Mahlzeit" heißt eine aktuelle YouTube-Videoserie der Erzdiözese Wien, in der prominente Vertreterinnen und Vertreter ihrer Kirchen und Religionen die jeweils eigenen Fastentraditionen vorstellen und erklären. Neben dem Wiener katholischen Weihbischof Stephan Turnovszky, der evangelischen Pfarrerin Julia Schnizlein und Vertretern aus Judentum und Islam kommt darin auch der orthodoxe Priester Nikolaus Rappert zu Wort. Wie Rappert erläutert, ist für die orthodoxe Tradition der Begriff "Askese" ganz wesentlich. Heutzutage vermeintlich veraltet, hatten ihn die Kirchenväter einst aus der Welt des antiken Sports entnommen. Askese bedeute nichts anderes als die Vorbereitung der Athleten auf den Wettkampf oder im weiteren Sinn die Lebensweise von Sportlern.
Die Fastenregeln der Orthodoxen Kirche sind zwar sehr streng, der geistliche Begleiter oder Beichtvater könne aber mit jedem Gläubigen besprechen, was für die eigene Situation angemessen sei. Wenn es etwa aus gesundheitlichen Gründen notwendig ist, dass man bestimmte Produkte isst, könne man eine Ausnahme machen. "Das Fasten soll nicht überfordern, aber auch nicht unterfordern", so Rappert.
Ebenso wichtig: Dem äußeren Fasten müsse auch ein inneres Fasten entsprechen. Es gehe nicht nur darum, sich gewisser Speisen zu enthalten, sondern vor allem auch böser Gedanken und Worte, "durch die wir immer wieder das Zusammenleben zwischen uns vergiften". Und: "Wenn uns das ein Stück weit in der Fastenzeit gelingt, dann sind wir auf dem richtigen Weg."
Keine evangelische Tradition
In der Evangelischen Kirche hat das Fasten keine Tradition. Im Gegenteil: Martin Luther hat das Fasten prinzipiell abgelehnt, weil er zutiefst davon überzeugt war, dass sich niemand Gottes Gnade verdienen kann. Heute haben evangelische Christen allerdings längst ein entspannteres Verhältnis zum Fasten und gehen dabei alternative Wege. Julia Schnizlein, Pfarrerin der Lutherischen Pfarrkirche, erzählt davon und weist auf die Aktion "7 Wochen ohne Verzagtheit" hin.
Fasten in den Religionen
Unterschiedliche und gleiche Bedeutungen des Fastens in den Religionen beleuchtet auch das Projekt "ComUnitySpirit" des Afro-Asiatischen Instituts Graz. In mehreren Beiträgen, die in Kooperation mit dem steirischen "Sonntagsblatt" entstanden, werden die verschiedensten Fastentraditionen von entsprechenden Vertreterinnen und Vertretern vorgestellt.
Für das Judentum erläutert die Religionswissenschaftlerin Ruth Kathrin Lauppert-Scholz die Fastentraditionen. Im Judentum gibt es demnach zwei "lange Fastentage", an denen ca. 25 Stunden nichts Festes und Flüssiges zu sich genommen wird, sowie das Rauchen, Geschlechtsverkehr, Schminken, Waschen und jegliche Art von Vergnügen verboten sind. Die Fastenzeit beginnt nach der jüdischen Tradition am Beginn des Tages, also bei Sonnenuntergang und endet, wenn die ersten drei Sterne am Himmel sind. Im Schnitt sind das also rund 25 Stunden.
Der wichtigste der beiden langen Fastentage ist Jom Kippur am 10. des jüdischen Monates Tischri (also im September oder meist Oktober), 10 Tage nach dem jüdischen Neujahrsfest Rosch Haschannah. Es ist der einzige Fasttag, der auch an einem Shabbat eingehalten wird (alle anderen werden verschoben) und der einzige, der in der Tora erwähnt ist, wodurch er herausragende Bedeutung hat.
Der 2. lange Fastentag ist Tischa beAv, also der 9. des jüdischen Monats Aw. Neben dem Fasten habe dieser Tag auch den Charakter des Trauerns, "weil diesem Tag der Zerstörung des Tempels in Jerusalem und weiterer Unglücke für das Judentum, die an diesen Tag gefallen sind, gedacht wird".
Neben den beiden langen gebe es auch kurze Fastentage, bei denen erst ab der Morgenröte bis zum Einbruch der Dunkelheit gefastet wird und die meist nur von orthodoxen Juden und Jüdinnen eingehalten werden.
"Eine Form des Gottesdienstes"
Für den Islam gibt Lejla Alickovic, Leiterin der Frauenabteilung des islamischen Kulturzentrums Graz, Auskunft. Das Fasten im Monat Ramadan gehört zu den fünf Säulen des Islam und sei "eine Form des Gottesdienstes", so Alickovic. Fasten bedeute, vom Beginn der Morgendämmerung bis zum Sonnenuntergang nichts zu essen und nichts zu trinken. Und: "Abseits dessen achtet man darauf, sein eigenes Verhalten stetig zu verbessern." Fasten als Gottesdienst zu begreifen, bedeute für sie, so die Muslimin, "die bedürftigen Menschen besser zu verstehen. Es bedeutet Geduld zu üben, bewusster und gesünder zu leben."
Das Projekt "ComUnitySpirit" fördert den Dialog zwischen den Religionen und Kulturen im Leben von Graz und über die Stadtgrenzen hinaus. Ein Teil der Interviewpartner:innen engagiert sich auch bei der interreligiösen Dialoggruppe "Tea and Talk". Der Austausch zwischen den Weltreligionen bei einer gemütlichen Tasse Tee findet regelmäßig statt.
(Info: www.ComUnitySpirit.com)
Quelle: kathpress
"Enthaltsamkeit der Zunge"
Für die Orthodoxe Kirche erläutert bei "ComUnitySpirit" der Grazer Theologe Prof. Grigorios Larentzakis Tradition und Bedeutung des Fastens. Das Fasten habe eine derart große Bedeutung, dass die gesamtorthodoxe Synode von Kreta 2016 dem Fasten sogar ein eigenes Dokument gewidmet hatte. Die großen Fastenzeiten in den orthodoxen Kirchen sind vor Weihnachten und Ostern und vor der Entschlafung Marias (Mariä Himmelfahrt) im August. Grundsätzlich würden auch der Mittwoch und Freitag als Fastentage gelten, so Larentzakis, der auf frühchristliche Traditionen verweist.
Freilich: Unter bestimmten Umständen habe die gläubige Person das Recht, gar nicht oder weniger streng zu fasten. "Das trifft etwa auf Leute zu, die im Militär oder krank sind, schwere Arbeit leisten oder auch in einem Land leben, in dem die Fastenspeisen nicht leicht zu bekommen sind." Dies gehe auf die sogenannte "oikonomia", das Prinzip der Toleranz, zurück. "Fasten soll nämlich nicht die Gesundheit der Menschen belasten, sondern eine bewusste Übung sein, auf Materielles zu verzichten", so Prof. Larentzakis.
Das Fasten dürfe freilich nicht auf Materielles reduziert werden. In besagter Konzilserklärung von 2016 werde in dieser Hinsicht etwa der hl. Basilius zitiert: "Wahres Fasten wendet sich gegen das Böse. Es ist die Enthaltsamkeit der Zunge, es bedeutet den Zorn im Zaum zu halten, ist Trennung von Lüsten, übler Nachrede, Lüge und Meineid. Verzicht auf diese Dinge ist das wahre Fasten und wahres Fasten ist gut."
Und schließlich betont Larentzakis noch, dass Fasten etwas Höchstpersönliches sei. Es gehe nicht darum, "großartig über die eigenen Fastengewohnheiten zu reden oder gar damit zu prahlen". Dazu gebe es auch ein gutes Gleichnis: "Wenn man in der Fastenzeit zum Essen eingeladen wird und wenn auf dem Tisch keine Fastenspeisen stehen, sagt man den Gastgebenden nicht, dass man fastet. Man isst, was auf den Tisch kommt und zurück im Kloster fastet man dann 'doppelt' so streng."
Drei Wochen Vorfastenzeit
Die Orthodoxe Kirche kennt nicht nur die eigentliche Fastenzeit der 40 Tagen, sondern auch eine Art Vorfastenzeit. Diese umfasst drei Wochen vor der Fastenzeit. In der ersten Woche wird überhaupt nicht gefastet, in der zweiten Woche nur - wie auch sonst während des Jahres, am Mittwoch und Freitag, und in der dritten Woche wird bereits an allen Tagen auf Fleisch verzichtet. Diese dritte Woche, die mit dem "Sonntag der Fleischentsagung" beginnt, wird auch "Butterwoche" oder "Käsewoche" genannt, weil die Vorräte an Milchprodukten und Eiern verbraucht werden.
Wochen, in denen überhaupt nicht gefastet wird, sind in der Orthodoxen Kirche die große Ausnahme. Neben der ersten Woche der Vorfastenzeit ist dies vor allem die Osterwoche. In dieser Woche überwiegt derart die Freude über die Auferstehung Jesu, dass an ein Fasten nicht zu denken ist. (Die Vorfreude darauf ist auch die theologische Begründung, weshalb die Fastenzeit bzw. Vorfastenzeit mit einer fastenlosen Woche begonnen wird.)
Quelle: kathpress