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Schipka: Pluralität ist Reichtum und Chance für Europa

Generalsekretär der Bischofskonferenz appellierte bei "Seckauer Gesprächen" an die Christinnen und Christen, Europa engagiert mitzugestalten und Grenzen zu überwinden

01.10.2023

Säkularität und Pluralität bzw. religiöser Pluralismus sind ein Reichtum und eine Chance für Europa. Das hat Bischofskonferenz-Generalsekretär Peter Schipka in seinem Vortrag für die diesjährigen "Seckauer Gespräche" betont. Die Kirchen bzw. Christinnen und Christen rief Schipka auf, sich engagiert in den demokratischen Diskurs in Europa einzubringen und Europa im christlichen Sinne mitzugestalten. Der Generalsekretär der Bischofskonferenz war dieses Wochenende einer der Hauptreferenten der "Seckauer Gespräche". Da er kurzfristig nicht persönlich teilnehmen konnte, wurde sein Vortrag in Seckau verlesen. Die "Seckauer Gespräche" standen heuer unter dem Generalthema "Die Zukunft (eines christlichen) Europas".

 

Betrachtet man die Bedeutung gelebter Religion in Europa, so würden sich zwei gegenläufige Bewegungen feststellen lassen, hielt Schipka fest. Auf der einen Seite wachse die Zahl jener, die Religion als Bedrohung betrachten: "Sie fühlen sich durch religiöse Symbole in der Öffentlichkeit oder durch Glockengeläut gestört, deuten religiös geprägte Kleidung als Zeichen für das Eintreten für undemokratische politische Positionen und befürchten das Aufleben überholt geglaubter gesellschaftlicher Rollenbilder. Eine zunehmende Anzahl religiöser Menschen bedeutet in dieser Perspektive eine wachsende Gefährdung der liberalen Gesellschaft, in der wir leben."

 

Auf der anderen Seite würden sich vermehrt Menschen finden, für die ihre Religion das identitätsstiftende Merkmal schlechthin sei. Persönliche Grundhaltungen würden zu einem großen Teil durch das religiöse Bekenntnis bestimmt. Politische Einstellungen beruhten auf tatsächlichen oder bloß vermeintlichen religiösen Vorgaben.

 

Diese beiden im Grunde gegenläufigen Bewegungen verstärkten einander allerdings noch auf paradoxe Weise: "Je mehr sich die Einen auf ihre religiös geprägte Kultur beschränken, desto gefährlicher erscheinen sie jenen, die Religion als Bedrohung empfinden. Und je stärker diese darauf hinwirken, die Gesellschaft möglichst religionsfrei zu machen, desto bedrohlicher werden sie von jenen wahrgenommen, für die ihre Religion der lebensbestimmende Maßstab ist.

 

Diesem Befund hielt Schipka seine Überzeugung entgegen, dass Religion und ein säkularer Staat bzw. ein säkulares Europa in keinem Ausschließungsverhältnis zueinander stünden. "Europa ist nicht liberaler, wenn Religion weniger Rolle spielt. Und die Religion ist nicht überzeugender, wenn Europa schwächer ist", so Schipka. Beide gehörten zusammen, "haben ihre jeweilige Aufgabe und stellen einander nicht infrage".

 

Säkularität brachte Freiheit

 

Die modernen säkularen Verfassungen hätten den Menschen u.a. die Freiheit gebracht, jedes Religionsbekenntnis zu haben, es zu wechseln oder auch keiner Religion anzugehören. Diese Freiheit setze aber voraus, dass der Staat selber keinem Religionsbekenntnis nahesteht. Schipka: "Der moderne Staat - auch Europa - ist ein weltanschaulich neutraler, säkularer Verfassungsstaat. Diese Staatsform hat uns, wenn wir die Geschichte anschauen, die größtmögliche Freiheit und auch religiösen Frieden gebracht."

 

Religionen und der Staat könnten als selbständige Einheiten miteinander in Beziehung treten und frei kooperieren, so der Generalsekretär der Bischofskonferenz: "Das tun wir in Österreich in vielen Bereichen - ich nenne bloß den Bildungsbereich: den Religionsunterricht und die konfessionellen Privatschulen."

 

Freilich: Auch wenn Religion auf der Ebene des Staates keinen Platz haben, bedeute das bedeutet natürlich nicht, dass Politiker nicht trotzdem zu ihrer religiösen Motivation stehen können. Ganz im Gegenteil, er halte es für wünschenswert, "wenn Menschen, die aus religiöser Motivation, politisch gestalten wollen, dies auch offen sagen", so Schipka. Sobald sie aber ein öffentliches Amt innehaben, dürften sie es nicht für ihre eigene Religion verwenden, um diese zu bevorzugen und andere bewusst zu benachteiligen."

 

Christentum ohne Exklusivitätsanspruch

 

Schipka appellierte eindringlich an die Christen im Land, sich in der Politik bzw. gesellschaftspolitisch zu engagieren. Freilich habe das Christentum darauf keinen Exklusivitätsanspruch: "In einer pluralen Gesellschaft hat jedoch keine Weltanschauung der anderen etwas voraus." Vielmehr hätten alle Überzeugungen, die zu politischen Positionen werden, das gleiche Recht, solange sie nicht undemokratisch sind. Daher, so Schipka, "haben religiöse Bürger wie säkulare Bürger das Recht, aus ihrer jeweiligen Weltdeutung heraus staatliches Recht mitzugestalten."

 

Christen in Europa müssten ihre Überzeugungen in die politische, demokratische Debatte einbringen. Schipka: "Es haben alle dasselbe Recht, ihre politischen Ansichten demokratisch umzusetzen: alle Religionen und jene, die keine Religion haben. Entscheidend ist, Mehrheiten dafür zu finden, also überzeugend zu sein. Und überzeugend ist man - abgesehen von blankem Populismus -dann, wenn das Gemeinwohl steigt."

 

In der politischen Debatte würden die Christen mitunter aber ins Hintertreffen geraten zu sein. Es scheine immer schwieriger zu sein, innerhalb der Pluralität der Überzeugungen Mehrheiten für christliche Positionen zu finden. Schuld daran sei aber - und das sei ihm wichtig zu betonen, so Schipka, - nicht die Pluralität. Schuld sei, pointiert formuliert, mangelnde Überzeugungskraft. "Pluralität fordert Christen zu guter Argumentation heraus, fordert sie heraus, andere zu überzeugen - nämlich in Freiheit zu überzeugen. Und da scheint mir, dass Christen - auch christliche Politikerinnen und Politiker - noch etwas überzeugender werden müssen", so der Generalsekretär der Bischofskonferenz.

 

Europäische Grenzen überwinden

 

Als Themen, bei denen sich Christen in Europa noch viel überzeugender einbringen sollten, nannte Schipka etwa die immer noch nicht geglückte Überwindung der Trennung von Ost und West oder auch die Migrationsfrage. Der "Eiserne Vorhang" ziehe sich immer noch wie eine Wunde durch den Kontinent: "Die Menschen östlich dieser Grenze werden, wenn ich das so plakativ sagen kann, immer noch als etwas 'zurückgeblieben' betrachtet. Dafür werden die Menschen westlich dieser Grenze als 'dekadent' angesehen."

 

Hier sehe er eine große Aufgabe für die Kirchen, besonders für die Katholische Kirche: "Was die Katholiken auf der einen Seite dieser Grenze mit den Katholiken auf der anderen Seite der Grenze verbindet, nämlich ihr Glaube, ihre Sicht auf die Welt, zum Beispiel ihre Option für die Armen. Das müsste stärker sein, als die Trennung durch diese Grenze. Die Kirche gibt es ja in gleicher Weise da und dort. Die Katholische Kirche ist grenzüberschreitend."

 

Herausforderung Migration

 

Jedes Nachdenken über die Herausforderungen Europas wäre derzeit unvollständig, wenn die Frage der Migration ausgelassen würde, hielt Schipka weiter fest. Als Kompass verwies Schipka in dieser Frage auf Papst Franziskus. Für den Papst sei Europa eine inklusive Gemeinschaft und die Migranten eher eine Ressource als eine Last. Vor allem angesichts des Flüchtlingsdramas dürfe man die Tatsache nicht vergessen, dass es sich um Personen handelt. Allerdings rufe der Papst die Regierenden auf, die Frage der Migration mit Klugheit zu behandeln. Darunter versteht er sowohl die "Notwendigkeit, ein offenes Herz zu haben" als auch die Beachtung "der Möglichkeiten, diejenigen auf gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und politischer Ebene voll zu integrieren, die in das Land kommen".

 

Zugleich fordere der Papst von den Migranten die schwerwiegende Verpflichtung ein, "die Kultur und die Traditionen der aufnehmenden Nation kennenzulernen, zu achten und sich auch anzueignen".

 

Abschließend appelliert Schipka nochmals an die Christen, sich in Europa zu engagieren: "Sie haben die gleichen Chancen wie alle anderen. Und sie haben bessere Voraussetzungen: lange Erfahrung, grenzüberschreitendes Denken, und eine klare Verantwortung Christus gegenüber. Nützen wir die Chancen, Europa mitzugestalten. Auch das ist Gottesdienst."

 

Zweiter Hauptredner der diesjährigen "Seckauer Gespräche" war der Soziologe und Bevölkerungsexperte Prof. Rainer Münz, der zum Thema "Das geopolitische Gewicht Europas gestern und heute" sprach. Europa-Ministerin Caroline Edtstadler übersandte eine Videobotschaft.

 

Die "Seckauer Gespräche" sind eine Initiative von engagierten Laienchristen, von denen einige als ehemalige Schüler des Abteigymnasiums mit dem Stift verbunden sind und dabei die Erinnerung an den früher dort wirkenden Benediktinermönch Laurentius Hora (1900-1977) pflegen.

 

 

Quelle: kathpress

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