Sozialethiker: "Kein gutes Leben ohne menschengerechte Wirtschaft"
Die Wirtschaft ist kein Selbstzweck, sondern muss dem Gemeinwohl dienen: Das hat der Direktor der Katholischen Sozialakademie Österreich (ksoe), Markus Schlagnitweit betont. Schlagnitweit hielt am Dienstag eine Gastpredigt beim Reformationsgottesdienst in der Linzer Martin-Luther-Kirche. Die Gastpredigt fand im Rahmen des ökumenischen Projekts "Sozialwort 20+" des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich (ÖRKÖ) statt. "Es gibt kein gutes Leben und kein gutes Zusammenleben auf diesen Wegen ohne sachgerechte, menschengerechte und gesellschaftsgerechte Wirtschaft", hielt Schlagnitweit fest. Folglich gebe es auch kein gutes Leben ohne funktionierende Märkte. Essenziell seien aber auch Kreativität und "mit persönlicher Verantwortung gepaarte Risikobereitschaft".
Zweck der Wirtschaft seien nicht primär Gewinn, Umsatzwachstum oder Wettbewerb, sondern die Versorgung der Gesellschaft mit den lebensnotwendigen Gütern und Dienstleistungen, stellte Schlagnitweit klar. Die Aufgabe der Wirtschaft sei somit, die materiellen Grundlagen zu sichern, "ohne die es nun einmal nicht geht".
Dabei sei die Wirtschaft aber nicht wichtiger oder vorrangiger als andere Teilbereiche der Gesellschaft, "die alle miteinander verantwortlich sind für ein gutes, gelingendes Zusammenleben der Menschen". Genau das habe auch schon das "Ökumenische Sozialwort" vor 20 Jahren betont, wonach in die wirtschaftlichen Zusammenhänge u.a. immer auch die Belange zukünftiger Generationen und der Umwelt einbezogen werden müssten, informierte der Priester und Sozialwissenschaftler.
Unentgeltliche Wirtschaftsleistungen
ksoe-Direktor Schlagnitweit erinnerte in seiner Gastpredigt, dass schon im "Sozialwort" kritisch vermerkt sei, dass in der öffentlichen Wahrnehmung oft ein Begriff von Wirtschaft dominant sei, der rein auf marktwirtschaftliche Prozesse beschränkt bleibt. Das "Sozialwort" betone dagegen, dass Wirtschaft mehr sei als nur das, was in Geld bewertet und nach den Kriterien des Marktes organisiert werden könne. Wirtschaftsleistungen würden etwa in öffentlichen Einrichtungen wie Schulen, im Gesundheits- oder Justizwesen erbracht, ebenso bei der Erziehung der Kinder und Pflege kranker und alter Menschen, auch wenn diese Aufgaben nicht bezahlt werden.
Was ihm, so Schlagnitweit, in dieser Aufzählung des "Sozialworts" noch fehle, sei der große Bereich des freiwillig und unentgeltlich Engagements in Vereinen, Hilfsorganisationen und gemeinnützigen Einrichtungen.
Immateriellen Voraussetzungen
Wie der ksoe-Direktor weiter ausführte, lebe die Wirtschaft von immateriellen Voraussetzungen: "Erziehung und Bildung, öffentliche Güter, soziale Sicherheit und Rechtssicherheit, moralische Werte wie Vertrauen, Fairness, Vertragstreue, Zusammenhalt und Solidarität." All das könne der Markt nicht aus sich selbst heraus generieren, meinte Schlagnitweit.
Sozialer und ökologischer Fußabdruck
Das "Ökumenische Sozialwort" würde - heute veröffentlicht - den Fokus wohl noch deutlicher auf bestimmte Themen legen, zeigte sich Schlagnitweit überzeugt. Er nannte etwa ungebremst wachsende soziale und ökologische Verwerfungen, eine "moderne Ziel-blinde", eine Selbstzweck-behaftete Wirtschaftsweise sowie ein quantitatives Wachstumsparadigma.
Vor dem Hintergrund der aktuellen kriegerischen Auseinandersetzungen würde das "Sozialwort" auch Kritik an einer rein von ökonomischen Interessen getriebenen Globalisierung üben, so Schlagnitweit. Das Argument der Friedenssicherung durch internationale Arbeitsteilung und wirtschaftliche Verflechtungen und Abhängigkeiten halte offensichtlich nicht, was es versprochen habe.
Laut Schlagnitweit stelle sich die Frage, "ob viele der kriegerischen Konflikte, die wir erleben, an ihrer Wurzel nicht wirtschaftliche Interessenkonflikte sind". Vor allem der Kampf um Absatzmärkte und die Ausbeutung knapper werdender Rohstoffe stelle Konfliktpotenzial dar.
20 Jahre "Ökumenisches Sozialwort"
Vor 20 Jahren haben die Kirchen in Österreich mit dem "Sozialwort" ein ökumenisches Dokument veröffentlicht, das den gesellschaftspolitischen Auftrag der Kirchen auf der Basis des gemeinsamen Glaubens deutlich machte. Das "Sozialwort" war zuvor in einem vierjährigen Prozess mit mehr als tausend Einzelpersonen, gut 100 Organisationen und einem großen Team der damaligen Katholischen Sozialakademie erstellt worden. Es war als "Kompass" für die Kirchen und die Gesellschaft gedacht.
Die großen Themenblöcke waren Bildung, Medien, Sozialer Zusammenhalt, Lebensräume Land/Stadt/Europa, Arbeit, Wirtschaft, Soziale Sicherheit, Frieden, Gerechtigkeit sowie Schöpfungsverantwortung und Nachhaltigkeit.
Im Rahmen der ÖRKÖ-Impuls-Reihe "Sozialwort 20+" geben in Gottesdiensten in ganz Österreich Gäste aus jeweils anderen Kirchen kurze aktuelle Impulse zu wesentlichen Themen des "Sozialworts" bzw. greifen auch bisher noch fehlende aktuelle Themen auf. Das Projekt ist zumindest bis zur Gebetswoche für die Einheit der Christen (18. bis 25. Jänner 2024) anberaumt. Die gesammelten Impulse sollen abschließend in einer Broschüre gemeinsam mit einigen begleitenden Aufsätzen von Theologinnen und Theologen und anderen Expertinnen und Experten veröffentlicht werden.
(Infos: www.oekumene.at)
Quelle: kathpress