"Buch Wien" räumt mit antijudaistischen Mythen auf
Angesichts dessen, was Jüdinnen und Juden im Nahen Osten und Wien erleben müssen, sei es Zeit, mit antijudaistischen Vorurteilen und Mythen aufzuräumen: Das haben der Wiener Dompfarrer Toni Faber und die frühere Leiterin des Jüdischen Museums Wien, Danielle Spera, im Rahmen der diesjährigen "Buch Wien" betont. Die beiden "prominenten Botschafter ihrer Religionen" stellten auf der ORF-Bühne der internationalen Buchmesse am Donnerstag ihr gemeinsames neues Buch mit dem Titel "Wie ein jüngerer Bruder" vor. In dem im Amalthea Verlag erschienenen Buch setzen sich Faber und Spera "offen und schonungslos mit der wechselvollen Geschichte ihrer Glaubensrichtungen auseinander", hieß es. Die viertägige Buchmesse findet noch bis Sonntag auf dem Wiener Messegelände statt.
Die Aktualität ihres Buches, das für interreligiösen Dialog wirbt, sei zwar erschreckend, aber gleichzeitig eine Chance für die Überwindung eines jahrhundertelang tradierten Antisemitismus, so Spera und Faber. Der Dompfarrer nahm dabei auch die katholische Kirche in die Pflicht, die den Antijudaismus teils argumentativ unterstützt hatte.
Durch die Jahrhunderte habe es immer wieder Pogrome gegen Juden gegeben, erinnerte Faber. "Auch heute wird am Stephansplatz 'Tod den Juden' gerufen", mahnte der Dompfarrer. Der Leitspruch "Nie mehr wieder" müsse daher neu gedacht und als Auftrag für alle gedacht werden. Eine spezielle Verantwortung hätten dabei die christlichen Kirchen, da es lange auch einen christlich motivierten Antijudaismus gegeben habe, sagte Faber.
Angesichts des beschmierten jüdischen Friedhofs, der antisemitischen Sprüche im Wiener Campus und der eingeschlagenen Fenster von koscheren Geschäften brauche es eine neue Kultur des "Nie mehr wieder", forderte Spera. "Wir wünschen uns, dass viel mehr Menschen aufstehen, und sagen, dass das nicht geht", so die ehemalige ORF-Journalistin. Weiters erinnerte sie daran, dass das Vorgehen der Hamas gegen Jüdinnen und Juden bzw. gegen Israel nur der Anfang sei: "Was sie wollen, ist die westliche Welt umzudrehen." Es sei daher auch ein Auftrag an Europa, den Frieden zu verteidigen.
Gegen Missbrauch von Religionen
"Tagtäglich werden Religionen missbraucht und instrumentalisiert", warnte Faber. Er kam dabei auch auf die "unrühmliche Geschichte" der katholischen Kirche im Laufe der Jahrhunderte in Bezug auf Juden zu sprechen. Aktuell sei es der orthodoxe Patriarch in Moskau, der sich wie eine Art "Ministrant von Putin" benehme. Bis heute gebe es die ständige Gefahr der Instrumentalisierung des Christentums und ihrer Vertreter.
Was die Kirche anbelangt, habe erst die Konzilserklärung "Nostrae aetate" von 1965 für den christlich unterlegten Antijudaismus einen Schlussstrich gezogen. "Das muss verheutigt werden, das muss in die Köpfe der Christinnen und Christen hinein", forderte der Dompfarrer. Aktuell liege es aber auch an den drei abrahamitischen Weltreligionen, etwas zum Frieden in der Welt beizutragen.
Der Fokus sollte angesichts der spaltenden Debatten auf dem Gemeinsamen und nicht auf dem Trennenden liege, meinte Spera. Da sich das Christentum aus dem Judentum entwickelt habe, bestehe eine enge Verknüpfung zwischen den Religionen. Ebenso gebe es aber auch Parallelen zwischen Islam und Judentum, etwa in Bezug auf Reinheits- und Speisevorschriften. "Wir sollten mehr Wert auf das Gemeinsame und nicht auf das Trennende legen", appellierte die ehemalige Museumsdirektorin an das Publikum der "Buch Wien".
Den Titel erläuterte der Dompfarrer damit, dass sich das Christentum als "ein jüngerer Bruder" des Judentums verstehe. Es sei aber auch eine Absage an die sogenannte "Ablösetheorie", die die Christen als das neue Gottesvolk sieht, welches die Juden ablöse. Dem stellte Faber entgegen: "Jesus und seine 12 Apostel waren Juden." Folglich seien Juden und Christen bis heute Geschwister, eine Familie und mit einem ewigen Bund verbunden. "Auf diesem jüdisch-christlichen Grund können wir einen Beitrag für Frieden setzen", so der Dompfarrer.
Neben Gesprächen enthalte das Buch daher auch ein Glossar, woran Juden und Christen glauben oder wie ein christlicher sowie jüdischer Gottesdienst abläuft, erklärten die beiden Autoren. Damit wolle man gängigen Wissenslücken und Vorurteilen entgegenwirken, so Spera und Faber.
350 Veranstaltungen
Unter den 350 Veranstaltungen der "Buch Wien" - es gibt Vorträge, Lesungen, Bühnengespräche, Podiumsdiskussionen - mit Autorinnen und Autoren aus 25 Ländern gibt es auch weitere für religiös Interessierte. Ebenfalls am Donnerstag machte die Dominikanerin und Erfolgsautorin Melanie Wolfers auf der Radio-Wien-Bühne unter dem Titel ihres jüngsten Buches "Nimm der Ohnmacht ihre Macht" Mut in schwierigen Zeiten. Die in Wien lebende, aus Deutschland stammende Ordensfrau regt dazu an, die Kraft zu entdecken, die in jedem und jeder wohnt und Angstgefühle und innere Blockaden zu verstehen und zu bewältigen.
Wie weit darf man im Kampf gegen die drohende Klimakatastrophe gehen? Dieser Frage widmen sich die in München lehrende Theologin und Medienethikerin Claudia Paganini und der Politikwissenschaftler und Terrorismusexperte Nicolas Stockhammer in einer Podiumsdiskussion am Freitag (10. November) ab 15 Uhr auf der ORF-Bühne. Stockhammer warnt davor, "das legitime Anliegen mit den Methoden" zu verwechseln, Paganini dagegen erachtet zivilen Ungehorsam als "das Immunsystem einer Gesellschaft".
Ihrer Leidenschaft für kreatives Schreiben frönt die ORF-Religionsjournalistin Johanna Grillmayer in ihrem soeben erschienenen, zur aktuellen Stimmung passenden Roman-Erstling "That's life in Dystopia". Sie liest daraus am Samstag (11. November) um 11 Uhr auf der "Standard"-Bühne der "Buch Wien" und entführt dabei in das Leben einer kleinen Gruppe von Menschen nach einem "Weltuntergang", der fast alle anderen verschwinden lässt. (Info und Programm: www.buchwien.at)
Quelle: kathpress