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Thomas Seifert

"Jedes Kind braucht Sicherheit und eine Familie"

Tausenden Kindern konnten Vera Koshil und ihr Team im Kinder- und Sozialzentrum "Fonds Aspern" in Kiew in den vergangenen knapp 25 Jahren ein besseres Leben ermöglichen - Der Krieg verlangt den Kindern im Heim und dem Betreuerinnen nun aber das Letzte ab - Von Georg Pulling

12.02.2024

"Jedes Kind braucht eine Familie und hat das Recht auf ein Aufwachsen in Sicherheit und Geborgenheit." - Das betont Vera Koshil, Leiterin der Kinderzentrums "Fonds Aspern" in Kiew. Ein allerdings schier unmögliches Unterfangen in Kriegszeiten. Tod, Not und Elend können jede Minute zuschlagen; nicht nur an der Front im Osten der Ukraine; sondern prinzipiell an jedem Ort im ganzen Land. Die russischen Angriffe mit Raketen und Drohnen haben zuletzt wieder zugenommen. "Erst gestern wurde wieder ein Wohnhaus in Kiew getroffen", erzählt Vera. Es gab Tote und Verletzte.

 

Im Kinder und Sozialzentrum "Fonds Aspern", das einst mit Beteiligung der Pfarre Wien-Aspern errichtet wurde und von der Caritas unterstützt wird, gibt es u.a. ein Heim für 24 Kinder und Jugendliche im Alter von 2 bis 23 Jahren. Darunter sind Waisenkinder, aber auch Kinder aus Familien mit schwierigsten sozialen Verhältnisse. Die Kinder leben im Zentrum, besuchen ihre Schulen und erhalten außerschulische Aktivitäten und Psychotherapie. In die Beratungsangebote werden, wo vorhanden und willig, auch die Eltern miteinbezogen. Ziel von Vera und ihrem Team ist es, die Kinder wieder bei ihren Eltern oder einer Pflegefamilie unterzubringen.

 

"Wie können wir unseren Kindern Sicherheit geben, wenn wir sie fast jede Nacht aufwecken und in den Luftschutzkeller bringen müssen?", fragt Vera. Die Kinder haben großen Stress, sind ängstlich und weinen. "Ich kann ein Kind oder auch zwei oder drei in die Arme nehmen, aber nicht zehn oder mehr. Wie können wir ihnen so Geborgenheit vermitteln?" Die Betreuerinnen würden mit den Kindern dann oft im Keller zeichnen und malen, um die Kinder abzulenken. Am nächsten Tag sind die Kinder extrem müde, können nicht aus dem Bett und nicht in die Schule. - Kindheit im Februar 2024 in der Ukraine.

 

Wie erklärt man den Kindern diese Situation? - Vera: "Wir sagen allen Kindern, dass Krieg ist, wir sprechen offen und kindgerecht darüber und fügen hinzu, dass wir hoffen, dass der Krieg bald aus ist. Wir wollen den Kindern Hoffnung vermitteln." Manchmal freilich ein unmögliches Unterfangen. - "Wir sprechen über Hoffnung und plötzlich geht wieder der Alarm los und wir müssen in den Keller", beschreibt Vera den Alltag.

 

Zu Beginn des Krieges, als Kiew unmittelbar von russischen Truppen bedroht war, veranlasste Vera auf eigene Faust die Evakuierung der Kinder in den Westen der Ukraine. Eine nervenaufreibende Prozedur. Wenige Minuten, nachdem der Zug mit den Kindern den Bahnhof verlassen hatte, schlug eine Rakete auf dem Bahnhofsgelände ein.

 

Es ist unter anderem auch die Ungewissheit, die die Menschen auszehrt und an den Rand ihrer Belastbarkeit bringt. "Niemand weiß, was in den nächsten Minuten passiert. Und es kann immer alles passieren", sagt Vera. Nicht nur die Kinder brauchen Unterstützung. Auch Vera selbst und ihre Mitarbeitenden sind oft mit ihren Kräften am Ende.

 

Hilfe für 8.000 Kinder

 

Das Kinderzentrum "Fonds Aspern" im Darnitsky Bezirk in Kiew gibt es seit dem Jahr 2000. 8.000 Kindern konnten Vera und ihr Team in diesen knapp 25 Jahren helfen. Und das öffnet leider das Szenario für ein weiteres grausames Kapitel des Krieges. "Viel unserer inzwischen erwachsenen Kinder sind im Krieg", berichtet Vera. - Und einige sind auch bereits gefallen oder schwer verwundet.

 

Darüber will Vera aber nicht sprechen. Viel lieber schon darüber, dass viele der eingezogenen jungen Männer im Fronturlaub ins Kinderzentrum kommen, "denn das ist der Platz, wo sie sich zu Hause fühlen. Sie wissen, hier ist jemand, der sich auf sie freut, der an sie denkt und das gibt ihnen auch Mut und Hoffnung an der Front." Die Soldaten schicken Vera freilich auch Fotos und Videos vom Grauen des Krieges. - Der Krieg ist allgegenwärtig. Es gibt wohl keine Familie in der Ukraine, die davon nicht in der einen oder anderen Form betroffen ist.

 

Vera hat vor kurzem eine neue Initiative gestartet. Sie möchte Waisenkinder mit Eltern zusammenbringen, die im Krieg ihre Kinder verloren haben. Ein Unterfangen, das wohl alle Beteiligten an ihre psychischen und seelischen Grenzen bringt. Ein Unterfangen, das sich aber lohnt. Eine erste neue Familie hat sich bereits gefunden, erzählt Vera.

 

Mütter und alte Menschen

 

Im Haus leben weiters aber auch einige alleinerziehende Mütter mit ihren Kindern, die sonst keine Unterkunft hätten. Die Gründe für ihre prekäre Lebenssituation sind sehr unterschiedlich, und das Zentrum hilft ihnen dabei, wieder auf eigenen Beinen zu stehen. Die Lage von alleinerziehenden Müttern hat sich durch den Krieg weiter verschlechtert. Und dazu kommen auch noch einige ältere alleinstehende Menschen, die im Krieg ihr Zuhause verloren haben.

 

Eine davon ist die 74-jährige Raisa. Ihr Haus befand sich nur fünf Busstationen vom Sozialzentrum entfernt. Am 13. Dezember wurde es von Teilen einer abgeschossenen Rakete zerstört. Die alte Frau war Gott sei Dank gerade beim Nachbarn zum Duschen, da sie selbst kein warmes Wasser hatte. Von einer Sekunde auf die andere stand sie vor dem Nichts. Jetzt lebt sie in einem kleinen Zimmer im dritten Stock im Haus "Fonds Aspern".

 

Das Zentrum ist weiters auch Anlaufstelle für knapp 100 Familien, die materielle Hilfe erhalten, etwa in Form von Nahrungsmitteln und Kleidung. Es gibt auch ambulante psychosoziale Betreuung. Weitere rund 50 Kinder erhalten im Ausbildungszentrum zudem eine berufliche Orientierung und Schulungen in verschiedenen Berufen. - All das hat die finanzielle Unterstützung durch die Caritas möglich gemacht.

 

Diese Unterstützung aus Österreich gibt Vera und ihrem Team die Kraft, um weiterzumachen. Und es ist nicht nur das Geld, das den Betrieb des Kinderzentrums ermöglicht, sagt Vera, es ist viel mehr auch noch das Wissen, "dass unsere Freunde in Österreich an uns denken. Wir sind nicht allein."

 

Die Caritas Österreich führt im Februar wieder ihre diesjährige Kinder-Kampagne durch, bei der zugleich aber auch vulnerable ältere Menschen mitbedacht werden. Schwerpunktland ist dieses Mal die Ukraine. Das Motto lautet: "Weil unter Trümmern auch die Kindheit begraben wird. Wir helfen". (Caritas-Spendenkonto: Erste Bank: IBAN AT23 2011 1000 0123 4560, BIC GIBAATWWXXX, Kennwort: Kinder in Not, Online-Spenden: www.caritas.at/helfen)

 

 

Quelle: kathpress

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