Suizidbeihilfe in Pflegeheimen: Experten kritisieren Volksanwaltschaft
Müssen konfessionelle Pflegeheime ihre Bewohnerinnen und Bewohner über Suizidbeihilfe proaktiv aufklären oder bei deren Durchführung in den eigenen Mauern mitwirken? Angesichts solcher Forderungen, die zuletzt der Menschenrechtsbeirat der Volksanwaltschaft sowie Patientenanwälte erhoben haben, legen Trägervertreter und Experten nun eine differenzierte Sicht dar. Statt dem assistierten Suizid laut Volksanwaltschaft "seinen Schrecken zu nehmen" und ihn zuzulassen, sei dieser nicht einfach "eine Option unter anderen", hieß es am Montag vonseiten des Bioethikinstituts IMABE. Suizidprävention müsse weiterhin an erster Stelle stehen. Der Ausschluss von Suizidbeihilfe sei in Hinblick auf das Freiwilligkeitsgebot sowie den Schutz von Mitbewohnern und Mitarbeitern rechtlich argumentierbar.
Die Volksanwaltschaft hatte es zuvor als aus "menschenrechtlicher Sicht" nicht zulässig bezeichnet, dass Pflegeeinrichtungen suizidwilligen Personen Informationen rund um die Errichtung einer Sterbeverfügung vorenthalten - etwa durch ein Verbot für das Personal, darüber aufzuklären. Der Stellungnahme vorangegangen waren unangekündigte Kontrollen in Pflegeheimen mit Prüfung der Hausordnungen und Heimverträge. Ähnlich hatte die Patienten- und Pflegeanwaltschaft bei Heimbetreibern ein teils "tendenziöses" Verhalten geortet. Sie würden darauf hinwirken, den Menschen den assistierten Suizid zu verweigern, hieß es.
Das Freiwilligengebot im Sterbeverfügungsgesetz wurde von der Volksanwaltschaft so ausgelegt, dass es privaten Heimträger bloß gestattet sei, Suizidhilfe nicht selbst durchzuführen und keine Räume dafür anbieten. Dulden müssten sie diese aber schon, ebenso wie "hilfsbereiten Dritten" - wie etwa mit Suizidassistenz befasste Notare oder Patientenanwälte - der Zutritt nicht verweigert werden dürfe. Vorab im Heimvertrag festzulegen, dass die Einrichtung keinen assistierten Suizid zulässt, greife in gesetzlich gewährleistete Persönlichkeitsrechte ein und könne mittels Individual- oder Verbandsklage gerichtlich geltend gemacht werden. Weiter hieß es, Suizidwillige Personen hätten einen durchsetzbaren "Anspruch auf Unterlassung aller Maßnahmen, die im Ergebnis ihr Recht auf Beendigung ihres Lebens beschneiden".
Elisabethinen-Chef: Assistenz im Leben
Kritisch dazu äußerte sich in der IMABE-Aussendung der Geschäftsführer der Elisabethinen Graz, Christian Lagger. Zwar seien Freiheitsentscheidungen von Menschen zu respektieren, und niemandem stehe ein Urteil darüber zu, schickte er voraus. Die Forderung der Volksanwaltschaft nach verpflichtender Information der Heimbewohner über rechtliche Möglichkeiten des assistierten Suizids durch das Heimpersonal wies er jedoch zurück.
Tagtäglich seien die Ärzte und Pflegenden in den Einrichtungen damit konfrontiert, dass hochbetagte Menschen vom Sterben reden. "Das nehmen wir sehr ernst und lassen niemanden damit alleine", betonte Lagger. Die Aussage "nicht mehr leben zu wollen" sei aber keineswegs gleichbedeutend mit dem Wunsch nach einer Selbsttötung. Vielmehr zeige die Praxis, dass es sich dabei um einen Ruf nach Beistand, Nähe und Begleitung handle. "Menschen brauchen vor allem Assistenz im Leben. Die Suizidprävention muss weiterhin Vorrang haben", so der Elisabethinen-Geschäftsführer.
Besonders ging Lagger auf die Situation der Mitarbeitenden in den Gesundheitseinrichtungen ein. Deren Tätigkeit besonders mit alten Menschen sei "schön, aber auch anstrengend und mitunter überfordernd", die Betreuungssituation auf jeden Fall "sensibel". Das Personal gelte es davor zu schützen, "in menschliche oder ökonomische Konfliktsituationen zu geraten, die sich auf die von ihnen betreuten Menschen nachteilig auswirken könnten". Dazu zählten auch Gespräche oder Handlungen mit dem Ziel des vorzeitigen Todes der Betreuten.
Gefährlicher Druck auf "sozialverträgliches Frühableben"
Als Gesundheitseinrichtung müsse man sich fragen, "wie man mit ausreichender Sicherheit verhindern kann, dass Mitarbeiter, die unter schwierigen Situationen und auch oft genug unter der Aggression von Bewohnerinnen und Bewohnern leiden, diese nicht - wenn auch nur unbewusst - zum Suizid drängen", so Lagger, der bis 2023 Vorsitzender der ARGE Ordensspitäler war. Denn angesichts von Kostendruck und Pflegenotstand steige der Druck auf "sozialverträgliches Frühableben" ebenso wie durch Angehörige, "die fragen: Wäre das nicht etwas für die Oma?" Der Schritt, über Suizidassistenz zu beraten, hin zum "gewollten Loswerden eines unliebsamen oder schwierigen Bewohners", sei, so Lagger, "viel kleiner als angenommen".
Als Gebot der Stunde nannte der Geschäftsführer der Elisabethinen Graz vor allem den Ausbau mobiler palliativer und alterspsychiatrischer Einheiten. Suizidwünsche hingen oft mit Altersdepressionen zusammen, die zwar gut behandelbar seien, wegen Mangelversorgung jedoch häufig unentdeckt blieben. Für Pflegewohneinrichtungen brauche es deshalb sowohl einen Ausbau von mobilen Palliativteams als auch von alterspsychiatrischen Einheiten. Lagger: "Das ist die professionelle Zuwendung zum Menschen, die wir uns vorstellen."
Kein eindeutiges Urteil
Juristisch sei das Freiwilligkeitsgebot im Sterbeverfügungsgesetz weit weniger eindeutig wie vom Menschenrechtsbeirat der Volksanwaltschaft dargestellt, bemerkte in der Aussendung zudem die IMABE-Referentin für Recht und Bioethik, Antonia Busch-Holewik. Eine Reihe hochrangiger Fachleute gingen davon aus, dass es keine Duldungspflicht für private, konfessionelle Gesundheitseinrichtungen gebe, oder sie seien zumindest differenzierter Meinung. Die Juristin verwies dabei auf Marissa Maxime May vom Wiener Gesundheitsverbund, den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs, Matthias Neumayer, den Linzer Medizin- und Arbeitsrechtler Reinhard Resch sowie den auf Medizinrecht spezialisierten Rechtsanwalt Gerhard Huber.
Auch die behauptete Informationspflicht durch Mitarbeiter hinsichtlich der rechtlichen Möglichkeiten im Zusammenhang mit assistiertem Suizid sei "nicht herrschende Meinung unter Rechtsexperten", stellte Busch-Holewik klar. In der Fachwelt werde das Freiwilligkeitsgebot zudem auch so ausgelegt, dass es privaten Einrichtungen sehr wohl erlaubt sei, Besuche im Zusammenhang mit der Durchführung von assistiertem Suizid zu untersagen, verwies die Referentin auf eine Publikation des Innsbrucker Zivil- und Medizinrechtlers Michael Ganner.
Quelle: kathpress