Schlagnitweit: "Dignitas infinita" auch wichtiges Sozialdokument
Die vatikanische Erklärung "Dignitas infinita" über die menschliche Würde ist auch ein wichtiges Dokument im Rahmen der Katholischen Soziallehre. Das hat der Direktor der Katholischen Sozialakademie Österreichs (ksoe), Markus Schlagnitweit, betont. In einer Stellungnahme gegenüber Kathpress (Freitag) ging der Sozialethiker auf einige Aspekte des Schreibens ein, die bisher nicht im Vordergrund standen. "Dignitas infinita" kann laut Schlagnitweit auch gelesen werden als klare Positionierung gegen eine Partikularisierung des Menschenrechtskanons zulasten der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte und sei besonders unter diesem Aspekt auch ein wichtiges Dokument der Katholischen Soziallehre.
Besondere Aufmerksamkeit verdiene das vierte Kapitel des Schreibens, in dem "einige schwere Verstöße gegen die Menschenwürde" aufgelistet und behandelt werden - "wenngleich in teilweise sehr unterschiedlicher Qualität", wie der Sozialethiker einräumt. Auffallend und besonders für die Rezeption von "Dignitas infinita" in den wirtschaftlich, sozial und (demokratie-)politisch hochentwickelten Staaten der nördlichen Hemisphäre beachtenswert erscheine ihm die Reihung der aufgelisteten Verstöße. Die Liste beginne nicht mit den "typischen" kirchlichen, vorwiegend individualethischen Problemfeldern des umfassenden Lebensschutzes am Beginn und Ende des menschlichen Lebens oder der Sexualmoral, sondern mit primär sozialethischen Themen: Armut, Krieg, Migration und Menschenhandel.
Das sei aus zumindest zwei Gründen bedeutsam, so der Sozialethiker. Zum einen werde darin die häufig immer noch wenig verstandene und nicht selten auch abgelehnte und bekämpfte "Handschrift" des gegenwärtigen Pontifikats deutlich sichtbar. Papst Franziskus räume den Themenfeldern, die traditionellerweise der kirchlichen Soziallehre zugerechnet werden, mindestens dieselbe Dringlichkeit und Wichtigkeit innerhalb der kirchlichen Moralverkündigung ein wie den individualethischen Themenbereichen.
In dieser Reihung werde zweitens auch ein "weltweit wichtiger und notwendig zu führender Diskurs über Inhalt, Gewichtung und Geltung der Menschenrechte aufgegriffen, der starke kulturelle Unterschiede in deren Verständnis und Rezeption widerspiegelt". Während in den in der Tradition der europäischen Aufklärung stehenden Gesellschaften innerhalb des Menschenrechtskanons vorwiegend die individuellen, bürgerlichen und politischen Grund- und Freiheitsrechte Priorisierung und Beachtung finden, liege der Fokus in vielen Gesellschaften des "Südens" häufig viel stärker auf den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten der UNO-Charta, so Schlagnitweit.
Letztere seien in vielen Ländern des "Nordens" - wenngleich zumeist ratifiziert - häufig nicht in deren Verfassungen und Grundrechtskatalogen aufgenommen, weshalb es in der konkreten Anwendung und Einklagbarkeit bzw. politischen Praxis zu erheblichen Problemen komme, wie der Direktor der Sozialakademie ausführt.
Klares kirchliches Bekenntnis
Schlagnitweit betont in seiner Stellungnahme, dass "Dignitas infinita" auch vor dem Hintergrund zu lesen sei, dass die Geschichte der Kirche keineswegs frei von teils eklatanten Verletzungen der Menschenwürde und der sich daraus ableitenden Rechte war, was - nebenbei erwähnt - im Dokument "leider nur ungenügend und auf wenige Bereiche beschränkt Erwähnung findet". Auch habe sich das kirchliche Lehramt über lange Perioden seiner Geschichte hinweg nicht leicht bei der durchgängigen Anerkennung allgemeiner Menschenrechte getan. Vor diesem Hintergrund stelle "Dignitas infinita" ein "eindeutiges, klares und in dieser Form zweifellos begrüßenswertes kirchliches Bekenntnis zu den Universalen Menschenrechten" dar.
Das Faktum, dass die Katholische Kirche die "Allgemeine Erklärung der Menschenrechte" der UNO nicht unterzeichnet hat, ist laut Schlagnitweit primär dem völkerrechtlichen Sonderstatus des Vatikans geschuldet, der innerhalb der UNO nur Beobachterstatus, aber keine reguläre Mitgliedschaft besitzt.
Quelle: kathpress