Religionsphilosoph: Unesco sollte Kants Religionsschrift verbreiten
Eine doppelte Aktualität Immanuel Kants (1724-1804) hat der Wiener Religionsphilosoph Prof. Rudolf Langthaler ausgemacht: Zum einen treffe Kants Diagnose "Leben wir jetzt in einem aufgeklärten Zeitalter? Nein, aber wohl in einem Zeitalter der Aufklärung" zu, zum anderen auch die Diagnose, dass "in Religionsdingen (...) die meisten unmündig und (...) [noch] immer unter der Leitung von fremder Vernunft sind". Die Unesco sollte daher, so Langthaler in einem Blogbeitrag auf "derstandard.at", Kants Schrift "Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft" verbreiten; und zwar gleichermaßen unter "Evangelikalen", "Orthodoxen" sowie in der islamischen und hinduistischen Welt "und auch in 'erz-katholischen' Kreisen" - schließlich sei das Projekt der Aufklärung weiterhin unvollendet.
Tatsächlich spiele das Religionsthema für Kants Projekt der Aufklärung eine entscheidende Rolle: "Es bestätigt sich: Kants (unvollendetes) 'Projekt der Aufklärung' ist jedenfalls ohne den von ihm 'in Religionssachen' gesetzten 'Hauptpunkt der Aufklärung' nicht zu haben und verdient nach wie vor Beachtung", so Langthaler. Denn tatsächlich lasse sich mit Kant auf der einen Seite jeder "wurmstichige Dogmatismus" und jedes "Joch der Tradition" abwehren, der die Vernunft unterlaufe und der die Gläubigen letztlich entmündige. Auf der anderen Seite jedoch fällt einer solchen Kritik nicht etwa Religion an sich zum Opfer - vielmehr sucht Kant nach einer in der "allgemeinen Menschenvernunft" verankerten "allgemeinen Vernunftreligion", die alle Menschen qua Vernunft einsichtig ist.
Unterschlagen werde heute in der Kant-Rezeption nicht selten, dass Religion für Kant "die höchste Angelegenheit des Menschen" bezeichnet und sie dem Königsberger Philosophen daher auch zum "Hauptpunkt der Aufklärung" wurde, führte Langthaler weiter aus. Dazu zähle auch, dass Kant - was einem weiteren Missverständnis in der Deutung entspreche - Religion nicht etwa auf Fragen der Moral begrenzt. Kants berühmtes Zitat, es sei "moralisch notwendig, das Dasein Gottes anzunehmen", besage vielmehr, dass der Glaube an einen Gott ein Gebot der Vernunft sei, wolle diese nicht am Lauf der Welt und der Geschichte bzw. dessen "Nichtigkeit" verzweifeln. Der Glaube sei daher jener Ort, an dem der aufgeklärte Mensch der "Verzweiflung der Vernunft an sich selbst" entgegentritt - in der Hoffnung, dass ein dem Menschen ganz und gar gleichgültiger Naturlauf "nicht das letzte Wort behält".
Insofern formulierte Kant so etwas wie einen alternativen religions-kategorischen Imperativ: Lebe auch als Atheist so, als ob du letztendlich "am Ende des Tages" für dein Leben gerade stehen musst. Anders gesagt: "Führe Deinen Lebenswandel mit Gewissenhaftigkeit, als ob Du Dich eines künftigen Weltrichters zu gewärtigen habest." So zeige sich also laut Langthaler, "dass die Religion zwar nicht zur Begründung der Moral erforderlich ist, jedoch die Moral letztendlich zur Gottesthematik (...) führt." (Blog-Beitrag im Wortlaut: https://www.derstandard.at/story/3000000216609/kant-ueber-religion-und-aufklaerung)
Quelle: kathpress