Zulehner plädiert für Marshall-Plan für Syrien
Einen Marshall-Plan für Syrien, über den "alle Politiker im reichen Westen jetzt schon nachdenken" sollten, wünscht sich der Wiener Pastoraltheologe und Werteforscher Paul Zulehner. Er plädiert auf seiner Website für eine Politik, die ihr Augenmerk auf die Ursachen der gegenwärtigen Lage im Nahen Osten richtet "und nicht nur sagt: 'Wir bauen jetzt Zäune und machen zu'". Viel wichtiger als ein Abkommen mit der Türkei zur Bewältigung der Flüchtlingsströme wäre nach Ansicht des emeritierten Wiener Theologieprofessors - die er auch beim jüngsten Symposion "Dialog in der Mitte Europas" in Brünn äußerte -, endlich Frieden in Syrien zu schaffen. "Das Land ist so erschöpft und ausgeblutet, dass es dazu keine Alternative mehr gibt."
Bemühungen um eine Befriedung und einen Wiederaufbau Syriens entsprächen nicht nur der humanitären Tradition Europas, sondern wären auch "durchaus vernünftig und wirtschaftlich einträglich", meinte Zulehner. "Wenn wir dort investieren, kommt es dann ja auch wieder zurück." Ein Marshall-Plan sei freilich kein Ersatz für eine politische Konfliktbeilegung sein, wie das Beispiel Irak gezeigt habe. Die USA hätten ihre Truppen zurückgezogen und den Irak dem Chaos, konkret dem ungelösten Konflikt zwischen Schiiten und Sunniten, überlassen. Die Folge sei das Aufkommen des IS als Machtfaktor in der Region gewesen. Notwendig wäre laut Zulehner eine von den Vereinten Nationen gedeckte Friedenspolitik - zuerst in Syrien. "Und erst wenn der Friede geschaffen ist, macht es einen Sinn, einen Marshall-Plan zu machen."
Zulehner zog Parallelen zur Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg in Europa: "Wir wären wegen der Armut untergegangen und wieder in ein autoritär-faschistoides System geschlittert, wie das ja nach dem I. Weltkrieg der Fall war." Dem hätten die Amerikaner erfolgreich vorgebeugt in der Überzeugung: "Wenn Frieden, dann muss Europa auch wirtschaftlich auf die Füße kommen." Im Blick auf ein syrisches Nachfolgeprojekt erwähnte Zulehner Überlegungen in der Katholischen Aktion Österreich (in der Zulehner als geistlicher Assistent mitarbeitet), ein Stipendienprogramm für junge Syrer und Syrerinnen einzurichten, die dann für den Wiederaufbau ihrer Heimat zur Verfügung stehen könnten.
Ohne Frieden in Nahost kein Frieden in Europa
Der Wiener Theologe ist überzeugt: "Nur wenn Syrien - aber auch Israel und Palästina, also der Herd dieses Gesamtkonfliktes da unten - zu einer befriedeten Region werden, können wir in Europa im Frieden leben."
Von der in den letzten Monaten betriebenen Flüchtlingspolitik in Europa zeigte sich Zulehner "ein bisschen ernüchtert". Wenn Menschen in Bedrängnis und Not vor dem Krieg flüchten, "dann sollten wir sie aufnehmen". Anfangs habe die Politik dies berücksichtigt: Wenn die Flüchtlingslager rund um Syrien herum überfüllt sind und aus den Nähten platzen, dann sollen diese Menschen nach Europa kommen.
In der Zwischenzeit habe sich aber "aufgrund von populistischen Entwicklungen in einigen Ländern" ein Sinneswandel ergeben - darunter laut Zulehner auch in Österreich. Kanzler Werner Faymann sei "geradezu stolz, dass er sich, wenn man das bildlich ausdrückt, von der Politik der Bundeskanzlerin Merkel hinüber zur Politik des Ministerpräsidenten Viktor Orban gewendet hat." Der österreichische Regierungschef habe "offenbar die Hoffnung verloren, dass man den Flüchtlingsstrom durch die Milderung der Fluchtursachen begrenzen kann", bedauerte Zulehner.
In seiner jüngsten Buchveröffentlichung hatte sich Paul Zulehner im Februar unter dem Titel "Entängstigt Euch! Die Flüchtlinge und das christliche Abendland" eingehend mit der gegenwärtigen politischen Haupt-Herausforderung in Europa befasst und zu mutigem Gegensteuern aufgerufen.
Quelle: kathpress