
Tagung in Wien: Internationale Flüchtlingspolitik ist "Schande"
Mehr als 65 Millionen Menschen weltweit sind auf der Flucht. Dabei handelt es aber nicht um "irgendeinen Flüchtlingsstrom sondern um einzelne Männer, Frauen und Kinder, die in Not sind und Hilfe und eine menschliche Behandlung brauchen". Das hat Annelies Vilim, Geschäftsführerin des NGO-Dachverbandes "AG Globale Verantwortung" betont. Es sei eine Schande, wie derzeit über Flüchtlinge gesprochen und mit ihnen umgegangen wird, so Vilim in ihren einführenden Worten zum 4. Internationalen Humanitären Kongress am Freitag in Wien. Vilim rief die Politik auf, ihr humanitäres Engagement massiv zu verstärken. Sie räumte ein, dass die österreichische Regierung zuletzt den Auslandskatastrophenfonds von fünf auf 20 Millionen Euro aufgestockt habe. Das reiche freilich nicht aus.
Die NGO-Geschäftsführerin erinnerte an den ersten Humanitären Weltgipfel ("World Humanitarian Summit") im Mai 2016 in Istanbul, wo deutlich der notwendige gemeinsame politische Wille und entsprechende strategische Planungen für humanitäre Hilfe eingemahnt worden waren. Auch die von den Vereinten Nationen 2015 beschlossenen "Nachhaltigen Entwicklungsziele" (SDG) würden u.a. in diese Richtung zielen. Es brauche von den politisch Verantwortlichen, nicht nur von Österreich, endlich Taten statt bloßer Lippenbekenntnisse.
Volker Türk, stellvertretender UNO-Flüchtlingshochkommissar, wies in seiner Eröffnungsansprache darauf hin, dass nur ein geringer Teil der 65 Millionen Flüchtlinge in die westlichen Länder zu gelangen suchten. 80 Prozent würden in ihren Herkunftsregionen in Entwicklungsländern stranden, der Großteil davon sogar im eigenen Land als intern Vertriebene. Das große Flüchtlingsdrama spiele sich etwa in Afrika ab. Kaum jemand nehme davon Notiz, dass beispielsweise jeden Tag rund 2.200 Flüchtlinge aus dem Südsudan in Uganda ankommen würden. Dramatisch sei die Lage auch in der Zentralafrikanischen Republik oder im Kongo.
Türk kam auch auf jene gut 5.000 Flüchtlinge zu sprechen, die im letzten Jahr beim Versuch, das Mittelmeer zu überqueren, ums Leben kamen. Was wäre dies für ein Aufschrei in der westliche Welt, wenn ein Luxuskreuzschiff mit 5.000 Passagieren untergehen würde, so der stellvertretende UNO-Flüchtlingshochkommissar. Für Türk ist auch klar, dass das Schmugglergeschäft weiter boomen wird, so lange es kein legalen Möglichkeiten für Flüchtlinge gibt, in den Westen zu gelangen.
Kein Fokus auf Ukraine
Internationale und nationale Experten aus humanitären Organisationen, Politik, Wissenschaft, Medien sowie von Flucht betroffene Menschen diskutierten am Freitag in der Wiener Universität u.a. über die Ursachen für Flucht und Migration, die internationale Menschenrechtslage oder über Tendenzen, das internationale Völkerrecht zu beschneiden. Massive Kritik kam von vielen Seiten am internationalen Wettlauf, das eigene Land durch diverse inhumane Maßnahmen für Flüchtlinge so unattraktiv wie nur möglich zu machen.
Referenten waren u.a. Yves Daccord, Generaldirektor des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, Kate Gilmore, Stellvertretende Hochkommissarin für Menschenrechte (UNO), Manfred Nowak, Professor für Internationales Recht und Menschenrechte an der Universität Wien, sowie der Autor und Menschenrechtsaktivist Elias Bierdel und Mustafa Maalbawi, ein Arzt aus Syrien.
Unter den Teilnehmern waren u.a. auch der heimische Caritas-Präsident Michael Landau und der ukrainische Caritas-Präsident Andrij Waskowycz. Dieser wies darauf hin, dass im Zuge des kriegerischen Konflikts in der Ukraine bisher 1,7 Millionen Menschen intern vertrieben wurden und 1,1 Millionen aus dem Land flüchteten. Das Interesse der Weltöffentlichkeit an dieser Katastrophe sei hingegen sehr gering, kritisierte der Caritas-Präsident. Er warnte davor, dass eine weitere Destabilisierung der Ukraine neue massive Flüchtlingsströme auslösen könnte.
Südsudan und Syrien
Unter den Referenten des Kongresses war auch Alistair Dutton, nun Direktor des "Scottish Catholic International Aid Fund" und früherer hochrangiger Mitarbeiter der Caritas Internationalis. Er kam am Rande des Kongresses im "Kathpress" -Interview u.a. auf die dramatische Situation im Südsudan zu sprechen, wo fünf Millionen Menschen dringend humanitäre Hilfe benötigten. Der angedachte Besuch von Papst Franziskus in dem vom Bürgerkrieg gebeutelten Land könne tatsächlich ein Hoffnungsschimmer sein, wenn es gelingt, die verfeindeten Gruppen wieder zum Dialog zu bewegen, so die Einschätzung Duttons. Papst Franziskus hatte am vergangenen Sonntag beim Besuch der anglikanischen All-Saints-Kirche in Rom verkündet, dass er gerne gemeinsam mit dem Ehrenoberhaupt der Anglikaner, Erzbischof Justin Welby, in den Südsudan reisen wolle.
Hinsichtlich des Syrien-Konflikts sprach sich der Flüchtlings-Experte für eine politische Lösung aus, die mittelfristig auch die Regierung von Bashar al-Assad miteinbezieht. Das syrische Volk sollte im Anschluss in freien Wahlen selbst entscheiden, welche politische Führung es will. Solange sich die internationalen Akteure aber nicht aus der Region zurückziehen und ihre Interessen zurückstellten, werde es keinen Frieden geben, so der Experte in Richtung der USA, Russland aber auch der Regionalmächte wie Türkei, Iran oder Saudi Arabien.
Dutton zeigte sich weiters überzeugt, dass die Christen im Orient massive Unterstützung aus dem Westen bräuchten, um in ihrer Heimat bleiben zu können. Freilich dürfe sich die Hilfe nicht nur auf Christen konzentrieren, sondern sollte auch Muslimen zugute kommen, alles andere würde die orientalischen Gesellschaften nur noch mehr spalten.
Dass im Zuge der vielfältigen Konflikte im Nahen Osten die Christen vielfach das Vertrauen in ihre muslimischen Nachbarn verloren hätten, räumte Dutton zwar ein, er zeigte sich zugleich aber überzeugt, dass es möglich wäre, dieses Vertrauen wieder herzustellen. Freilich sei dies ein langwieriger schwieriger Prozess, der viel Engagement brauche. "Aber in Südafrika war es auch möglich", so Dutton.
"Wachsam und nicht naiv"
Die zuletzt etwa vom chaldäischen Patriarchen Louis Sako vorgebrachte Warnung an den Westen, dass dieser genau schauen sollte, welche muslimischen Flüchtlinge ins Land gelassen werden, hielt Dutton einerseits für begründet. Andererseits stelle aber nur eine verschwindend kleine Minderheit eine Bedrohung dar, zeigte er sich überzeugt. Es gelte schlicht, "wachsam und nicht naiv" zu sein. Die meisten Flüchtlinge seien einfach in großer Not und brauchen Hilfe. Jeder Mensch habe das Recht auf menschliche Behandlung und eine genau Überprüfung des Asylantrags.
Der Humanitäre Kongresses in Wien stand unter dem Motto "Forced to Flee - Humanity on the Run" (dt. "Zum Flüchten gezwungen - die Menschheit auf der Flucht"). Veranstalter waren das Österreichische Rote Kreuz, Caritas Österreich, AG Globale Verantwortung, Ärzte ohne Grenzen und SOS-Kinderdorf.
Quelle: Kathpress