Pastoraltagung: Wie als Kirche präsent sein in Zeit der Differenz?
Ein tief greifender Mentalitätswandel seit den 1960er-Jahren, der mit der Betonung von Verschiedenheit und Individualität allen Formen von Gemeinschaft zu schaffen mache, stellt auch die Kirche vor große Herausforderungen. Wie die in Linz lehrende Fundamentaltheologin Isabella Guanzini am Donnerstag im Eröffnungsvortrag der Österreichischen Pastoraltagung unter dem Titel "Geistesgegenwart" ausführte, gelte es Abschied von Attributen wie "urteilend", "klerikal", "patriarchalisch" und "ideologisch" zu nehmen. Stattdessen solle man für heutige Zeitgenossinnen und -genossen als Verschiedenheit präsent sein, und zwar "annehmend", "mütterlich", "freundlich", "festlich" und damit "einladend".
"Präsent sein. Wege zu qualitätsvoller Pastoral" lautet auch das Thema der von 12. bis 14. Jänner stattfindenden größten alljährlichen Bildungsveranstaltung der heimischen katholischen Kirche. Der Referatsbischof für Pastoral, Josef Marketz (Gurk-Klagefurt) begrüßte eingangs stellvertretend für die 250 Teilnehmenden seine Bischofskollegen Manfred Scheuer (Linz) und Wilhelm Krautwaschl (Graz-Seckau) sowie den Generalsekretär des veranstaltenden Österreichischen Pastoralinstitutes (ÖPI), Walter Krieger, der die Pastoraltagung nach 25 Jahren zum letzten Mal organisiert. Wie Marketz sagte, werde er nächstes Jahr eine Frau begrüßen können - Gabriele Eder-Cakl übernimmt ab März die Funktion des in Pension tretenden Krieger.
In seiner geistlichen Einbegleitung der Tagung nahm der Kärntner Bischof ausgehend vom alttestamentlichen Psalm 139 Bezug auf die "Finsternisse" der heutigen Zeit, in die Gott ein tröstendes Licht zu werfen vermöge. Auch heute gelte: "Wer Gott sucht, wird nicht Antworten finden, wohl aber Gottes Gegenwart." Und wer Gott sucht, so ergänzte Marketz, müsse auch gegen Unrecht auftreten und dürfe nicht unparteiisch bleiben. Mystik und Politik dürften kein Gegensatz sein, "wenn Glaube mehr sein soll als billige Vertröstung".
Identitäten nicht mehr vorschreiben
Die Eröffnungsvortragende Isabella Guanzini sprach von einem "Einbruch der Verschiedenheiten" in die Geisteswelt der Gegenwart. Der vorherrschende Individualismus sei es nicht mehr gewohnt, sich Autoritäten anzupassen, auch Einheit stiftende Worte wie etwa das Glaubensbekenntnis genügten nicht mehr, um Verschiedenheiten in Verständnis und Deutung zu überdecken, sagte die Theologin. Das Wesen des Menschen lasse sich nicht mehr mit einer Formel zusammenfassen, es gelte "den Horizont zu öffnen für die nicht einschränkbare Tiefe und Weite des Menschlichen". Auch die Kirche dürfe Identitäten nicht mehr vorschreiben, sondern müsse Respekt zeigen vor dem "Unauslotbaren" in jeder Biografie.
Zugleich betonte die Fundamentaltheologin, der postmoderne Mensch sei trotz der Erosion nicht weniger religiös geworden. Doch auch der Glaube sei vielfältig geworden: Der Soziologe Ulrich Beck spreche nicht umsonst in einem Buchtitel vom "eigenen Gott". Entsprechend der geringeren Kirchenbindung sprach Guanzini von "believing without belonging" - also Glauben auch abseits kirchlicher Zugehörigkeit.
Jeglicher Kulturpessimismus sei jedoch fehl am Platz, betonte die Theologin. Sie plädierte für eine "Geistesgegenwart", die für sie ein Synonym für eine lebendige, wache Spiritualität sei. Guanzini berief sich auf Papst Franziskus, der für ein weniger dogmatisches und moralisierendes Christentum stehe. Dass niemand anderen seine Wahrheit aufzwingen und zugleich nicht unsolidarisch auf die Durchsetzung eigener Wünsche pochen darf, habe Franziskus in seiner Enzyklika "Fratelli tutti" festgehalten.
Den anwesenden Fachleuten aus Seelsorge, Religionspädagogik u.a. kirchlichen Diensten aus dem In- und Ausland gab Guanzini als Leitfrage mit: Wie kann in kirchlichen Gemeinden und Gemeinschaften Hochschätzung für Pluralität zum Ausdruck kommen?
Nach zwei Corona-Jahren wieder "Präsenz"
Nach zweijähriger Corona-bedingter Pause findet die Österreichische Pastoraltagung wie gewohnt im Salzburger Bildungszentrum St. Virgil statt. Weitere Vortragende sind u.a. die Linzer Pastoraltheologin Klara Antonia Csiszar ("Not-wendende Begegnungen: Ein jesuanischer Pastoralstil"), der in Paris lehrende Jesuit Christoph Theobald ("Im Alltag auf Gottes Ruf hören") und die Sozialethikerin und Rektorin der KPH Edith Stein in Innsbruck, Petra Steinmair-Pösel, die sich abschließend dem Synodalen Prozess in Österreich als einer "hörenden Kulturveränderung" widmet.
Vertiefende Workshops, das neue Format "Storytelling" und liturgische Elemente - darunter ein Gottesdienst mit dem Linzer Bischof Manfred Scheuer - ergänzen das Programm. In Kleingruppen vorgestellt werden u.a. die Reihe "W'ortwechsel" in Vorarlberg, die Gespräche im eigenen Wohnzimmer über Gott und die Welt anregt, die Bemühungen um Berufungspastoral in der Diözese Linz oder in der Erzdiözese Salzburg gepflegte Glaubenskommunikation im Netz. Beim "Storytelling" erzählt ein Gruppenmitglied eine persönliche Geschichte, die etwas mit "Präsenz" und Kirche zu tun hat (Info: www.pastoral.at).
Quelle: kathpress